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Eine Alternative zur AbriegelungTesten, testen, testen!

In Südkorea zeigen Früherkennung und radikale Transparenz, dass der Kampf gegen das Coronavirus zu gewinnen ist. Ohne Abschottung.

Für das medizinische Personal ist auch die südkoreanische Strategie eine Herausforderung Foto: Kim Kyung-Hoon/reuters

PEKING taz | In Ostasien sind die Südkoreaner für ihre Ungeduld bekannt. „Bali bali“ nennen sie ihre spezifische Mentalität, im Land am Han-Fluss muss eben alles besonders „schnell schnell“ gehen. Selten stellt sich dieses Klischee als so wahr heraus wie beim Kampf gegen das Coronavirus: In nur 17 Tagen haben Südkoreas Behörden einen eigenen Virustest eingeführt und ein Netzwerk aus 96 Laboren ins Laufen gebracht, von denen die meisten rund um die Uhr arbeiten. „Schnell sein, transparent und präventiv“, beschreibt das Seouler Außenministerium die Strategie der Regierung.

Fast 7.800 Coronavirus-Infizierte sind in den offiziellen Zahlen gelistet. Damit ist Südkorea noch immer das nach Ansteckungen am viertstärksten Betroffene Land der Welt. Doch paradoxerweise ist die Statistik gerade aufgrund dieses hohen Werts als Erfolg zu deuten.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern, in denen nur Personen mit verdächtigen Symptomen getestet werden, wird in Südkorea grundsätzlich jeder auf das Virus überprüft, der engen Kontakt zu Infizierten hatte. Bei einer Bevölkerung von rund 50 Millionen haben sich bereits 220.000 Südkoreaner einem Gesundheitstest unterzogen, rund 20.000 sind es pro Woche.

Bequeme und kostenlose Tests

Kein anderes Land hat ein so systematisches Früherkennungssystem aufgebaut. Zum Vergleich: Die USA haben zur selben Zeit nur knapp zehntausend Tests durchgeführt – bei einer mehr als sechsmal so großen Bevölkerung. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer an Infizierten in den Vereinigten Staaten um ein Vielfaches höher ausfällt.

Die Gesundheitstests sind für Südkoreas Bevölkerung grundsätzlich kostenlos. Und extrem bequem: Als erstes Land hat Südkorea sogenannte „Drive Through“ Teststationen an viel befahrenen Straßen eingeführt. Dabei handelt es sich um provisorische Zelte mit mehreren Medizinern, die in von weniger als zehn Minuten eine Speichelprobe abnehmen, ohne dass der Fahrer überhaupt sein Auto verlassen muss.

Inzwischen sind mehr 50 solcher „Drive Throughs“ landesweit in Betrieb. Das systematische Testen bedeutet allerdings auch, dass die riesige Zahl an Personen mit nur milden oder gar keinen Symptomen überproportional von der Statistik erfasst wird. „Dies hat sich als zweischneidiges Schwert herausgestellt, weil die Zahl bestätigter Fällen in kurzer Zeit nach China die zweithöchste der Welt angestiegen ist“, heißt es vom Gesundheitsministeriums in Seoul.

Die Früherkennung mag zwar die Statistik ruinieren, rettet aber gleichzeitig Leben. Südkoreas landesweite Sterblichkeitsrate bei Corona liegt derzeit bei 0,77 Prozent – ein Bruchteil des globalen Durchschnitts von 3,4 Prozent. Rund zwei Drittel der Todesfälle sind männlich, auch wenn sich mit 62 Prozent deutlich mehr Frauen infiziert haben.

Die gefährdetste Gruppe bilden die über 80-Jährigen mit einer Sterblichkeitsrate von 7 Prozent. Bislang waren nur zwei der insgesamt 66 Virustoten jünger als 50 Jahre.

Keine Abriegelung, keine Blockaden

Epidemiologisch hat Südkorea für die derzeitige Virus-Epidemie denkbar ungünstige Startvoraussetzungen. Die Halbinsel liegt geografisch direkt an der Ostküste Chinas und ist zudem das am zweitdichtesten besiedelte Land der Welt. In der 10-Millionen-Metropole Seoul ist die Bevölkerungsdichte viermal so hoch wie in Berlin. Und doch konnte Südkorea eine Epidemie, die in etwas mehr als zwei Wochen von 30 Fällen auf über 6.000 hochschnellte, stark entschleunigen.

