Ein Theater-Abend mit Sophie Passmann: Showpferd im Patriarchat
Humor und Schmerzerfahrungen. Sophie Passmann liefert an ihrem Soloabend „Pick Me Girls“ am Berliner Ensemble Misogyniekritik und Punchlines.
Es dauert nur wenige Minuten, bis wir an diesem Abend bei dem Thema angelangt sind, das die nächsten knapp 90 Minuten bestimmen soll: „Ich“. „Ich“ ist in diesem Fall Sophie Passmann und die Premiere „Pick Me Girls“ im Berliner Ensemble am Donnerstag ein Abend von Sophie Passmann mit Sophie Passmann über Sophie Passmann. Und damit ist ihr gemeinsam mit der Regisseurin Christina Tscharyiski die wahrscheinlich bestmögliche Theateradaption ihres gleichnamigen Buchs gelungen.
Zu „Anti-Hero“, einer Coverversion des Taylor-Swift-Hits, betritt Passmann die Bühne, stellt sich vor den glitzernden Vorhang und die verspiegelte Venusmuschel und erzählt davon, dass sie eigentlich gern jemand anderes wäre. „Ich wäre gerne die Frau, die ich eigentlich wäre.“
„Eigentlich?“, könnte man sich an dieser Stelle nun fragen, doch sie erklärt nur einige Atemzüge später, was sie damit meint: „Ich wäre gerne die Frau, die ich geworden wäre, wenn ich nicht schon ganz früh gelernt hätte, dass es besser ist, so zu sein, wie es Männern gefällt.“
Also anders als andere Frauen, ein sogenanntes Pick Me Girl eben, das ihr Leben vom männlichen Blick prägen lässt und in dem die Bewertungen der anderen das eigene Selbstwertgefühl bestimmen. In der Praxis bedeutet das: Bloß nicht zu anstrengend sein, nicht zu viel Nähe einfordern, sondern einfach ein guter Kumpel sein – aber natürlich mit sexy Brüsten und Po.
„Pick Me Girls“ setzen sich auf misogyne Weise von anderen Frauen ab („Ich bin nicht so wie die anderen“) und würdigen gleichzeitig sich selbst herab („Ich bin nicht so schön / klug / lustig wie sie“). Und so ein Leben hat Folgen für Frauen.
Sie war ein dickes Baby
Davon erzählt Passmann auf der spärlich dekorierten Bühne. Wie sie als dicke Frau in einer Runde dünner Frauen von den Männern nicht einmal begrüßt wurde, wie ein Lover an seinem Geburtstag sich erst mit seiner Ex-Freundin und dann erst mit ihr traf oder wie sie von ihm gefragt wurde, ob sie eine psychische Störung habe, weil sie so einschüchternd sei. All diese Erfahrungen, Kommentare und Blicke haben letztlich zu einer Essstörung und Selbsthass bei ihr geführt.
Eine Frau zu sein kann im Patriarchat ganz schön hart sein, eine dicke Frau zu sein noch einmal härter. Diese Erfahrung hat Passmann von Geburt an gemacht. Daran kann sie sich natürlich nicht mehr erinnern, aber die Familienanekdoten lassen sie es keine Sekunde vergessen.
Wann immer es geht, erzählen sie die Geschichte, wie ihr Vater kurz nach ihrer Geburt nach Hause fahren musste, um einen Strampler zu holen, weil die im Krankenhaus alle zu klein waren. So ein dickes Baby war sie.
Oder wie sie als Teenager mit ihren Freundinnen bei H&M stundenlang vor dem Regal mit den Accessoires verweilte, maritime Seidentücher und Creolen anprobierte, um nicht in die beschämende Situation zu kommen, Hosen anprobieren zu müssen, die ihr eh nicht passen würden. Und auch im Erwachsenenleben wurde es nicht einfacher, erzählt Passmann. „Ich hasse meinen Körper, seitdem ich auf der Welt bin.“
Viel Witz auf der Bühne
Ein harter Satz, den vermutlich viel zu viele Frauen genau so unterschreiben würden. Doch Passmann gelingt es, diese harte Themen mit viel Witz auf die Bühne zu bringen. Wie, wenn sie unangenehme Fotoshootings nachspielt, in denen es keine Klamotten gibt, in die sie passt, oder der Fotograf sie mit Fluchtlichtern ausleuchtet, um möglichst viel wegzublitzen. Humor ist und bleibt eben ein gutes Mittel, um mit eigenen Schmerzerfahrungen umzugehen.
Doch sie verharrt an diesem Abend nicht auf der Humorebene oder in der Selbstkritik, sondern kritisiert das System dahinter. Die Blicke und Sprüche der anderen, die ihr ständig das Gefühl gegeben haben, zu viel zu sein. Sie kritisiert die Frauen, die ihr erst schreiben, dass es so mutig von ihr sei, Urlaubsfotos von sich zu posten, und die ihr nach ihrem Gewichtsverlust schreiben, wie enttäuscht sie nun seien. Doch so berechtigt all diese Kritik auch ist, fehlt hier die Reflexionsebene, dass auch Passmann erst dann all das auf einer Bühne erzählt, als sie nicht mehr dick ist.
Diese Reflexions- und Abstraktionsebene ist es, die auch schon ihrem Buch, das vor gut einem Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist, fehlt. In der Presse kam es damals nicht sonderlich gut an: Zu ichbezogen, pseudofeministisch, oberflächlich lauteten die harten Urteile verschiedener deutscher Leitmedien.
Doch ihrer Fanbase scheint das egal. Sie feiert fast alles, was Passmann auf den Markt bringt. Ihre Bücher („Alte Weiße Männer“, „Absolut Gänsehaut“ und „Pick Me Girls“) standen alle auf der Spiegel-Bestsellerliste, ihr 15-Minuten-Beitrag „Männerwelten“ wurde mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet und ihre Fernsehshow „Neo Ragazzi“ mit Tommi Schmitt und ihr Podcast „Sunset Club“ mit Joko Winterscheidt“ finden regelmäßig ein großes Publikum.
Szenenapplaus und Johlen
Das zeigt sich auch an diesem Abend. Passmann stellt zwar fest: „Du wirst als Frau in der Öffentlichkeit immer radikal unterschätzt oder überschätzt. Man wird nie einfach nur geschätzt.“ Doch an diesem Abend wird sie geschätzt – und wie. Das für das Berliner Ensemble auffallend junge und weibliche Publikum lacht viel, reagiert mit Szenenapplaus und Johlen auf besonders lustige oder politische Punchlines und feiert die Autorin, Schauspielerin und Comedian am Ende des Abends mit minutenlangen Standing Ovations.
Vielleicht auch weil sie die besonders kontroversen Takes und zugespitzten Verallgemeinerungen aus ihrem Buch ausgelassen hat. Wie, dass wir Schönheitschirurgie nur noch ein bis zwei Generationen benötigten, weil es dann keine Mädchen mehr gäbe, die glaubten, dass sie etwas an ihrem Körper verändern müssten. Oder, dass Frauen in der keine Regel keine eigenen Hobbys hätten und nur die ihrer Partner übernähmen.
Stattdessen bleibt Sophie Passmann an diesem Abend einfach bei sich. Und mehr braucht auch nicht auf der Bühne. Als selbst ernanntes „Showpferd“ gelingt es ihr, den ausverkauften Saal zu unterhalten. Neue oder radikale feministische Gedanken finden in der Theateradaption zwar keinen Platz, doch es fühlt sich nach einem gelungenem Comedy-Stand-up an. Und ob man sich mit Sophie Passmanns Erfahrungen nun identifizieren kann oder nicht, darf am Ende des Abends jede_r für sich selbst entscheiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag