piwik no script img

Ein halbes Jahr nach dem Putsch in NigerNiger öffnet Migrationsroute

Nigers Militärregierung setzt das Verbot des Transports von Migranten Richtung Libyen wieder aus. Darauf basierte die Partnerschaft Nigers mit der EU.

Jetzt wieder möglich: Migranten aus Drittstaaten reisen im Juni 2018, von Agadez, Niger, nach Libyen Foto: Jerome Delay/ap

Berlin taz | Die durch einen Putsch an die Macht gekommene Militärregierung Nigers hat ein wichtiges Gesetz gegen die irreguläre Migration Richtung Europa aufgehoben. Lokale Medien berichteten am Sonntag, dass Übergangspräsident General Abdourahmane Tchiani diesen Schritt mit den Sanktionen der EU gegen sein Land begründet habe.

Das nun aufgehobene Gesetz aus dem Jahr 2015 stellte es unter Strafe, Menschen in Niger, die weder nigrische noch libysche Staatsangehörige sind, in Richtung Norden zu transportieren. Das griff in dem Gebiet nördlich der zentralnigrischen Stadt Agadez. Aus diesem Handelsknotenpunkt mitten in der Wüste starteten früher Konvois mit Hunderten Pick-Ups voller Reisender aus anderen afrikanischen Ländern in Richtung Süd-Libyen. Auf dem mehrtägigen Weg durch die Zentral-Sahara wurden sie oft von nigrischem Militär eskortiert.

Es handelte sich dabei nicht um Schlepperei, denn in Niger hielten sich die Fahrgäste legal auf. Gleichwohl wurde das Transportgeschäft verboten – offiziell, um zu verhindern, dass die Menschen in Libyen gefangen genommen werden oder im Mittelmeer ertrinken.

Niger galt mit diesem harten Kurs gegen Transitmigration lange als „Musterschüler“ der EU im Sahel. Das Land liegt im Zentrum der wichtigsten Migrationsroute aus Westafrika nach Europa. Hunderttausende zogen jedes Jahr auf dem Weg zum Mittelmeer aus Westafrika durch Agadez. Seit 2016 hatte die EU deshalb versucht, Niger bei der Migrationsabwehr auf seine Seite zu ziehen – und dafür die Hilfszahlungen um insgesamt weit über eine Milliarde Euro aufgestockt.

Kooperationen seit dem Putsch weitgehend gekappt

Eine der wichtigsten Gegenleistungen der Regierung in Niamey bestand darin, das 2015 beschlossene Gesetz ab Herbst 2016 auch tatsächlich umzusetzen. Hunderte Fahrer wurden festgenommen, ihre Pick-Ups beschlagnahmt. Wer seither nach Libyen will, muss erheblich mehr Geld auf den Tisch legen und deutlich längere und gefährlichere Wege durch die Wüste in Kauf nehmen.

Die wirtschaftlichen Folgen des Gesetzes sind in Nord-Niger einschneidend gewesen

Die Folgen sind dramatisch gewesen. Vincent Cochetel, Sondergesandter des UNHCR, sagte 2019: „Wir gehen davon aus, dass vermutlich mindestens doppelt so viele Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer sterben wie im Mittelmeer selbst.“ Auch die wirtschaftlichen Folgen des Gesetzes sind im Norden Nigers einschneidend gewesen und führten zu Unmut in der Bevölkerung, den die Regierung mit EU-finanzierten Hilfsprojekten aufzufangen versuchte.

Doch seit dem Putsch im Juli hat sich das Verhältnis der EU zur Regierung in Niamey massiv verschlechtert. Das Einfrieren von EU-Budgethilfen hatte unter anderem zur Folge, dass auch viele nigrische Staatsbeamte keine Gehälter mehr bekommen.

Die Regierung ihrerseits ist mit einer scharfen antikolonialen Rhetorik auf Distanz zur EU gegangen – muss allerdings auch mit den Folgen der Sanktionen ihrer Nachbarn in der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas kämpfen. Die Sanktionen des Energielieferanten Nigerias etwa treffen die Stromversorgung des Landes empfindlich.

Nach dem Putsch wurden EU-Kooperationsprojekte, Militärkooperation und in weiten Teilen des Landes auch die Arbeit von Hilfsorganisationen eingefroren. Eingeschränkt wurde auch die Arbeit der EU-Unterstützungsmission Eucap, bei der Sicherheitskräfte ausgebildet werden. Seit Ende Juli seien „alle operationellen Aktivitäten der Mission bis auf Weiteres suspendiert“, zitierte kürzlich der Spiegel den deutschen Eucap-Sprecher. Eucap hatte ab 2019 unter anderem eine neue Grenzschutzeinheit für Nigers Grenzregion mit Nigeria aufgebaut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wie viele auf dieser 3000km langen Fluchtroute kommen denn überhaupt in Tripolis oder einer anderen der Schlepperbrennpunkte an?