piwik no script img

Ein Jahr nach Beginn der ProtesteIran? Es ist beschämend!

Gastkommentar von Norbert Röttgen

Die deutsche Iran-Politik lässt zu wünschen übrig. Die Protestbewegung wird nicht unterstützt. Ein Beitrag des ehemaligen Bundesumweltministers.

Der Hintergrund ist wichtig: Hier flattert die iranische Flagge vor dem IAEA-Gebäude in Wien Foto: reuters

V or fast genau einem Jahr wurde Jina Mahsa Amini von den Schergen des Regimes der Islamischen Republik Iran ermordet. Seitdem lehnen sich die Menschen im Iran, angeführt von mutigen Frauen, gegen das Unrechtsregime auf. Das Kopftuch ist zum Symbol der Unterdrückung von Frauen im Iran geworden.

Todesmutig legten Iranerinnen es massenweise ab und gingen auf die Straße, nachdem die Kurdin Jina Mahsa Amini wegen eines falsch sitzenden Kopftuchs zu Tode geprügelt wurde. Ihnen geht es um nicht weniger als den Fall des Re­gimes. Freiheit oder Terror ist die Alternative, vor der die Menschen im Land stehen.

Für ihren Freiheitskampf verdienen sie den größten Respekt und jede Unterstützung, die Deutschland und die Europäische Union leisten können. Aber trotz vollmundiger Versprechungen während der Hochphase der Proteste ist die deutsche und die europäische Iran-Politik der vergangenen zwölf Monate ein beschämendes Beispiel grundlegend fehlgeleiteter und unehrlicher Außenpolitik.

Während uneingeschränkte Solidarität versprochen wurde, bekamen die Menschen im Iran Minimalsanktionen, die weder die Mullahs noch die Iranerinnen und Iraner beeindruckt haben und auch nicht beeindrucken sollten.

Was versprochen wurde und was tatsächlich kam

Norbert Röttgen

ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestags. Von 2005 bis 2009 war Röttgen Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/ CSU-Bundes-tagsfraktion, von 2009 bis 2012 Bundesumweltminister. Mittlerweile versteht er sich als außenpolitischer Experte

Die Diskrepanz zwischen dem, was versprochen wurde, und dem, was dann tatsächlich an Einsatz kam, ist besonders eklatant mit Blick auf die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Sie nimmt für sich eine feministische Außenpolitik in Anspruch, die den Einsatz gegen systematische Unterdrückung von marginalisierten Gruppen einer Gesellschaft ins Zentrum der eigenen Politik rücken will. Wo, wenn nicht im Iran, einem Land, in dem sich ein ganzes Volk, angeführt von Frauen, gegen ein brutales Machtregime auflehnt, könnte es einen offensichtlicheren Anwendungsfall für feministische Außenpolitik geben?

Aber anstatt den Frauen im Iran ihre Stimme zu leihen und damit die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf die Proteste zu lenken, war die Außenministerin auffallend zurückhaltend. Das hat einen einfachen Grund: Die Bundesregierung und die Europäische Union haben sich dazu entschieden, die revolutionäre Bewegung im Iran zugunsten von neuen Atomverhandlungen mit dem Regime auszusitzen.

Die Bundesregierung mag noch so lange behaupten, dass mit dem Iran nicht verhandelt werde. Die Treffen vor allem von Diplomaten der E3, also Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands, mit dem iranischen Vize-Außenminister zeichnen ein anderes Bild. Auf der Ebene der Politischen Direktoren, die schon den Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) verhandelt hatten, sind mindestens drei Treffen in diesem Jahr bekannt: Zwei im E3-Format, eines auf EU-Ebene. Wie der EU-Repräsentant twitterte, ging es dabei explizit auch um das weitere Vorgehen beim JCPoA.

Neue Vereinbarungen?

Es wäre wünschenswert, dass die Ziele der deutschen und europäischen Außenpolitik wenigstens ehrlich benannt würden. Denn nur dann kann man sie auch diskutieren. So wird der Elefant im Raum schlicht ignoriert, der darin besteht, dass das Regime nachweislich kein Interesse mehr am JCPoA hat und sämtliche Vorschläge einer Wiederbelebung im Sommer 2022 abgelehnt wurden.

Warum sollte Teheran auf einmal seine Meinung geändert haben und neue Vereinbarungen anstreben? Zumal das Regime seine Atomwaffenfähigkeit inzwischen so weit gesteigert hat, dass es mindestens kurz davor ist, glaubwürdig mit der Atombombe drohen zu können. Dieses Drohpotenzial werden die Mullahs sich nicht mehr nehmen lassen. Sie spielen mit uns Katz und Maus und schauen genüsslich zu, wie Deutschland und die EU ihnen auf den Leim gehen.

