Smartphones im Kampf gegen Corona: Das Datenschutz-Dilemma
Darf der Staat den Datenschutz vorübergehend aussetzen, um das Leben vieler Menschen zu schützen? In Südkorea ist die Frage längst beantwortet.
BERLIN taz | Südkorea ist eines der technikgläubigsten Länder der Welt. Als die Infektionszahlen dort im Februar deutlich anzusteigen drohten, machten sich die Programmierer ans Werk, um ihren Teil zur Eindämmung der Epidemie beizutragen. Ein Großteil der Bürger lud Apps wie „Corona 100m“ oder „Corona Map“ auf ihre allgegenwärtigen Smartphones, um ihre Daten für den Kampf gegen das Virus zur Verfügung zu stellen.
Der Blick aufs Display verrät ihnen im Gegenzug, ob sich bestätigt positive Fälle in ihrer Nähe befinden. Nutzer erhalten zudem einen Hinweis, wenn sich herausstellt, dass einer ihrer engen Kontakte der vergangenen Woche positiv auf das Coronavirus getestet wurde.
In solchen Fällen macht der Staat sogar alle aufgesuchten Orte der Infizierten online einsehbar. Die Behörden wissen sogar, wann die Betreffenden in welchem Imbiss etwas gegessen haben – und teilen diese Informationen auch über die Apps.
In Südkorea hat die Technik dazu beigetragen, die Überträger zu erfassen und die Seuche zügig einzudämmen.
„Verhältnismäßige“ Maßnahmen
Diese Erfolge stellen die deutsche Gesellschaft vor ein Dilemma: Die Privatsphäre ist kostbar, und eine vorübergehende Pandemie soll nicht das Tor zu größerer Überwachung aufstoßen. Doch zugleich steht das hohe Gut des Datenschutzes hier gegen den Schutz von Menschenleben – das macht die Abwägung so schwierig.
Die Organisation Human Rights Watch glaubt, dass Südkorea mit der Erfassung aller Details aus dem Leben potenzieller Überträger zu weit geht – Pandemie oder nicht. Auch der deutsche Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber betont, alle Maßnahmen müssen „verhältnismäßig“ sein.
„Alle Maßnahmen müssen erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein“
Doch es gibt auch zahlreiche Abstufungen und Kompromisse in der Nutzung von Handydaten, um Übertragungsketten nachzuvollziehen. Digital-Staatsministerin Dorothee Bär sprach sich bereits grundsätzlich dafür aus, Apps zur Rückverfolgung von Infektionsketten zu nutzen. Dagegen hätte auch Kelber nichts.
Der Digitalverband Bitkom fordert dazu auf, die Chancen der Digitalisierung nicht ungenutzt zu lassen, um Menschenleben zu retten.
Zusammenbruch der Privatssphäre
Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Der südkoreanische Weg stellt das eine Extrem dar. Das Land nutzt ein verschärftes Infektionsschutzgesetz aus dem Jahr 2015, um die nötigen Daten zentral zu sammeln. Sobald eine gefährliche Epidemie erkannt wird, brauchen die Behörden keine Genehmigung mehr zur Speicherung und Verknüpfung aller Informationen, die zur Eindämmung nützen können.
Seitdem häufen sich die Berichte über den Zusammenbruch der Privatsphäre von Infizierten. Für einen Bürger listete die Regierungswebseite einen Aufenthalt in einer Therapiesitzung auf, die er wegen sexueller Übergriffe besuchen musste – für alle Welt sichtbar, für die Medien, den Arbeitgeber, Freunde und Verwandte. Das berichtet der Sender BBC. Auch Bilder von Überwachungskameras fließen in die Totalerfassung ein.
Eine Stufe weniger übergriffig ist das Vorgehen in Ländern wie Singapur und nun auch Österreich, das mit „Stopp Corona“ eine entsprechende App einsetzt. Diese weisen anonymisiert auf zurückliegende Kontakte mit Infizierten hin, wenn es sie gegeben hat. Die Installation ist freiwillig.
Bär hält sie für ein geeignetes Modell für Deutschland – schließlich stimmt der Benutzer wie bei anderen Apps der Verarbeitung der Daten zu. Auch deutsche Entwickler arbeiten im Auftrag des Robert-Koch-Instituts an so einer Anwendung.
