Einblick in eine Mikrochip-Fabrik: Wie aus Waffeln Chips werden

Der größte Mikrochip-Betrieb Europas ist in Sachsen. Hier werden die Vielkönner hergestellt, die manchmal kleiner als ein Fingernagel sind.

Mitarbeiter der Chipfabrik in Schutzanzügen

Keine Szene aus „Clockwork Orange“, sondern aus der Waffelfabrik Foto: Sven Döring/laifSven Döring/laif

DRESDEN taz | Von außen sieht die hochmoderne Fabrik wie ein Kongresshotel mit einem riesigen Parkplatz aus: Die Autos von 3.200 Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Unternehmens Global Foundries müssen hier Platz finden. Statt wie üblicherweise in den Foyers großer Hotels hängen im Eingangsbereich von Global Foundries aber keine Konterfeis prominenter Gäste, sondern reihenweise sogenannte Wafer, zu deutsch: Waffeln.

Wafer sind tellergroße Siliziumplatten, die bronze- und regenbogenfarben schimmern und wie übergroße CDs aussehen. Ohne diese Wafer gäbe es nicht, worüber gerade alle reden: heißbegehrte Mikrochips. Denn auf solchen Wafer-Platten werden diese produziert.

Die Wafer im Eingangsbereich hier dienen zwar nur noch als dekorativer Hintergrund, auf dem die neuesten Patente des Unternehmens angebracht werden. Aber die Frage stellt sich natürlich: Was kann diese Firma, was andere nicht können? Was ist so schwierig daran, Mikrochips herzustellen? Und warum funktioniert ohne sie nichts?

Der größte Standort für Mikrochip-Herstellung in Europa

Global Foundries ist die größte Chipfabrik in ganz Europa und steht im Norden Dresdens. Sachsen war schon zu DDR-Zeiten das Zentrum für Mikroelektronik, mittlerweile ist die Gegend wegen der Fabriken, der Zuliefererfirmen und Forschungsinstitute der größte Standort für die Mikrochip-Herstellung in Europa: das sogenannte Silicon Saxony.

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Silicon, zu Deutsch Silizium, ist die Grundlage der Mikrochip- und Halbleiterindustrie. Der Unterschied zwischen beidem? Ein Chemiker des Elektroindustrieverbands ZVEI erklärt es so: Silizium ist ein Halbleiter, man kann einstellen, ob es leitet oder nicht. Diese Eigenschaft nutzen die Hersteller, um kleine elektronische Schalter, sogenannte Transistoren zu bauen. Die werden dann in die Schaltkreise der Mikrochips gesteckt. Halbleiterfabrik und Mikrochip-Fabrik meinen also dasselbe.

In der Dresdner Mikrochip-Fabrik treffe ich Guido Überreiter. Er nennt sich „Vice President für Pre- und Postfab“. Seine Aufgabe ist es, sich darum zu kümmern, wie die Baupläne für die Chips in die Fabrik kommen und was mit den Chips anschließend passiert.

Normalerweise ist er zu diesem Zweck viel unterwegs. Und selbst in Coronazeiten hat er nur wenig Zeit, um Jour­na­lis­t:in­nen herumzuführen. Vor über 20 Jahren begann er für Global Foundries zu arbeiten, nur wenige Jahre nachdem die Fabrik in Dresden gegründet wurde.

Seitdem hat sich die Produktionstechnologie der Mikrochips rasant weiterentwickelt. Ein Gründer der Chipfirma Intel, Gordon Moore, hatte 1965 prophezeit, dass sich alle anderthalb Jahre die Anzahl der Transistoren auf einem Chip verdoppeln würden, und damit seine Leistung. „More Moore“ ist seither das Motto der Chipindustrie. Sie gibt den Takt an für das internationale Wettrennen, in dem es darum geht, immer schnellere, immer bessere Chips herzustellen.

Winzigkleine Transistoren

Kaum ein Gerät funktioniert noch ohne sie: Ein Handy allein braucht mehrere Dutzend Chips: zum Übersetzen der Tippbefehle in elektrische Signale, zur Weiterverarbeitung dieser Information, zum Rechnen und zum Speichern.

Für den Rechenprozess sind mittlerweile Milliarden Transistoren auf einem Chip. Die sind teilweise so winzig geworden, dass es gar nicht möglich ist, die Transistoren noch weiter zu verkleinern.

Damit diese komplizierten Schaltkreise funktionieren, darf kein Staub an die Mikro­chips gelangen: „Wenn ein Staubkorn auf den Chip kommt, ist das wie ein Felsbrocken auf einem Blumenbeet“, sagt Karin Raths, Pressesprecherin von Global Foundries. Die Mikrochips werden deswegen in einem sogenannten Reinraum hergestellt. Die Maschinen darin laufen vollautomatisch.

