piwik no script img

Ein Brief in die USADear family, dear friends

Sunny Riedel
Essay von Sunny Riedel

Viele der US-amerikanischen Verwandten und Freunde unserer Autorin könnten Donald Trump wählen. Ein letzter Versuch, sie umzustimmen.

Wie bewusst ist euch, dass die halbe Welt sich auf euch verlässt? Foto: Aaron Doster/reuters

A us dem fernen Europa schreibe ich euch, weil wir hier in großer Sorge sind. In wenigen Tagen wählt ihr eine neue Präsidentin oder einen Präsidenten. Und das hat nicht nur Auswirkungen für euch, sondern für die ganze Welt.

Wir haben kaum je über Politik gesprochen. Das Thema zu vermeiden, ist eines eurer ungeschriebenen Gesetze, erst recht, seitdem das Misstrauen gegeneinander so allgegenwärtig ist, dass die einen sich im permanenten Bürgerkrieg wähnen und die anderen nur noch ihre Ruhe haben wollen. Man liest die Zeichen beim Gegenüber still und für sich. Nur manchmal sind sie so deutlich wie der Spruch auf deinem T-Shirt, Mike, um zu wissen, was Du vom Gedenktag zur Schwarzen Befreiung hältst: nämlich gar nichts. Und dass die Knie-Geste von Footballstar Colin Kaepernick für dich nichts anderes ist als Landesverrat. Denn knien darf man deiner Meinung nach nur vor dem Kreuz.

Zu euren ungeschriebenen Gesetzen gehört, dass man nicht einfach ein Stück Rasen betritt, nur weil kein Zaun drumherum steht. Wir haben etwas gebraucht, um das zu begreifen, als wir vor ein paar Jahren für eine Weile nach North Carolina gezogen sind. Um näher an der Familie zu sein und ein anderes Leben kennenzulernen. Zum Glück habt ihr, Randy und Ellen, gelassen reagiert, als unsere Kinder anfangs einfach in euren Garten hineinspaziert sind. Und immer weiter liefen, bis auf dem übernächsten Grundstück der unsichtbare Stacheldraht von Kenny ihnen einen kleinen Stromschlag versetzt hat.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wir haben den Kindern dann eindringlich erklärt, dass sie sich von Kenny fernhalten sollten, dessen sieben Kinder man nie außerhalb des Hauses sieht und von dem man weiß, dass er ein Waffennarr ist. Später sind wir dann zu Kennys Haus. Und so wie er sofort zugänglich wurde, als wir bei ihm geklingelt und uns vorgestellt haben. Er würde sicher nicht auf uns oder auf unsere Kinder schießen. Wir waren einander begegnet, haben Sorgen und Haltungen ausgetauscht, und in den USA reicht das manchmal, um zu sagen, dass man Freunde geworden ist.

Trotzdem bin ich nicht sicher, ob ihr diesen Brief als übergriffig empfindet. Aber ich muss es riskieren, denn es ist einfach so: Amerika ist fast überall. Die halbe Welt hört Taylor Swift, isst bei McDonald’s, telefoniert mit iPhones, in der halben Welt stehen eure Waffen. Selbst das kleinste Land im fernsten Asien fühlt sich sicher vor räuberischen Angriffen, solange es unter US-amerikanischem Schutz steht. Wie bewusst ist euch, dass die halbe Welt sich auf euch verlässt?

Ich weiß, euch ist nicht egal, was bei uns in Europa geschieht

Als wir vor mehr als zwei Jahren nach Amerika kamen, brach ein Krieg in Europa aus. Viele von euch hissten in Solidarität ukrainische Flaggen. Euer Land stellte sich sofort an die Seite des angegriffenen Staates und Waffen zur Verteidigung gegen Putin bereit. Ich habe damals zu euch gesagt, wie froh ich sei, dass Joe Biden gerade Präsident der USA ist – und nicht Trump. Das war schon damals schockierend direkt für euch und ihr habt erschrocken geschwiegen. Aber ihr habt auch zugehört. Das ist auch jetzt meine Hoffnung: Dass ich euch mit meiner Sorge erreichen kann.

