Einigung beim EU-Gipfel: Die nächste Krise ist beschlossen
Die EU hat sich entlarvt: Sie ist keine solidarische Werteunion, sondern eine Gemeinschaft der Egoisten, die nur im äußersten Notfall hilft.
D en Negativrekord für den längsten und quälendsten EU-Gipfel aller Zeiten haben sie nur knapp verfehlt. Lediglich ein paar Minuten fehlten, dann hätten Gastgeber Charles Michel und Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag den unseligen Gipfel von Nizza im Jahr 2000 überboten.
Nun haben sie sich doch noch zusammengerauft. Im Morgengrauen fiel am Dienstag in Brüssel der Beschluss für das größte Finanzpaket aller Zeiten. 1,8 Billionen Euro haben Michel und Merkel bis 2027 lockergemacht, um sich gegen die Krise zu stemmen. Brüssel wird kein zweites Nizza.
Dennoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack nach diesem zweitlängsten Gipfel der EU-Geschichte. Und das liegt nicht nur an Zugeständnissen der letzten Minute, mit denen die späte Zustimmung erkauft wurde. Es liegt auch und vor allem am unseligen Geschacher der letzten Tage.
„Geiz ist geil“ – dieser Werbespruch schien tagelang das neue Motto der EU zu sein. Vor allem die „Frugal Four“, also die geizigen Nordländer, hatten es darauf angelegt, die Coronahilfen für den Süden zusammenzustreichen und sich gleichzeitig milliardenschwere Rabatte zu sichern.
Wie im Sommerschlussverkauf ging es in den letzten Stunden dieses Gipfel-Marathons zu. Michel und Merkel stockten die Nachlässe für die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden weiter auf, gleichzeitig wurden die Budgets für Forschung und Studenten zusammengestrichen.
Merkel, die im Vorfeld als „Retterin der EU“ gefeiert worden war, machte gute Miene zum bösen Spiel. Tagelang ließ sie den niederländischen Premier Mark Rutte gewähren. Zeitweise hatte man den Eindruck, nicht Merkel und Michel, sondern Rutte führe die Regie in Brüssel.
Am Ende nickte die Kanzlerin eine windelweiche Rechtsstaatsklausel ab, die Ungarns Regierungschef Viktor Orbán als „Sieg“ feiert. Und schließlich genehmigte sie sich noch ein paar hundert Millionen für die ostdeutschen Länder – ein Schnäppchen kurz vor Toresschluss.
So läuft es eben bei EU-Gipfeln, sagen die Diplomaten und Unterhändler, am Ende müssen sich alle als Sieger präsentieren können. Doch dieser Sieg schmeckt wie eine Niederlage. Denn vier Tage lang haben die EU-Granden vorgeführt, wie sie wirklich denken: national und egoistisch.
Die gefährlichen Reflexe der Coronakrise sind immer noch am Werk. Bei diesem Gipfel traten sie sogar stärker zum Vorschein denn je. Die EU präsentierte sich nicht als solidarische Werteunion, sondern als Notgemeinschaft der Egoisten, die nur im äußersten Notfall hilft, unter strengen Bedingungen.
Dass am Ende doch noch das größte Hilfspaket aller Zeiten verabschiedet wurde, macht es nicht viel besser. Denn zum einen wurden die Zuschüsse gekürzt – von 500 auf 390 Milliarden Euro. Zum anderen wird das Geld mit der Gießkanne verteilt und nicht nach Hilfsbedürftigkeit.
Im Ergebnis dürften die Zuschüsse aus Brüssel gerade einmal ausreichen, um die größten Budgetlöcher in Rom, Madrid oder Athen zu stopfen. Als Konjunkturprogramm mit „Wumms“ taugen sie nicht. Und wenn die Hilfen ausgezahlt sind, wird die EU auch noch auf Sparkurs gehen.
Denn die neuen Schulden müssen zurückgezahlt werden, und das EU-Budget für 2021 bis 2027 wurde gekürzt. Womit wir wieder bei Nizza wären. Der Gipfel an der Cote d’Azur endete vor 20 Jahren mit einem Ergebnis, das sich als unzureichend erwies und die EU in die nächste Krise führte.
Diesmal könnte es ähnlich laufen. Brüssel hat den Negativrekord von Nizza nicht gebrochen. Doch den Weg in eine bessere Zukunft hat dieser Gipfel auch nicht gewiesen.
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