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Einberufung in RusslandErst überwacht, dann an die Front

Der russische Staat geht immer strenger vor, um Männer für das Militär zu rekrutieren. Kritiker sprechen bereits von einem „elektronischen Gulag“.

Rekruten der russischen Armee auf dem Weg zur Front im September 2022 in der Wolgograd-Region Foto: ap

Kiew taz | Mit einer neuen Gesetzgebung will der russische Staat Wehrpflichtige stärker kontrollieren und so sicherstellen, dass den eigenen Truppen im Krieg gegen die Ukraine nicht die Männer ausgehen. Bereits am vergangenen Samstag unterzeichnete Präsident Wladimir Putin dazu das Gesetz über elektronische Vorladungen zu Erfassungen und die Schaffung eines einheitlichen Registers der Wehrpflichtigen. Zuvor war es von Duma und Föderationsrat angenommen worden.

Bisher konnte sich in Russland jeder einer Einberufung entziehen, wenn er für die Wehrbehörden nicht erreichbar war. Wer also in einer Wohnung lebte, in der er nicht wohnbehördlich gemeldet war, brauchte sich auch nicht vor einer Einberufung fürchten. Damit ist nun Schluss: Eine Vorladung zur Erfassung und Einberufung gilt jetzt bereits als zugestellt, wenn sie per E-Mail versandt wurde. Heißt: Die Begründung, man habe seine Mails nicht gecheckt, ist fortan keine Ausrede mehr.

Die Vorladungen werden an den Account eines Bürgers im staatlichen Portal „Gosuslugi“ versandt. Wer sich nicht um seine auf diesem Portal bereitgestellten Nachrichten kümmert, hat nun das Nachsehen: Wer eine Einberufung „erhalten“ hat, darf Russland nicht mehr verlassen. Wenn er sich nicht innerhalb von 20 Tagen bei der Einberufungsstelle meldet, darf er zudem kein Auto mehr fahren, keine Immobilien erwerben, keine Kredite aufnehmen und sich nicht als Selbständiger registrieren lassen.

Doch damit nicht genug. Moskau hat inzwischen auch ein Gesichtserkennungssystem installiert, mit dem wehrpflichtige Bürger ausfindig gemacht werden sollen, berichtete der Militärkommissar der Hauptstadt, Oberst Maxim Loktew, jüngst der Nachrichtenagentur TASS.

Zwar versprach Loktew, dass kein Wehrpflichtiger in den ukrainischen Kampfgebieten eingesetzt werde. Die meisten Einberufenen müssten ihren Wehrdienst im westlichen Militärbezirk ableisten. Allerdings befinden sich eben dort Städte wie Belgorod, Brjansk und Kursk, die regelmäßig von ukrainischer Seite beschossen werden.

Selbst das Tragen von Mützen oder Masken schützt nicht

Gegenüber dem vom US-Kongress finanzierten Portal Krym Realii erklärte der Journalist Andrei Sacharow, dass es schwierig sei, sich dieser totalen elektronischen Kontrolle zu entziehen. Er geht davon aus, dass dieses Überwachungssystem bereits seit Monaten besteht. So wisse er von jungen Männern, die im vergangenen Herbst Besuch von der Wehrbehörde erhalten hätten – obwohl sie in der Wohnung, in der sie sich aufhielten, gar nicht gemeldet waren.

Für die elektronische Überwachung, führt Sacharow aus, sei es nicht schwierig, herauszufinden, ob eine Person regelmäßig einen Ort aufsuche oder ob ein Besuch nur einmalig sei. Wenn eine Überwachungskamera regelmäßig einen Mann filme, der den Müll entsorge, könne man davon ausgehen, dass dieser auch in diesem Haus wohne, so der Journalist.

Wenn man also wissen wolle, wo eine Person wohne, brauche man nur dessen Foto in das System eingeben und schon wisse man, wo dieser wohne. Schließlich würden ja Hauseingänge und Freisprecheinrichtungen an Türen von Kameras überwacht. In Moskau, so Sacharow, sei eine aus Belarus stammende Software installiert, die in Belarus Personen ausfindig machen konnte, die an Demonstrationen teilnahmen. Selbst das Tragen von Masken oder Mützen verberge nicht die Identität, da die Software Personen auch aufgrund ihrer Silhouette identifizieren könne.

Angesichts von mehreren hunderttausend Mobilisierten komme nun als Nächstes sicherlich ein Gesetz zu elektronischen Beerdigungen, kommentierte der Politologe und ehemalige Redenschreiber Putins, Abbas Galljamow, das Gesetz mit reichlicher Portion Sarkasmus.