Ich weiß, euch ist nicht egal, was bei uns in Europa geschieht, wie es den Menschen geht. Ihr liebt Prag, München und Paris, Ihr liebt Italien. Aber ihr wisst wenig Bescheid, wir sind eben weit weg. Und ich glaube, ihr ahnt vielleicht nicht, was es für uns bedeuten könnte, wenn Donald Trump am 5. November die Wahlen gewinnt.

Einige von euch glauben, dass Putin sich nie getraut hätte, sein Nachbarland anzugreifen, wenn Trump noch an der Macht gewesen wäre. Eric, du wolltest es mir sogar beweisen, mit dem Videoclip vom dominanten Handshake Trumps mit Putin. Du bist ja auch nach D. C. gefahren am 6. Januar 2021. Du glaubtest, dass Trumps Präsidentschaft von Strippenziehern im Hintergrund verhindert werden sollte. Trump sei diesen Verschwörern ein Dorn im Auge, weil er unberechenbar und unkontrollierbar ist. Weil er angeblich frei heraus sagt, was er denkt. Also bist du, Eric, zur vermeintlichen Verteidigung der Demokratie geeilt.

Inzwischen haben Gerichte viele von denen verurteilt, die damals dabei waren. Der Sturm aufs Kapitol wird ziemlich einhellig als Angriff auf die Demokratie gewertet. Trotzdem ist Trump nach wie vor sehr beliebt und auch viele von euch werden ihn wieder wählen. Und dann? Mal abgesehen von seinem Plan, die USA zu entdemokratisieren, den Umweltschutz um viele Jahre zurückzuwerfen und zuzulassen, dass Millionen von Frauen keinen Zugang mehr zu Abtreibung haben – alles Dinge, unter denen ihr dann zu leiden haben werdet – es geht auch um uns!

Putin träumt von Warschau, er träumt von Berlin

Trump hat Anfang dieses Jahres gesagt, er als Präsident würde der Ukraine jede Hilfe entziehen und sie Putin ausliefern. Manche hoffen damit, einem schnellen Kriegsende nahezukommen. Aber was wäre das für ein Frieden? Wir wissen, dass die russische Armee dort, wo sie hinkommt, Zivilisten foltert und tötet, hunderttausende Kinder entführt hat und Dörfer dem Erdboden gleichmacht. Das wissen wir, weil es schon geschieht und es Beweise dafür gibt. Für euch ist es eine heilige Pflicht, euch und eure Familien gegen jeden Eindringling verteidigen zu können. Euch kann nicht egal sein, was in der Ukraine passiert!

Sollte Trump seine Außenpolitik so gestalten, wie er es ankündigt – und davon sollten wir ausgehen – dann könnte die Ukraine in wenigen Wochen komplett in russischer Hand sein. Und Putin wird sich damit kaum zufriedengeben. Er träumt von Warschau, er träumt von Berlin.

70 Millionen Menschenleben hat der deutsche Faschismus gekostet, Europa lag nach dem Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche. Viele eurer Väter oder Großväter meldeten sich damals freiwillig, als sich Amerika endlich entschlossen hatte, einzugreifen. Und damit den Kontinent von den Nazis befreite. Es hatte auch damals schon Sympathisanten von Hitler in eurem Land gegeben, die nicht wollten, dass die USA sich einmischten. Sie würden heute Trump wählen.

Ihr glaubt mir nicht? Haltet all das für Propaganda von Linksradikalen? Erin, du hast mir gesagt, du vertraust niemandem mehr. Hast dich von einer engagierten Liberalen zu einer unpolitischen Frau gewandelt. Denn mittlerweile glaubst du, dass sie alle lügen. Dieses Misstrauen in die Politik, in den Staat und seine Institutionen – ich habe nie verstanden, wie ihr Facebook, Google und anderen Konzernen in blindem Glauben all eure Daten zur Verfügung stellen könnt, nur um bei Food Lion 15 Prozent off für den Einkauf zu bekommen. Aber gleichzeitig sämtlichen Behörden unterstellt, sie würden euch kontrollieren wollen!