Statt das Regime zu isolieren, wird ihm durch Treffen und Gespräche, die der iranische Außenminister anschließend prompt auf Twitter verbreitet, Legitimation verliehen. Das Regime nutzt dies als Waffe gegen das eigene Volk. Die Botschaft lautet: Seht her, ihr könnt euch noch so sehr auflehnen, Europa wendet sich nicht von uns ab.

Die rote Linie der Mullahs: die Terrorlistung

Dabei hätte die EU es in der Hand, den Mullahs zu zeigen, auf wessen Seite sie steht, indem sie mit der Terrorlistung der Islamischen Revolutionsgarden Ernst macht. Die Terrorlistung wird von den Mullahs als rote Linie begriffen, die – davon muss man ausgehen – zu einem Ende der Atomgespräche führen würde. Darum findet sie nicht statt. Denn rechtlich ist die Terrorlistung der Revo­lu­tions­garden, anders als vom Auswärtigen Amt wieder und wieder behauptet, machbar. Sie ist sogar überfällig.

Allein die Ermittlungen und Anklage des deutschen Generalbundesanwalts im Fall der Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen würden ausreichen. Hinzu kommen Ermittlungen in vielen anderen EU-Staaten und Drittstaaten, die ebenfalls zur Beweisführung herangezogen werden können. Statt immer neue Ausreden anzuführen, sollte sich Außenministerin Baerbock endlich eindeutig und aktiv für dieses Ziel in der EU einsetzen.

Wenn ein ganzes Volk im Hass gegen die Herrschenden geeint ist, dann lässt es sich nicht dauerhaft unterdrücken. Ich habe daher weiterhin Hoffnung, dass es den Menschen im Iran gelingen wird, sich aus der Unterdrückung der Mullahs zu befreien. Darum sind sie es, die wir unterstützen sollten, indem wir mit den Mitteln, die wir haben, dem Regime das Leben so schwer wie möglich machen.

Ein Erfolg der Revolution im Iran, ob heute, morgen oder in einigen Jahren, wäre ein Weltereignis im positiven Sinne. Millionen Menschen würden sich aus der Unterdrückung befreien, Israel wäre ein Stück sicherer und die Dynamik der ganzen Region, in die das Regime Terror exportiert, würde sich zum Positiven verändern. Dass die deutsche und die europäische Außenpolitik diese Chance nicht sehen und auf der falschen Seite der Geschichte stehen, ist ein riesiges Versäumnis. Aber die Iranerinnen und Iraner werden es notfalls auch ohne Hilfe schaffen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Danke Herr Röttgen für Ihren Beitrag.



    die Sanktionswilligkeit unserer Regierung gegenüber dem Iran verhält sich hier wohl gleich wie gegenüber Russland. Und in beiden Fällen ist Atomtechnologie im Spiel. Gegenüber dem Iran werden keine wahren Sanktionen vorgenommen, gegen Russland werden Uranlieferungen nach Deutschland von den Sanktionen ausgenommen.



    Warum dieses Doppelspiel. Damit macht sich unsere Regierung unglaubwürdig und verliert Vertrauen gegenüber der Vertretung von Menschenrechten. Und das alles im Kontext von Religion, Verfolgung und Vernichtung der Juden und unserer Geschichte. Einfach unfassbar wie weit wir zurückgefallen sind in unserer deutschen Haltung.



    Auf deutsche Aussenpolitik ist kein Verlass, wenn es um die Würdigung von Menschenrechten geht. Und besonders kein Verlass wenn es um Unterstützung von Frauen geht, trotz einer Frau im Amt der Aussenministerin.

  • Ein sehr guter, kompetenter und engagierter Kommentar von Herrn Röttgen.

    Bei Baerbock sind die Frauen im Iran sowieso an der falschen Adresse.

    Baerbock unterstützt eher die Gegenseite, so sie vor einigen Monaten im Bundestag von sich gab, der Terror gegen die Frauen im Iran habe nichts, aber auch gar nichts mit Religion zu tun.

    Hallo?

    Der Terror im Iran und ähnlichen Diktaturen basiert auf Religion, einzig und allein auf Religion. Und Chameini gilt als der Großayatollah der Schiiten als Vertreter Gottes.

    Nun Widersprüche kamen umgehend:

    www.emma.de/artike...gion-zu-tun-339811

    www.faz.net/aktuel...welt-18366913.html

    www.focus.de/polit..._id_154731287.html

    www.nzz.ch/feuille...05590?reduced=true

    www.spiegel.de/net...22aa5-d99a-4748-99

    taz: "Wer den Zwang zum Kopftuch, auch Hidschab genannt, durchsetzt, gewinnt letztlich die Möglichkeit, die Sexualität der gesamten Gesellschaft zu kontrollieren. Neben der freien Kleiderwahl von Frauen wurden auch gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie der freie Ausdruck der Geschlechtsidentität kriminalisiert."

    taz.de/Proteste-in-Iran/!5879746/

    Die Postkolonialisten sehen das Kopftuch als Symbol der Freiheit und die Widerstände gegen den Hidschab im Iran als Machwerk des Westens.