Nur Mit­ar­bei­te­r:in­nen von Global Foundries dürfen den Reinraum betreten, und das auch fast nur zu Zwecken der Wartung. Zwei Stunden vorher dürfen die, die in den Raum wollen, nicht mehr rauchen. Denn so lange könnten sie noch Rußpartikel ausatmen, die den Raum verunreinigen würden. Eine Pumpe sorgt außerdem dafür, dass der Raum ständig von Staubpartikeln gereinigt wird.

Wer draußen bleiben muss, kann immerhin den Umkleideraum sehen: Die Mit­ar­bei­te­r:in­nen ziehen sich mit Baumwollhandschuhen ein Haarnetz, eine Maske und eine Haube über und nehmen einen weißen Ganzkörperanzug von der Stange. Am Ende tauschen sie die Baumwoll- gegen Silikonhandschuhe. Sie sehen so aus, als würden sie einen Corona-Schutzanzug tragen.

Wegätzen, polieren, reinigen

Coronaregeln sehen einige Mit­ar­bei­te­r:in­nen trotzdem locker und tragen ihre Maske unter der Nase. Pressesprecherin Raths signalisiert ihnen, dass sie die Maske hochziehen sollen. Erst dann dürfen sie den Reinraum betreten.

Im Reinraum schleudert eine Maschine einen lichtempflindlichen Lack auf die Wafer. Ein Transportsystem an der Decke greift dann die Wafer und bringt sie zur nächsten Maschine: der Lithografiemaschine. Die funktioniert wie eine analoge Kamera: Sie überträgt den Bauplan durch Beleuchtung auf den Wafer. Der Lack auf den Bereichen, die beleuchtet werden, wird dann von einer anderen Maschine weggespült.

Es folgen über eintausend weitere Arbeitsschritte: Metall wird aufgetragen, weggeätzt, poliert, gereinigt. Erst nach zwei bis drei Monaten sind die Chips mit ihrem komplizierten Transistoren-Schaltkreis fertig.

Da die Transistoren, die elektronischen Schalter, immer kleiner werden, müssen die Maschinen extrem präzise sein. Deshalb sind sie auch sehr teuer: Eine einzige Maschine kann so viel kosten wie eine Boeing 747, man muss also eine Summe im dreistelligen Millionenbereich lockermachen. Bei Global Foundries Dresden haben sie mehrere Dutzend Maschinen – die genaue Zahl wollen sie nicht sagen.

Wenn die Wafer fertig präpariert sind, werden sie an Schnittlinien zersägt, in Plastikhüllen verpackt und so verbaut. Davor aber muss das Labor ihre Funktion prüfen. Dafür haben sie in Dresden Mikroskope, die sogar einzelne Atome sichtbar machen können. So können die Mit­ar­bei­te­r:in­nen Fehler an Teilchen finden, die so klein sind wie ein Golfball im Vergleich zu Sachsen.

Die Zukunft des Silicon Saxony

Die Coronapandemie hat auch hier einiges durcheinandergewirbelt. Zwar lief die Fabrik auch während der Pandemie 24 Stunden durch, aber nicht immer mit voller Auslastung. „50 Prozent Auslastung hält man nicht lange durch“, sagt Überreiter. Pleite gegangen sei zwar keine Chipfabrik, sagt der Verein Silicon Saxony. Die Angst davor sei aber groß gewesen.

Dabei hat die Branche gute Aussichten. Der Elektroindustrieverband rechnet mit einem Wachstum der Mikroelektronikbranche von etwa 7 Prozent pro Jahr. Wegen der steigenden Nachfrage investieren gerade mehrere Hersteller in neue Fabriken. Die EU, Deutschland und Sachsen wollen diese Industrie fördern. Gleichzeitig steigt der Anteil Asiens in der Halbleiterproduktion. Nur noch 10 Prozent der Produktion findet in Europa statt.

Dafür hat sich Europa eine andere Nische gesucht: „In einem Gerät braucht man einen Superprozessor und dazu viele andere Chips“, erklärt Überreiter. Der Prozessor ist das Gehirn, also der Hauptrechner des Handys. Der kann aber nur rechnen und ist sehr teuer, in einem Handy zum Beispiel braucht man nur einen davon – und für die restlichen Funktionen ganz viele andere.

Global Foundries entschied sich deshalb vor drei Jahren, keine Superprozessor-Chips mehr herzustellen. Jetzt produziert die Firma nur noch die anderen Chips, die zwar weniger Rechenleistung haben, dafür aber andere Dinge können, wie Informationen speichern oder Audiosignale verarbeiten.

Vielleicht weil die Superprozessoren immer noch mehr Prestige bringen, nennen sie diese Strategie hier mit ein bisschen Trotz: „More than Moore.“ Will sagen: Wir können mehr als bloß immer mehr Transistoren auf die Platte bauen. In Europa wird ein Viertel dieser Mehrfachkönner-Chips hergestellt. Auch hier ist die Konkurrenz groß. Aber Überreiter und auch der Elektroindustrieverband sind sich einig: Auf diesem Feld hat Europa zumindest noch eine Chance mitzuhalten.

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