Eine Tour zu vergessenen Orten: Am Busen von Adlershof
Im Wissenschafts- und Technologiepark verweisen kuriose Bauten auf die Anfänge der Luftfahrt, das DDR-Fernsehen und das Wachregiment der Stasi.
Im August 1945 hat die Sowjetische Militäradministration im Trudelturm die Technik abgebaut und mitgenommen. Nur die bauliche Hülle steht noch. Doch was ist eigentlich ein Trudelturm? Er entstand in den 1930er Jahren für Forschungen für die Luftfahrt. Im Innern des Turms wurde das „Trudeln“ eines führerlos zur Erde torkelnden Flugzeuges quasi unter Laborbedingungen simuliert, um zu erkunden, wie man solche Flugzeuge besser abfangen und beherrschen kann.
Genau wie der benachbarte „Windkanal“, der ähnlichen Zwecken diente, steht der Trudelturm heute unter Denkmalschutz. Die Gebäude stehen auf dem Campus der Humboldt-Universität, die mit ihren naturwissenschaftlichen Instituten in Adlershof sitzt. Daneben residiert das Studentencafé in einem Überbleibsel aus der Luftfahrtgeschichte des Ortsteils, dem sogenannten Motorenprüfstand.
Adlershof und das benachbarte Johannisthal gelten als Wiege der Motorluftfahrt und der Filmindustrie in Berlin. Doch so zufällig beieinander, wie es sich anhört, stehen diese unterschiedlichen Branchen nicht, sie ersetzten und ergänzten sich vielmehr im Laufe der Geschichte, erläutert Peter Strunk.
Flugshows und Kriegsvorbereitung
1908 begann der Deutsche Luftschiffer-Verband auf Initiative von Graf Zeppelin den Bau des ersten deutschen Motorflugplatzes im benachbarten Johannisthal, der bereits ein Jahr später eröffnet wurde. Es ging nicht nur um Flugshows, sondern um Kriegsvorbereitung. Das kaiserliche Deutschland hatte erkannt, dass es in einem künftigen Krieg dem „Erbfeind“ Frankreich in der Luft hoffnungslos unterlegen sein würde.
Nach Kriegsende durften entsprechend dem Versailler Vertrag die Fertigungshallen und andere Infrastruktur für Flugzeuge in Adlershof und Johannisthal nicht mehr militärisch genutzt werden. Der in den Kinderschuhen steckenden Filmindustrie waren die leeren Gebäude willkommen. Als Deutschland unter Hitler wieder aufrüstete, entstanden mit Trudelturm, Windkanal und vielen weiteren Gebäuden erneut Stätten der Luftfahrt in Adlershof und Johannisthal.
Ein paar Meter weiter, wo in der DDR das Wachregiment „Felix Dzierzynski“ stand, ragen heute hohe Bürotürme zwischen flachen alten Kasernen in den Himmel. Hier sitzen Versicherungen und Verwaltungsgebäude, ein Bürgeramt. Ein Hotel zog in eine Kaserne.
Wachregiment, Fernsehen der DDR und die naturwissenschaftlichen Institute der Akademie der Wissenschaften prägten zu DDR-Zeiten diese Seite von Adlershof. Luftfahrtforschung war in der DDR der Nachkriegszeit nicht gefragt. Die DDR baute also aus den Gebäuden der Luftfahrtforschung Institute für anwendungsorientierte naturwissenschaftliche Forschung.
Die berühmteste Wissenschaftlerin
Nach der Wende wurden sie alle abgewickelt, genau wie das Fernsehen der DDR. Rund 85 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zumeist anwendungsorientiert geforscht hatten, verloren ihren Job, gingen in den Ruhestand oder in die Arbeitslosigkeit, erzählt Stadtführer Peter Strunk. Oder sie fanden in ganz anderen Branchen eine neue Betätigung. Die berühmteste Wissenschaftlerin war die politische Seiteneinsteigerin Angela Merkel, die zuvor als Physikerin in Adlershof geforscht hatte.
Auf dem Gelände wurde mithilfe öffentlicher Fördergelder der Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof (WISTA) angelegt. Die WISTA Management GmbH wurde vom Senat beauftragt, auf landeseigenen Grundstücken in Adlershof einen Hochtechnologiestandort zu entwickeln. Eine Erfolgsgeschichte, erzählt Stadtführer Peter Strunk. Er muss es wissen, denn bis zu seinem Ruhestand vor rund einem Jahr war er für die Öffentlichkeitsarbeit der WISTA zuständig. Heute würden auf dem Gelände 28.000 Menschen arbeiten, sagt Strunk, mehr als zu DDR-Zeiten. Sie erwirtschaften einen Umsatz von 4 Milliarden Euro. Mehrere Firmen seien in ihrer Branche Weltmarktführer.
Strunk, ein in der Bundesrepublik sozialisierter Historiker, spricht mit Hochachtung von den Wissenschaftlern aus der ehemaligen DDR, die den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und bestanden haben. Zuerst seien das Menschen aus dem wissenschaftlichen Gerätebau gewesen. „Die mussten in der DDR Geräte für die Forschung nachbauen, weil die auf der Embargoliste standen. Sie kannten ihr Fach und den Markt sehr gut.“
Wenn Wissenschaftler Unternehmen gründen, so Strunk, „denken sie langfristig“. Nur 2 Prozent dieser Firmen in Adlershof seien insolvent gegangen. „Es gab selbst in der Coronazeit kaum Firmen, die sich ihre Miete haben stunden lassen.“ Solche Firmeninhaber würden keinen Mercedes fahren, sagt Strunk. „In den Arbeitsräumen steht vorn ein kaputter Ikea-Tisch und hinten Messinstrumente für 12 Millionen Euro. Sie legen auf äußere Statussymbole keinen Wert.“ Und diese Mentalität hätten auch diejenigen Mitarbeiter aus Ost, West und dem Ausland angenommen, „die zur Wende noch zur Schule gingen und heute in diesen Firmen arbeiten“.
Das Wahrzeichen des Ortsteils Adlershof
Vom Zentralinstitut für Physikalische Chemie, jenem Institut, an dem die spätere Bundeskanzlerin zu DDR-Zeiten forschte, ist ein architektonisches Highlight geblieben: Der „Busen von Adlershof“ ist so etwas wie das Wahrzeichen des Ortsteils Adlershof. Offiziell heißen die beiden durch einen Gang verbundenen Kugeln „Thermokonstante Kugellabore“. Sie entstanden zwischen 1959 und 1961 für thermodynamische Hochpräzisionsmessungen für die Luftfahrt. Im Innern sollten stets konstante Temperaturen herrschen.
Strunk: „Das hat leider nie funktioniert, denn die Laboranten trugen ja ihre eigene Körpertemperatur in die Laborräume.“ So wurden die Kugellabore bis 1993 als normale Laborräume genutzt, später als Lagerräume für Fotopapier. Eigentlich könnten Besucher die Kugellabore auch besichtigen. „Doch nicht mit mir“, sagt Strunk entschieden. „Da drinnen stinkt es, es ist dunkel, man sieht nichts.“
Doch ein paar Meter weiter öffnet Strunk eine andere Tür. Es ist der Büroraum des Direktors der Studiotechnik Fernsehen, quasi des Technikchefs des Fernsehens der DDR. Auch hier ist die Zeit irgendwann Anfang der 1990er Jahre stehen geblieben. Exakt um 12.05 Uhr, denn diese Zeit zeigt die große Uhr im Büroraum an. Hinter dem Schreibtisch und dem gemütlichen Sessel des Chefs steht ein etwas niedrigerer Besprechungstisch mit deutlich abgesessenen Sesseln, sodass die Hierarchien gleich klar waren.
In den Glasschränken stehen die Werke von Marx und Engels fein säuberlich nebeneinander gereiht. Mehrere Telefone mit unterschiedlichen Farben und Funktionen stehen auf dem Schreibtisch, eines davon mit Direktdurchwahl in die Parteiführung der SED.
Ein wenig gemütlicher geht es nebenan zu, dem großen Besprechungsraum. Um einen eierförmigen massiven Holztisch reihen sich gepolsterte Sessel. Doch vertraulich war das Wort hier nicht. Strunk weist auf eine Seitentür, die in eine Abstellkammer zu führen scheint. Doch die kleine Kammer sei einst voller Technik gewesen, erläutert er. Abhörtechnik. „Hier konnten alle Besprechungen abgehört werden.“
Führungen mit Peter Strunk finden zur langen Nacht der Wissenschaft und auf Anfrage an die WISTA statt.
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