„Mit diesem Gesetz wollen die Machthaber den massiven passiven Widerstand derjenigen brechen, die nicht in den Krieg ziehen wollen“, sagte der russische Anarchist Andrei, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, der taz. Nun werde den Machthabern eine riesige, einheitliche Datenbank zur Verfügung stehen, in der sich alle Daten, von den Finanzbehörden bis zu den Krankenhäusern, abrufen ließen. „Damit kann der Staat die Bevölkerung vollständig überwachen, ein elektronischer Gulag.“

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13 Kommentare

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  • Ich will jetzt mal nicht sagen: "Videoüberwachung ist doof, ich habs doch schon immer gesagt". Aber zum Nachdenken anregen würde ich schon wollen.

    • @Bunte Kuh:

      wieso? - ich habe doch nichts zu verbergen...........

  • Die Diktaturen wollen so werden wie China: die komplette Überwachung. Und China liefert gerne das komplette Paket an Hardware , Software und Schulung. In den Iran. Nach Russland, Kuba, Venezuela. Whereever.



    Das macht eine Opposition nicht schwierig- sondern unmöglich. Und das ist das Ziel: Vertreibung oder Inhaftierung.

    • @Monomi:

      Das betrifft nicht nur Diktaturen.



      Auch in Demokratien werden hemmungslos Daten gesammelt. Ich vermute das "die komplette Überwachung" in westlichen Staaten ähnlich umfangreich ist. Den einzigen Vorteil den wir im Westen noch haben, die Auswertung der Daten kostet Geld, sobald eine Finanzierung von interessierter Seite gewährleistet ist: - sind deine Träume, Gedanken und Wünsche in guten Händen.

  • Find ich gut, denn so werden immer mehr Leute einberufen die schlicht keinen Bock auf den Scheiß haben. Passiver Widerstand dann im Einsatz hoffentlich inklusive. Mögen möglichst alle heil aus der Sache rauskommen.

    • @Tom Farmer:

      Bitte nicht so naiv! - Erst mal in dem System/ Situation gibt es so gut wie keinen passiven Widerstand - nur noch fressen und gefressen werden. Das kann man nachlesen. Leider sind die, die den 2. Weltkrieg als Soldaten überlebt haben mittlerweile fast ausgestorben, aber die Kriegserlebnisse, die Zwänge beim Militär und die pers. Verrohung sind aufgezeichnet.

  • Das ist eine bedrohliche Situation.



    Es zeigt allerdings auch, dass in Russland keineswegs Alle überzeugt in den Krieg ziehen wollen.



    Interessant wäre auch ein Blick in die Ukraine zu diesem Thema.



    Angeblich stirbt man hier ja gerne für sein Land.



    Das erscheint mir auch eher Propaganda zu sein, Krieg hat nur aus der Ferne mit Ruhm und Ehre zu tun.



    Aus der Nähe stellt es sich als Dreck,Leid und Tod heraus.

    • @Philippo1000:

      Es ist etwas fundamental anderes, als Angreifer in einen sinnlosen Krieg geschickt zu werden, als als Verteidiger Leben und Freiheit aller zu schützen.

      Die Ukrainer haben keine Wahl. Russland schon.

      • @Suryo:

        Welche Wahl haben jetzt die eingezogenen Menschen?



        Auf beiden Seiten werden die Menschen nicht gefragt ob sie für das Mutter/Vater -Land kämpfen wollen oder nicht. Der einzige Ausweg = Beziehungen + Geld

        • @paul meder:

          Russland hat den Krieg angefangen.

          Die Ukraine muss sich verteidigen, Russland musste aber nie angreifen.

          Russland ist Schuld an JEDEM Toten dieses Krieges, so, wie Deutschland schuld war an JEDEM Toten des Zweiten Weltkrieges. Hier gibt es keine Mitte. Allein Russland hat schuld.

          • @Suryo:

            Ich rede von Menschen - sie von Staaten.



            Da gibt es einen Unterschied.

      • @Suryo:

        Ja, es schien schon von Anfang an so zu sein, dass die Ukrainer keine Wahl hätten. Die müssen Alle an die Front, ob sie wollen oder nicht.



        Wie wir aus dem Artikel erfahren, haben die Russen scheinbar auch keine Wahl (mehr).

        • @Philippo1000:

          Die Russen lassen den Ukrainern keine Wahl.

          Aber das verstehen Sie nicht. Sie verstehen immer nur Russland.