Am Donnerstag vermeldete das Gesundheitsministeriums nur mehr 114 Fälle, letzte Woche lag die tägliche Ansteckungsrate noch bei deutlich über 500. Im Gegensatz zu China oder Italien hat Südkorea weder Städte abgeriegelt, noch Blockaden errichtet. Nicht einmal Einreiseverbote wurden von der Regierung ausgesprochen – nur Besucher aus der Provinz Hubei müssen sich für 14 Tage unter Quarantäne begeben.

Die Behörden setzen stattdessen beim Kampf gegen das Virus auf radikale Transparenz: In Zusammenarbeit mit den örtlichen Telekommunikationsanbietern schicken die Behörden Warnbotschaften an die Handys von Anwohnern, die in unmittelbarer Nähe von Coronavirus-Hotspots registriert sind. Flächendeckend werden die Bewegungsabläufe von Infizierten online für alle einsichtlich veröffentlicht.

Diszipliniertes „social distancing“

Vor allem aber haben die Behörden zu einer „social distancing“ Kampagne aufgerufen, die von der Bevölkerung diszipliniert eingehalten wird: Im öffentlichen Raum tragen die meisten Südkoreaner Atemschutzmasken im Gesicht, vor Fahrstühlen stehen Desinfektionsmittel bereit und die Schulen bleiben vorerst geschlossen.

In Folge von massiven Hamsterkäufen hat die Regierung den Verkauf von Gesichtsmasken reguliert und den Export ins Ausland verboten. Mittlerweile darf jeder Südkoreaner nur mehr zwei Masken an speziell designierten Apotheken kaufen.

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23 Kommentare

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  • Weshalb Alternative zur Abriegelung? Es muss derzeit an allen Stellschrauben gedreht werden!

  • Wenn Olaf Scholz und Frau von der Leyen den Geldhahn aufmachen, muss dazu gesagt werden, dass der Staat, wir alle mit 2.000 Milliarden, und der Normalmensch schon hochverschuldet sind. Nur Reiche haben Guthaben. Wenn Deutschland jetzt 500 Milliarden zur Verfügung stellen will, ist das so ersmal ein Wahnsinn. Dieses Geld muss solidarisch von allen Deutschen je nach eigenem Vermögen zur Verfügung gestellt werden. Unsere Schulden werden wir sonst nie abbezahlen können, was wahrscheinlich auch so gewollt ist. Die Regierung sind nicht Scholz und Konsorten sondern wir alle

    • @mike6666:

      Ich muß Dir leider sage, dass die 2 Billionen, die Du erwähnst nur die, die im Haushalt stehen. Die latente Lasten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit später fällig werden, belaufen sich auch 10,5 Billionen. Jetzt klingt das doch schon viel freundlicher, weil 0,5 Billionen doch nur ca 5% der schon aufgelaufenen Belastungen sind, gell?

  • Die Früherkennung mag zwar die Statistik ruinieren, rettet aber gleichzeitig Leben. Südkoreas landesweite Sterblichkeitsrate bei Corona liegt derzeit bei 0,77 Prozent – ein Bruchteil des globalen Durchschnitts von 3,4 Prozent. Rund zwei Drittel der Todesfälle sind männlich, auch wenn sich mit 62 Prozent deutlich mehr Frauen infiziert haben.

    Das ist ein Denkfehler, die niedrige Sterblichkeitsziffer ist natürlich direkte Folge der hohen Zahl an getesteten Personen. Es werden eben nicht nur diejenigen untersucht, die auffallen, d.h. die absolute Zahl an Betroffen ist realistischer als in anderen Ländern und deshalb ist natürlich der Anteil an tödlichen Verläufen weit geringer, aber realistisch. In anderen Ländern fallen die tödlichen Verläufe statistisch falsch ins Gewicht.

    • @Lars Behrens:

      Wieso ist das ein Denkfehler, am Ende sagen Sie doch selbstm dass es richtig ist und der "Denkfehler" in anderen Ländern stattfindet. Es ist immer dasselbe: je mehr Daten, desto BESSER die Statistik.

