Putsch in Niger: Der „Stabilitätsanker“ löst sich

Kein Land in der Sahelzone beherbergt so viele ausländische Eingreiftruppen und wird so gern von deutschen Ministern besucht wie Niger. Und jetzt?

Soldaten mit Maschinengewehren auf einem Pickup

Nigrische Soldaten verlassen das Camp der Bundeswehr in Tillia Foto: Michael Kappeler

taz | Kaum eine Armee der Welt wächst so schnell wie die der Republik Niger. Von gut 5.000 Soldaten vor zehn Jahren stieg die Truppenstärke der Forces Armées Nigériennes (FAN) bis zur Amtsübernahme des jetzt gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum 2021 auf 11.000, vergangenes Jahr waren es 30.000. Bis 2025 soll Niger 50.000 Soldaten unter Waffen haben, bis 2030 100.000.

Unter Präsident Bazoum ist Nigers Verteidigungshaushalt entsprechend gewachsen, nach mehreren Jahren Stagnation: Von umgerechnet 171 Millionen Euro im von Bazoum geerbten Staatshaushalt für 2021 auf 230 Millionen im Jahr 2022 und 307 Millionen im laufenden Jahr 2023. Gleichzeitig ergießt sich ausländische Militärhilfe in das Land, dem eine Schlüsselrolle im Kampf gegen grenzüberschreitend agierende Terrorgruppen zugeschrieben wird.

Die USA und Frankreich rüsten Niger auf, zu anderen wichtigen Rüstungslieferanten gehören China und Algerien. Deutschland genehmigte dieses Jahr Exporte umgerüsteter Hubschrauber zur Grenzüberwachung samt Überwachungstechnik. Ägypten überließ Niger vor drei Wochen Spähpanzer und Artillerie und große Mengen Waffen und Munition zum Antiterrorkampf. Zum gleichen Zweck hatte wenige Tage zuvor die Europäische Union verkündet, Niger werde das erste Land in Afrika, für das die EU „letale Militärhilfe“ finanzieren werde, etwa moderne Ausrüstung für Kampfhubschrauber. Auf 100 Millionen Euro beziffert die EU ihre gesamte Hilfe für Nigers Sicherheitssektor; die der USA ist ähnlich hoch. Bis zu 1.100 US-Soldaten sollen präsent sein, US-Spezialkräfte leiten aus ihrer Basis bei Agadez in Nigers Saharawüste Drohneneinsätze gegen islamistische Terroristen.

Nigers islamistische Terrorgruppen agieren aber nicht bloß wie in Mali in fernen Wüsten und Savannen, sondern auch im Umland der Hauptstadt. Intensive Kämpfe gab es zuletzt nahe der Grenze zur Burkina Faso: Nigrische und französische Kräfte nahmen Anfang Juli zwei wichtige Führer des „Islamischen Staates in der Großen Sahara“ (ISGS) fest, der grenzüberschreitend sowohl gegen Regierungstruppen als auch gegen rivalisierende Islamisten kämpft.

Von deutschen Soldaten ausgebildete Putschisten?

Der Flughafen der Hauptstadt Niamey ist ein Drehkreuz für die Logistik ausländischer Truppen in der gesamten Sahelzone. Als Frankreich 2022 seine 4.500 Mann starke Anti-Terror-Eingreiftruppe „Bar­khane“ aus Mali abzog, weil die dortigen Militärherrscher sie nicht mehr haben wollten, ging sie nach Niamey. „Bar­khane“ ist jetzt abgewickelt, aber 1.500 französische Soldaten sind in Niger geblieben.

Ebenfalls nach Niger zog vergangenes Jahr die EU-Ausbildungsmission für Malis Armee. Sie geht nun in der EU-Partnerschaftsmission „EUMPM Niger“ auf, die „Kapazitätsaufbau“ für Nigers Streitkräfte betreiben soll. Das ersetzt auch die Bundeswehr-Ausbildungsmission „Gazelle“ für Nigers Spezialkräfte. Unklar war am Donnerstag, ob am Putsch deutsch ausgebildete Spezialkräfte beteiligt sind.

Am Flughafen Niamey befindet sich auch der Luftwaffenstützpunkt der Bundeswehr, über den der Bundeswehr­abzug aus der UN-Mission in Mali läuft: Deutsche Transportflugzeuge aus Niamey holen in Gao, wo das Bundeswehrkontingent in Mali steht, regelmäßig Material und Personal ab. Das geht jetzt nicht mehr, denn am Mittwoch sperrte Niger seinen Luftraum bis 4. August. Es würden jetzt Alternativen zu Niamey geprüft, heißt es in der Bundesregierung.

Der Putsch zwingt also dazu, die immer engere deutsch-nigrische Kooperation zu überdenken. Angela Merkel besuchte Niger öfter als jedes andere Land in Afrika. Olaf Scholz war als Bundeskanzler auch schon in Niger, ebenso Anna­lena Baer­bock, Christine Lambrecht, Boris Pistorius und Svenja Schulze. Deutschland hat Niger zum Stabilitäts­anker in der Sahelzone erklärt. All das dürfte in Frage stehen, wenn sich in Niger dauerhaft ein Militärregime analog zu denen in Mali und Burkina Faso etablieren sollte, vielleicht sogar verbündet mit Russland.

Schon zuvor gab es Putschversuche

Nach dem Putsch schlug Nigers neue Militärjunta am Donnerstag einen schärferen Ton gegenüber Frankreich ein und kritisierte, dass trotz Sperrung des Luftraums eine französische Militärmaschine in Niamey gelandet war. Ein Dauerstreitpunkt ist außerdem Nigers Uran. Die von Frankreich kontrollierten Uranminen in Nigers Wüste powern die französische Atomindustrie, es gibt darüber in Niger viel Unmut. Nigers Uran ist aber auch für Russland interessant.

Zwischen dem gestürzten Präsidenten Bazoum und Teilen des Militärs knistert es schon länger. Nur zwei Tage vor Bazoums Amtseinführung 2021 scheiterte in Niamey ein Putschversuch einer Luftwaffeneinheit. Der Anführer, Kapitän Sani Gourouza, floh nach Benin. Er wurde ausgeliefert, und von Dezember 2022 bis Februar 2023 stand er mit etwa 60 Mitverschwörern, darunter ein ehemaliger Armeechef, in Niamey vor Gericht. Die fünf höchstrangigen wurden am 24. Februar zu Haftstrafen bis zu 26 Jahren verurteilt. Möglicherweise waren diese Urteile fatal für Präsident Bazoum. Nigers rasant wachsende Armee lässt sich nicht mehr gern in die Schranken weisen.

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