Freiheit gegen Freiheit
Eine dritte Möglichkeit kommt ganz ohne eigene Apps oder Sonderbefugnisse der Regierung aus – und auch sie ist in Deutschland in der Diskussion: Die Mobilfunkfirmen wie Telekom, Vodafone und O2 orten ihre Nutzer nämlich ohnehin zumindest annäherungsweise.
Sie können an der Stärke der Funksignale ablesen, wie weit jedes Handy von den umliegenden Mobilfunkmasten entfernt ist. Auch damit lassen sich Bewegungstagebücher von Bürgern anlegen.
Auch wenn das Vorhaben nach Kritik aus der SPD auf Eis liegt, hat Gesundheitsminister Jens Spahn weiter große Sympathie für diese Idee: „Wir stehen möglicherweise vor der Frage, ob wir bestimmte Freiheiten des Alltags leichter zurückbekommen können, wenn es gleichzeitig möglich ist, sehr schnell Infektionsherde zu erkennen.“
Leser*innenkommentare
Filipp Jd
Datenschutz aufzugeben hat noch nie Leben gerettet. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Saber Baser
These 1: Alle Daten die aufgenommen oder erhoben werden, werden früher oder später auch gespeichert. Oft ist es technisch gar nicht anders möglich.
These 2: Alle Daten, die "temporär" gespeichert werden, werden früher oder später dauerhaft gespeichert. Und seien es legale Backups oder illegale Kopien durch Hacker.
These 3: Alle Daten, aus denen irgendjemand einen politischen oder ökonomischen Vorteil ziehen kann, werden früher oder später auch so verwendet, legal oder illegal.
Aus den drei Thesen folgt, daß man soweit möglich schon den Erhebung der Daten vermeiden muß.
Trotz Corona: Ich schaffe mir kein Handy an und zahle weiterhin mit virenverseuchtem Bargeld!
Sonnenhaus
Datenschutz aufzugeben hat noch nie Leben gerettet.
Eher das Gegenteil ist der Fall.
Drabiniok Dieter
Es gibt einen Menschen auf der Welt, der sich fragen wird, weshalb habe ich mein Leben riskiert, warum lebe ich fern der Heimat im verborgenen Asyl? Er heißt: Edward Snowden.
Freiheiten mussten gegen die Herrschenden erkämpft werden. Sie freiwillig in der Hoffnung aufzugeben, dass man sie schon irgendwann wieder zurückbekommt, gründen auf Treibsand. Die Zahl der globalen Problemlagen wachsen auch neben Corona. Und mit ihnen autokratische Regierungen. Angst fressen Seele und Vernunft auf!
nanymouso
Ich finde der Artikel verkennt die (nicht nur) deutsche Problematik mit der Ausgewichtung von Datenschutz und Infektionsschutz. Seit die Politik verstanden hat, dass man alles Mögliche mit den Daten seiner Bürger anstellen kann, sind die Bürger von den Politkern ausnahmslos(!) belogen und betrogen worden, wenn es um Privatsphäre-Reduktion gegangen ist. Jedes einzelne Gesetz, das dazu erlassen wurde, ist nachträglich und unter fadenscheinigen Vorwänden, erweitert worden, um in vollkommen neuen Kontexten die erhobenen Daten der Bürger zusammenzuführen und auszuwerten. Und wenn nicht, werden die Daten dennoch illegal zusammengeführt, bis das Verhalten nachträglich legalisiert wird.
Es geht nicht um Privatsphäre von heute gegen Menschleben von heute. Es geht um Menschenleben von heute gegen menschenwürdiges Leben von morgen.
Diese Gesetze werden niemals wieder aufgegeben werden, wenn damit auch nur ein einzelner sogenannter Kinderschänder oder Terrorist gefasst werden konnte oder irgendein Innenminister auch nur das Gefühl hat, dass man damit Gefährder identifizieren kann.
Thomas Schöffel
Ich glaube der Zusage nicht, daß die einmal gewonnenen Daten wirklich gelöscht werden. Ich habe das einmal in einem Verkehrprozeß vor Gericht mitgekriegt. Da sagte der Richter: "Wie ich sehe, haben Sie ja vor langer Zeit schon mal da ein Problem gehabt. Das steht hier zwar als gelöscht (!), aber wir wollen da jetzt trotzdem....". Man sieht also, das Daten zwar mit einem Löschvermerk versehen werden, aber richtig weg sind sie nicht.