Vorwurf der Vetternwirtschaft: Sachsens Innenminister unter Druck
Roland Wöller (CDU) muss zurücktreten, finden Polizeigewerkschaften. Er wollte einer Bekannten wohl einen Job an einer Polizeischule verschaffen.
Es sei ein intensives und sachliches Gespräch gewesen, in dem es vor allem um fehlende Kommunikation bei Wöllers Personalentscheidungen ging, sagte Hagen Husgen, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen, der taz. „Das Gespräch führte zu keinem Zeitpunkt dazu, die Forderung nach einem Rücktritt des Innenministers zurückzunehmen“, sagte Husgen.
Das Vertrauen zwischen Wöller und der Gewerkschaft sei „einfach nicht mehr da“ und könne auch durch ein 90-Minuten-Gespräch nicht wieder hergestellt werden. „Nun müssen andere die Entscheidung treffen“, sagte Husgen, und spielte damit auf Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) an. Sollte Wöller Innenminister bleiben, sei die Gewerkschaft aber professionell genug, um weiter mit ihm zusammenzuarbeiten.
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) blieb nach dem Gespräch bei ihrer Rücktrittsforderung. Es gebe kein Verständnis für Wöllers Vorgehen, sagte die sächsische Landesvorsitzende Cathleen Martin.
Verdächtige Personalwechsel „still und heimlich“
Bei dem Konflikt zwischen den Polizeigewerkschaften und dem Innenminister geht es insbesondere um die Neubesetzung des Chefpostens an der sächsischen Polizeihochschule in Rothenburg im Landkreis Görlitz. Dort soll Manja Hussner neue Kanzlerin werden – eine frühere Kommilitonin von Wöllers Frau.
Die Gewerkschaften warfen dem Innenminister Vetternwirtschaft vor, er wies den Vorwurf zurück und erklärte dazu, dass Stellenbesetzungen „nach Eignung, Leistung und Befähigung“ erfolgten. Etwaige Bekanntschaften spielten dabei keine Rolle, seien aber auch kein Ausschlusskriterium für Bewerber:innen.
Die Gewerkschaften sehen das anders und weisen daraufhin, dass Wöller schon mehrmals Spitzenposten mit ihm vertrauten Kandidat:innen besetzt habe. Anfang April etwa hat Wöller seinen Parteifreund Florian Oest zum Sprecher der sächsischen Polizei ernannt. Die GdP kritisiert, dass es „keine fachliche Notwendigkeit“ für den Personalwechsel gegeben habe und dieser „still und heimlich“ vollzogen worden sei.
Wöller räumte am Dienstag Fehler bei der Kommunikation ein, sieht aber von einem Rücktritt ab. „Wir haben vereinbart, zukünftig öfter und regelmäßiger miteinander zu kommunizieren“, sagte er nach dem Gespräch mit den Polizeigewerkschaften.
Lange Reihe an Polizei-Skandalen
Die Koalitionspartner SPD und Grüne drängen auf Aufklärung. Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, verlangte am Dienstag „volle Transparenz“ und das Offenlegen aller Hintergründe von Wöllers Personalentscheidungen in der sächsischen Polizei. Valentin Lippmann von der Grünen-Fraktion betonte, dass es ein „sehr deutlicher Vorgang“ sei, wenn die zwei größten Polizeigewerkschaften, allen voran aber die GdP, kein Vertrauen mehr in den Innenminister hätten. Auch er erwarte nun vollständige Transparenz.
Die Linken im sächsischen Landtag fordern Ministerpräsident Kreschmer schon lange dazu auf, Wöller von seinem Amt zu entfernen. Die CDU-Fraktion sieht dagegen derzeit keinen Grund für einen Rücktritt Wöllers.
Der Innenminister stand in den vergangenen Jahren schon mehrmals in der Kritik. Nicht nur für seine harte Abschiebepraxis und seinen Umgang mit den Corona-Protesten. Er wurde auch heftig kritisiert, als bei einer Spezialeinheit der sächsischen Polizei Tausende Schuss Munition verschwanden, als eine Leipziger Polizistin sichergestellte Fahrräder illegal an Kolleg:innen verkaufte oder als kürzlich brutale Aufnahmerituale in einer Leipziger Spezialeinheit bekannt wurden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus