Ein Jahr nach dem Anschlag von Hanau: Deine Trauer, meine Trauer
Mitunter wird das Gedenken an Opfer rechten Terrors und islamistischen Terrors gegeneinander ausgespielt. Wer das tut, verharmlost die Gewalt.
![Mit Fotos der Opfer in den Händen erinnern Menschen am Tatort Mit Fotos der Opfer in den Händen erinnern Menschen am Tatort](https://taz.de/picture/4701716/14/26858930-1.jpeg)
B ei den unzähligen Behördenversagen rund um den rassistischen Anschlag in Hanau fällt es schwer, noch mitzukommen. Angehörige der Ermordeten sowie die Überlebenden stellen ihre Fragen unermüdlich: Warum ermittelte die Staatsanwaltschaft nicht gegen den Täter, obwohl ihr sein antisemitisches, rassistisches und misogynes Manifest schon vor dem 19. Februar 2020 vorlag? Warum konnte er legal Waffen besitzen, obwohl er polizeibekannt und mit Zwangseinweisung in der Klinik war? Warum wurde anstelle Vili Viorel Păuns eine Sterbeurkunde auf den Namen seines lebenden Vaters ausgestellt?
Warum wurden die Ermordeten ohne Einverständnis der Angehörigen obduziert? Warum überhaupt, die Todesursache war doch offensichtlich? Warum war der Notausgang in der Arena Bar, einem der Tatorte, versperrt? Warum wurden die Angehörigen so spät informiert? Warum wurden sie wie Täter_innen behandelt? Und nicht vor dem Vater des Täters, der die Ideologie seines Sohns fortsetzt und möglicherweise vom Anschlagsplan wusste, gewarnt?
Für diese Erkenntnisse ist nicht etwa exzellente Polizeiarbeit, wie Hessens Innenminister Peter Beuth die Behörden lobt, verantwortlich, sondern die Überlebenden, Angehörigen und Journalist_innen. Institutionelles Versagen klingt bei diesem Ausmaß beinahe nach einer Untertreibung.
Und dann ist da das gesellschaftliche Versagen. Der 19. Februar 2020 war ein Angriff auf ein Viertel der Gesellschaft. Mindestens. Auf der einen Seite gibt es jene, für die seitdem kein Tag vergeht, an dem sie nicht an Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Fatih Saraçoğlu und Kaloyan Velkov denken. Die auf Demos, Kundgebungen, Sozialen Medien und durch lokale Arbeit erinnern.
Karneval und Breitscheidplatz statt Hanau
Auf der anderen Seite stehen jene, die am 20. Februar 2020 Karneval feierten, oder jene, die am vergangenen Freitag auf Twitter „Breitscheidplatz“ zum Trenden brachten. Sie fühlten sich in ihrem Gedenken an den islamistischen Anschlag vom 19.12.2016 durch Hanau, äh, benachteiligt. Viele Profile dieser Personen lassen vermuten, dass sie außer der Forderung Racial Profiling und Abschiebungen wenig gegen Islamismus unternehmen.
Auf linken Demos gegen Islamismus wird man diese Leute wohl nicht treffen. Auch die Arbeit des Untersuchungsausschusses zum Breitscheidplatz wird sie kaum interessieren, obwohl hier ebenfalls von Behördenversagen die Rede ist. Ihr „Kampf gegen Islamismus“ wird ein völkischer sein, oder er wird nicht stattfinden.
Dass der Jahrestag von Hanau als Anlass genutzt wird, um ein Leid gegen das andere auszuspielen und vom Trauern abzulenken, ist unerträglich. Beide Anschläge waren ein Angriff auf die Gesellschaft. Sie geht in Shisha-Bars und Kiosken und auf Weihnachtsmärkte. Wer nur letzteren Ort als ihr Symbol wahrnimmt, ist Teil ihres Versagens.
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