    • @Lars Behrens:

      In Südkorea sind zu zwei Dritteln junge Frauen infiziert (durch die Verbreitung ausgehend von einer Frau in einer Sekte mit Geschlechtertrennung). Das ist der Grund für die niedrige Sterberate.

    • @Lars Behrens:

      Aber Sie sagen doch dasselbe wie der Artikel, ich erkenne hier keine Denkfehler.

    • @Lars Behrens:

      Danke. Das wollte ich auch gerade schreiben...

    • @Lars Behrens:

      Zitat: „Doch paradoxerweise ist die Statistik gerade aufgrund dieses hohen Werts als Erfolg zu deuten.“

      Leider gehen die wenigsten Leute hierzulande mit Paradoxien so souverän um wie Sie. Nach Jahrzehnten eines Kultes der großen Zahl haben sich die Leute abgewöhnt, sich was dabei zu denken. Ist die Zahl groß genug und wird sie laut genug gebrüllt, geraten die einfach in Panik.

      Davon abgesehen frage ich mich, wieso man hierzulande keine flächendeckende Testung aller Leute mit Symptomen hinbekommt. Ist es eine Frage des Geldes oder eine der Organisation? Oder liegt es einfach daran, dass nur knappe Hüter teure Güter sind, die hohe Gewinne versprechen?

      Außerdem verstehe ich die Logik der Selektion nicht. Warum werden nicht neben denen mit Symptomen vor allem solche Menschen regelmäßig (!) getestet, die beruflich viele Sozialkontakte haben, Kindergärtner*innen, Lehrer*innen, Krankenpfleger*innen, Ärzt*innen, Verkäufer*innen, Köch*innen oder Zugbegleiter*innen etwa. Die müssen doch sonst auch ein Gesundheitszeugnis vorlegen.

      Alle Sozialkontakte zu unterbinden, ist jedenfalls auch keine Lösung. Westliche Gesellschaften sind nicht existenzfähig ohne sie, auch wenn sie das gerne verdrängen. Wir sind schließlich keine Selbstversorger mehr. Wir haben uns arbeitsteilig organisiert.

      Was wir brauchen, ist eher eine neue Form des sozialen Zusammenlebens. Eine, die von Verantwortung geprägt ist. Von der taz etwa wünsche ich mir mehr Positiv-Infos. Über junge und gesunde Leute etwa, die freiwillig nicht nur für sich selber, sondern auch für ihre Ü-80-Nachbarn einkaufen, damit die nicht so oft „unter Leute“ müssen.

      Im Übrigen fände ich solche „Timur-Aktionen“ (alte Ossis wissen, was ich meine) auch außerhalb von Krisenzeiten wünschenswert. Zumindest auf dem Dorf, wo aus marktwirtschaftlichen Gründen kein Bus mehr fährt und kein Laden geöffnet hat.

      Darüber, dass von einem kaputtgesparten Gesundheitssystem keine Wunder zu erwarten sind, rede ich ein anderes Mal.

      • @mowgli:

        Sehr geehrter Herr Mowgli, Sie haben vollkommen Recht! Ich bin Arzt mit hochfrequentierter Facharztpraxis. Gibt es für uns Schutzmaterialen? Nein! Können wir von unseren Patienten " 1, besser 2 Meter Abstand halten?" Nein! Jeden Tag können Patienten kommen, die sich unlängst in Risikogebieten aufgehalten haben. Wir haben einen Fragebogen, aber da können ja nach Gutdünken die genehmen Antworten angekreuzt werden. Können wir den Wahrheitsgehalt überpüfen? Nein! Haben meine Mitarbeiter/innen oder ich einen Anspruch auf Testung? Nein! Genau, wie Sie es vorschlagen, müsste vorgegangen werden: Regelmäßige Testung aller Personen mit unumgänglich zahlreichen Sozialkontakten. Unglaublich, dass das nicht in Szene gesetzt wird: Ein deletäres Organisationsversagen.

  • Und wer heute negativ getestet wurde kann zwei tage später poitiv sein...



    Das Testvolumen ist nur ein Baustein, wichtiger noch ist das, was hier als „social distancing“ beschrieben wird. In Deutschland siegt halt die Dummheit, da sagen viele lieber: Wird schon nicht so schlimm, hauptsache ich kann am WE ins Bundesligastadion.

    • @charly_paganini:

      Vielleicht ist es an dir vorbeigegangen aber an diesem Wochenende finden sogenannte Geisterspiele statt.

      Also außer Spielern, Trainern und Offiziellen ist kein Zuschauer in den Bundesligastadien.

  • Auch ich habe darüber nachgedacht, warum keine Zwangsmassentests durchgeführt werden, um die Infizierten in Quarantäne schicken zu können und eine Ansteckung zu vermeiden. Aber das hieße, dass jeder Bürger eines anderen Landes, der nach Deutschland einreist, getestet werden müsste oder einen Nachweis erbringen müsste, dass er/sie in seinem Heimatland getestet wurde. Und ein Testergebnis ist nur eine Momentaufnahme, denn selbst wenn man jetzt negativ getestet wird, kann es passieren, dass man danach in Kontakt mit jemandem kommt, der infiziert ist.

    • @Jossi Blum:

      Zwangsmassentests

      könnten nicht ausgewertet werden. Südkorea hat es geschafft 220.000 Leute von 50.000.000 (!) zu testen und das ist viel. Alle testen ist nicht leistbar.

  • Guter Weg, unbequemer für alle, schwieriger zu organsieren, voller unklarer Verantwortung aber genau deshalb veranwortungsvoll und risikobewusst, und vielleicht sogar wirkungsvoller.....und Kollateralschäden vermieden. Ein Versuch wert!

    Ganz im Gegenteil zu den Diskussionen hier Landauf Landab. Keiner will schlecht dastehen und daher Abschottung total. Angsthasenpolitik die keine wirkliche Verantwortung kennt sondern diese deligiert ins Nirwana: "Wir haben unser Möglichstes getan" von Söder bis Medienstar Charitée-Virologe (ohne zu wissen was das Möglichste überhaupt war!)

    • @Tom Farmer:

      Man weiß zumindest was das Unmöglichste ist...



      Würden ab heute alle!, wirklich alle Menschen (>80 Mio) in den eigenen vier Wänden bleiben für 2-3 Wochen wäre Deutschland wahrscheinlich anschließend Corona-frei. Allerdings ist das wohl kaum eine praktikable Lösung.

      • @charly_paganini:

        Es wird nicht möglich sein, Corona in Deutschland zu verhindern - zumal es irgendwann wiederkommen wird. Es geht darum, die (unvermeidliche) Ausbreitung so hinauszuzögern, dass sie unser Gesundheitssystem bewältigen kann. das ist keine Frage von Kapitalismus, Sozialismus oder Kommunismus, sondern des gesunden Menschenverstandes.

      • @charly_paganini:

        Es ginge vornehmlich um die Risikogruppen.

        • @Tom Farmer:

          Ja, deswegen müssen Sie ja mit der Wortwahl aufpassen, das war nur die Antwort auf "alle testen" ;-)

    • @Tom Farmer:

      Ja, das „Möglichste“ stellt sich dann als fast nichts heraus...

      Aber vor allem schnell ist hier nunmal sehr wenig möglich. Das ist das Problem mit dieser Epidemie, sie verbreitet sich rasend schnell. Dazu kommt noch dass Deutschland inzwischen außer Autos scheinbar nichts mehr herstellen kann, noch nicht einmal Masken.

      Und so hat man sich dann darauf beschränkt, Panik zu vermeiden, während man sich alle Maßnahmen verkniffen hat, die etwas gebracht hätten.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @Mustardman:

        Natürlich kann man dass, nur ist keiner bereit für 2€/h zu arbeiten . Man kann sich Masken auch selber nähen, ca 1h Arbeit , aber Papa Staat muß es richten.



        Man muss auch nicht mit der U- Bahn oder dem Bus fahren. Warum muss eigentlich immer der Staat alles verbieten? Kann man nicht einfach selbstverantwortlich handeln, die Informationen über das Virus sind doch schon seit 2 Monaten bekannt.

        • @97287 (Profil gelöscht):

          Wenn mich das Jobcenter vorlädt werde ich mir kaum ein Taxi nehmen.

          • 9G
            97287 (Profil gelöscht)
            @Hannes Hegel:

            Genau das meine ich .Mit dem Rad oder eben zu Fuß laufen, jedenfalls in Berlin. Das nächste Jobcenter ist garantiert nicht mehr als 5 km entfernt.