Ein Jahr SPD, Grüne und Linke in Berlin: Bitte mehr vom Krisenmodus
Haben Franziska Giffey und der rot-grün-rote Senat Berlin besser gemacht? Nicht wirklich. Aber sie haben gezeigt, wie es gehen könnte.
Am Dienstag haben die Regierende Bürgermeisterin, Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) nun ihre Jahresbilanz vorgestellt. Ist Berlin besser geworden? In zwei Wochen soll jeder einen Termin im Bürgeramt bekommen, steht im Koalitionsvertrag. Der nächste Termin, der am Dienstag frei war, ist Mitte Februar.
„Wir dachten schon, Corona wäre eine Herausforderung“, sagte Giffey auf der Senatspressekonferenz im Roten Rathaus. „Aber in diesem Jahr haben sich die Krisen kumuliert.“ Dann verwies die Regierende auf die Digitalstrategie des Landes, die der Senat am selben Tag verabschiedet habe. „Das ist die Grundlage für die digitale Modernisierung der Verwaltung“, betonte Giffey
Schnelles Entlastungspaket
Rückblick Am 21. Dezember 2021 wurde Franziska Giffey vom Abgeordnetenhaus zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt. Vorausgegangen waren teils zähe Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und Linke etwa zum Umgang mit dem erfolgreichen Enteignungs-Volksentscheid. Giffeys einjährige Amtszeit wurde schnell überschattet vom Angriff Russlands auf die Ukraine.
Ausblick Am 12. Februar 2023 dürfen die Berliner*innen erneut das Abgeordnetenhaus wählen. Das Berliner Verfassungsgericht hat die Wahl vom 26. September 2021 wegen zahlreicher Pannen für ungültig erklärt. Für die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ist das die erneute Chance, das Rote Rathaus zu erobern; 2021 landeten die Grünen hinter der SPD, obwohl sie monatelang in Umfragen geführt hatten. (taz)
Eine dysfunktionale Stadt, wie es die Opposition behauptet, ist Berlin dennoch nicht. Ganz im Gegenteil. Als es darauf ankam, hat Berlin beherzt zugepackt. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, 350.000 von ihnen kamen zunächst in Berlin an. Fast im Tesla-Tempo hat der Senat eine Welcome-Hall am Hauptbahnhof aus dem Boden gestampft, die Zusammenarbeit mit den zahlreichen Initiativen lief, anders als 2015, meist reibungslos. „Wir haben gezeigt, dass Berlin in Krisen zur Höchstform aufläuft“, freute sich Franziska Giffey am Dienstag.
Auch auf die steigenden Energie- und Heizkosten hat der Senat reagiert. Lange bevor die Kenia-Koalition in Brandenburg Mitte Dezember ihr zwei Milliarden umfassendes „Brandenburg-Paket“ auf den Weg brachte, hat Rot-Grün-Rot bereits im September ein 1,5 Milliarden schweres „Entlastungspaket“ geschnürt. Hinzu kommt die Finanzierung für das 29-Euro-Ticket, das so lange gelten soll, bis der Bund das geplante 49-Euro-Ticket einführt. Darüber hinaus haben die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ein Kündigungsmoratorium und den Verzicht auf Mieterhöhungen 2023 beschlossen.
Wenn es darauf ankommt, das ist die Botschaft, handelt der Senat schnell und entschlossen. Berlin kann Krise. Kann Berlin aber auch Normalzustand?
Wenn der Senat, in welcher Konstellation auch immer, sein Versprechen von der Zukunftshauptstadt einlösen will, muss er den Krisenmodus in den Normalzustand überführen. Denn die Herausforderungen sind gewaltig. Der Fachkräftemangel wird auf den Arbeitsmarkt durchschlagen und auch auf das Baugeschehen. Schon jetzt ziehen sich private Investoren aus dem Wohnungsneubau zurück. Dass die landeseigenen Gesellschaften von den respektablen 16.500 Wohnungen, die in Berlin 2021 gebaut wurden, fast die Hälfte gestemmt haben, ist eine gute Nachricht. Aber werden Gesobau und Co. auch einen weiteren Rückgang im privaten Wohnungsbau kompensieren können? Das wird die spannende Frage im Wohnungsbündnis werden.
Und was ist mit der Sanierung der Schulen? Zwar gibt es „tausend Millionen für die Schulbauoffensive“, bremste Giffey die Erwartungen, aber die Umsetzung sei nicht von heute auf morgen zu sehen.
Die Bevölkerungsprognose nimmt auf Fachkräftemangel, steigende Preise und marode Schulen ohnehin keine Rücksicht. Das zeigt die jüngste Annahme, derzufolge bis 2040 knapp vier Millionen Menschen in Berlin leben werden. Ja, es wollen viele aufs Land, doch die Corona- und Landfluchtdelle wird mehr als wettgemacht von der steigenden Geburtenrate und dem Zuzug. Und all die neuen Berlinerinnen und Berliner brauchen Meldebescheinigungen und damit Termine beim Bezirksamt.
Die Verwaltungsreform sollte in Berlin deshalb ein ähnliches Schwerpunktthema sein wie der mit viel Geld geförderte Strukturwandel in der Lausitz. Auf dem Papier ist es das längst, aber warum kommt die Digitalstrategie erst jetzt?
Man muss der FDP deshalb dankbar sein, wenn sie die Abschaffung der Bezirksämter und damit der zweistufigen Verwaltung fordert. Mag sein, dass das Populismus ist. Aber vielleicht sollten die Bezirke auch mal ihre Daseinsberechtigung unter Beweis stellen. Bei der Chaoswahl, die nun zur Wahlwiederholung führt, haben sie es nicht.
Auch Bettina Jarasch betonte, wie „handlungsfähig“ sich Berlin in den Krisen des vergangenen Jahres erwiesen habe. Aber man müsse auch darauf achten, fuhr sie fort, „dass wir noch eine Zukunft vor uns haben und Zukunft gestalten wollen“. Da ginge es darum, die nötigen Veränderungsprozesse anzustoßen. So wolle sie Berlin möglichst schnell und deutlich vor 2045 klimaneutral machen.
Klaus Lederer wiederum legte Wert darauf, dass bestimmte Vorhaben einen langem Atem bräuchten. Als Beispiel nannte er die Rieckhallen am Hamburger Bahnhof, die der Senat nach langen Debatten gekauft und damit als Kunststandort erhalten hatte.
Entscheidend wird aber sein, dass die Menschen in Berlin das Vertrauen zurückbekommen, dass die Politik in Berlin handlungsfähig ist. Wenn es darauf ankommt, kann Berlin was wuppen. Wenn keiner hinguckt, herrscht wieder der Schlendrian. Berlin muss aber nicht nur reagieren, sondern auch reformieren können. Vielleicht bedarf es hier wie da auch einer kleinen Revolution.
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