    Die Sanktiönchen, von denen Baerbock spricht, tun den Mullahs nicht weh, diese schwimmen in dem Milliarden, die sie dem Volk abgenommen habe.

    Volle Solidarität mit den Frauen im Iran!

  • Röttgen hat vollkommen Recht. Die "Nicht-Sanktionspolitik" von DE und EU ist gesteuert von den USA mit Hinblick auf das Atomabkommen.



    Aber das wird allen nichts nutzen. Der Iran wird seine Bestrebungen Atomwaffen zu produzieren genauso vorantreiben wie die weitere Verknechtung der Frauen im Iran und die Absicht Israel zu zerstören.



    ABER! alle haben haben eines bisher nicht beachtet.



    Israel ist das Zünglein an der Waage.



    Israel wird den Iran und evtl. den Libanon und Syrien auch gegen den Willen der USA vernichten!



    God Save Israel!

    • @Andrew Bear:

      Na ja, das wollen wir nicht hoffen, dass Israel den Iran und weitere Länder vernichtet.

      Dort wohnen Menschen. Menschen, die gar nicht glücklich sind mit ihren Mullah-Diktatoren.

      Menschen, die gegen die revolutionären garen keine Chance haben. Die bereits von Khomeini geschaffen wurden um sich das Volk vom Leib zu halten.

      Tatsächlich finde ich die Lage der Menschen in diesen Ländern aussichtslos. Die Machtinstrumente der Mullahs sind zu stark.

      Und Sanktionen helfen nicht wirklich.

      Das Volk hungert.

      Gleichzeitig gilt meine Solidarität Israel. Die Vernichtung Israels wurde mehrfach von den Mullahs deklariert, z. B. 2015 von Chomeini, der die Vernichtung Israels bis 2040 forderte.

      Seitdem zeigen in Großstädten Irans Digitaluhren die verbleibende Zeit bis 2040 an.

      Und der Iran hat seine Atombomben längst.

  • Es bleibt unklar was genau Herr Röttgen sich hier als viable Außenpolitik gegenüber dem Iran vorstellt. Einfach nicht mehr mit den Mullahs zu reden erscheint mir der Protestbewegung nicht zu helfen. Auch eine Sanktionierung der Revolutionsgarden ist meiner Einschätzung nach keine wirkliche Hilfe, auch wenn sie wünschenswert erscheinen mag.

    Ein robusteres Sanktionsregime wird aber wahrscheinlich genauso wenig helfen, wie ein militärisches Eingreifen.

    Denn die Annahme, dass Sanktionen allein ein Regime stürzen könnten ist quasi das unheilige Zwillingskind, der vielfach wiederlegten "Wandel durch Handel" Doktrin.

    Ganz im Gegenteil, Sanktionen treffen idR zuerst die Bevölkerung und dann das Regime. Sie schwächen eben gerade jene Schichten, die grundsätzlich eine Revolution tragen könnten.

    Von Venezuela, nach Nordkorea, in den Gazastreifen, in Russland, Myanmar, oder auch im Iran. Nirgends haben Sanktionen bisher annähernd die Macht der Diktatoren gefährdet.

    Auch das militärische Liquidieren von Diktatoren hat bisher wenig geholfen, siehe z.B. Lybien.

    mMn ist es nicht so, dass die Iraner das "zur Not auch alleine schaffen."

    Sondern Sie können es meiner Meinung nach NUR alleine schaffen.

    Es wäre vermessen zu glauben, dass wir in Deutschland dies mit reiner Symbolpolitik nachhaltig verändern könnten.

    Was aber wirklich notwendig wäre, wäre eine deutlich härtere Tonart bezüglich der im Iran festgehaltenen und teilweise hingerichteten deutschen Staatsbürger.

    Denn während eine Erneuerung des Irans allein vom Iranischen Volk ausgehen kann,



    ist der Schutz deutscher Staatsbürger originäre Aufgabe der Bundesregierung.

  • Lieber Herr Röttgen, wenn Sie nicht gerade CDU-Mitglied wären, käme die Kritik an Frau Baerbocks emanzipierter Außenpolitik noch glaubhafter rüber.



    Warum allerdings der Iran, seine Regierung also, hier immer noch hofiert wird, ist auch mir schleierhaft. Allein die Belieferung Russlands mit den Shahed-Drohnen schließt dies aus, die atomare Bewaffnung desgleichen. Ich habe keinen Einblick, inwieweit die Bevölkerung des Irans doch von Deutschland/EU aktiv unterstützt wird, hoffe aber, daß diesbezüglich mehr stattfindet als von Ihnen, Herr Röttgen, behauptet.