Es geht um den Frieden in Europa und in der ganzen Welt

Was ich wiederum verstehe: Ihr seid es gewohnt, euch um eure eigenen Probleme zu kümmern. Wenn die Sirenen heulen, weil sich ein Hurrikan nähert, so wie kürzlich in North Carolina: Wer hievt hinterher die umgekrachten Bäume von euren Autos? Repariert die Telefonleitung? Räumt die Straßen wieder frei, pumpt das Wasser ab? Wohl kaum der Staat, sondern ihr selbst.

Eure Hilfsbereitschaft kann grenzenlos sein, aber ihr habt auch Angst, den Falschen zu vertrauen. Kein Wunder, denn in Amerika bewegt man sich stets nah am Abgrund, es gibt nur zwei Extreme: Entweder es geht euch richtig gut und ihr könnt mit 50 in Rente gehen, so wie Mike. Oder ihr müsst immer weiter arbeiten, um die Miete und eure Schulden bezahlen zu können, so wie Bill. Der hat nicht einmal mehr ein Auto, seit er sich nach einem Arbeitsunfall einer teuren Operation unterziehen musste.

Bill läuft jetzt die fünf Meilen zu seiner Kirche und wieder zurück, viele von euch fahren an ihm vorbei, anstatt ihn mitzunehmen. Elend könnte ansteckend sein und Vertrauen den Lebensstandard kosten. Angst ist allgegenwärtig und die einen begegnen ihr mit Aggressivität und die anderen schauen weg. Und deshalb glaubt ihr, ihr müsstet euch abschotten, weil sonst Einwanderer kommen, um eure Hunde und Katzen zu essen.

Viele von euch wollen am 5. November Trump wählen. Weil ihr die Demokraten hasst. Weil ihr weniger Steuern zahlen wollt. Weil ihr Angst habt, dass eure Kinder in den Schulen die falschen Werte mitbekommen. Aber diesmal geht es nicht nur um Steuern oder Critical Whiteness oder um das Waffenrecht. Es geht um den Frieden in Europa und in der ganzen Welt.

Denkt daran, dass auch ihr mal die Kettensäge eures Nachbarn brauchen könntet. Seid bei der Wahl so großherzig, wie wir euch kennen. Und gebt eure Stimme nicht denen, die in euch Misstrauen, Egoismus und Hass erzeugen. Ihr könntet es bereuen.

Sunny Riedel, 43, hat mit Mann und Kindern 2022 einige Zeit in einem Dorf in North Carolina, nahe der Familie ihres Mannes, gelebt. Weit außerhalb ihrer Berliner Blase traf sie auf viele Widersprüche, etwa, dass die nettesten Leute oft die größten Trump-Fans sind.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Sunny Riedel
Redakteurin taz1
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Anna Klöpper das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Lateinamerika, Gesellschaft, Aktuelles. An der DJS gelernt.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Na, Spaß beiseite. Betrachtet man die Jahre nach Trumps Präsidentschaft, dann sieht man unter den Demokraten: der Mexiko-Mauerbau wurde fortgeführt, die illegalen Migranten werden härter verfolgt, die Reichen werden reicher, Protektionismus stärker als je zuvor, langsamer Rückzug aus den Ukrainehilfen..



    Also genau das, was Trump auch getan hätte. Die Politik kommt bis auf die Nuancen am Ende aufs Gleiche raus, wie man sieht. Die Wahl ist eher fürs Gesicht und das Gefühl.. Show fürs Volk..



    Damit sich Leute wie der Autor fürchterlich aufregen und gruseln, statt über wirklich gute Politik nachzudenken..

  • Tja, was soll man sagen?



    Meine lovely sister und ihr Mann waren im Sommer zu Besuch, das erste Mal in Europa überhaupt.



    Verreisen? Kein Problem - die beiden sind finanziell gut gestellt als Highschool Lehrerin und Football Coach. Und so haben sie ihr Land ausgiebig bereist (was einige unserer deutschen Mitbewohner mal dringend tun sollten...)

    Hier In D und auf unserem Trip durch Schweiz, Liechtenstein, Österreich und Italien haben sie viel Demokratie und Waffenlosigkeit erlebt und waren sehr begeistert; genauso wie von unseren Errungenschaften des Sozialstaates wie z.B. Arbeitsrechten oder Krankenversicherung.

    Und was wählen die beiden dann im November?



    MAGA natürlich - denn auch sie sind, obwohl gebildet und weltoffen - in der orangenen Blase gefangen.

  • Wie klasse es wäre, wenn es nur noch die eine Partei in den USA geben würde! Hach, da träume ich auch von! Die eine gute Partei, die genau die eine richtige Weltsicht hat! Da sind wir hier leider noch weit von entfernt! Wegen Springer und wegen der Hassrede auf Twitter.



    Achtung Ironie, aber scheinbar für manche nicht..

  • Russland hat hunderttausende Kinder entführt?



    Der Link, mit dem diese Information verknüpft ist, gibt dazu keine Hinweise.



    Ohne weiteren Bezug wirkt das wie Trump-Sprech, von dem sich der Artikel ja gerade distanzieren will.

  • Nein , ich bin nicht in "grösster" Sorge. Eine Wahlentscheidung ist persönlich, geheim und sollte nicht von aussen beeinflusst werden. Das ganze nennt man Demokratie. Egal, welcher Kandidat gewinnt, die Welt wird sich weiterdrehen.

  • Für mich, gerne auch alleine, liegt das amerikanische "Phänomen" klar auf der Hand: wenn du immer wie Dreck behandelt, eben einzig am wirtschaftlichen Erfolg gemessen wirst, dann entwickelst du dich überwiegend wahrscheinlich (ebenfalls) zum Menschenverächter, nimmst auch Angst sozialen Abstand ein und wirst ähnlich-faschistoid gegen dein Leben und das übrige der Schöpfung. .. Jetzt finde da erst einmal wieder heraus .. wohl kaum möglich.

  • Uff, da sagt man erstmal gar nichts. Wie es da zugeht, das ist doch nicht normal. Und dann noch Putin in Warschau und Berlin, leider genauso realistisch Dank AfD und BSW und deren Wählern!

  • Ein schöner Brief, leider werden ihn die eingefleischten Trump-Fans, kurz MAGAs genannt, nicht lesen wollen. Für sie ist Trump mittlerweile eine unantastbare Kultfigur, den viele von ihnejn sogar als wiedergekehrten Messias feiern. Einen Glauben, den Trump natürlich nach Kräften unterstützt. Er bezeichnete sich selbst bereits schon einige Male als "The Chosen one", bringt eine Trumpbibel heraus. Man stelle sich vor, ein europäischer Politiker würde das machen. Den Wahlkampf in den USA zu verfolgen, Trumps dreiste Lügen und dementes Genuschel zu hören ist, wie einen Autounfall zu beobachten: Schrecklich, aber man kann nicht wegsehen. Was Trump-Anhänger teilweise so von sich geben lässt mich entschieden an deren Intelligenz und Bildung zweifeln. Interessant ist, dass sie etwa dieselbe Altersgruppe abbilden wie hierzulande Rechtsextreme, Querdenker und Co. Ab 45 +

  • Jedoch, wss Trump nach vorne trägt ist: USA soll mehr nach sich selbst schauen und die Europäer sollen ebenfalls nach sich selbst schauen oder die USA dafür finanziell entschädigen. Alle leben auf Kosten der USA und das muss gestoppt werden, so dessen Meinung. Der Brief bestätigt doch exakt diese Position.... "bitte macht doch weiter Weltpolizei für umme." Ich befürchte, dass das die Wähler genau so nicht hören wollen.



    Was nach meiner Logik viel besser wäre: Seit 100 Jahren sorgt die USA durch Interventionen für freie Märkte, wo die USA Coka Cola, Boeings, IPhones, McDonalds, Facebooks, RTX.... und sonstige US Innovationen verkaufen kann. Das nicht mehr zu tun, egal ob im Krisenfall die EU oder aktuell Ukraine schädigt die Wirtschaftsinteressen der USA massiv. Denn geschlossene Märkte sind schlechte Märkte für die USA.



    Der Deal ist also Mrd Gewinne der US Konzerne im Ausland gegen Sicherheit.



    Von Zöllen, die letztlich die US Bürger bezahlen müssen wenn sie die Produkte kaufen und die Inflation im Lande befeuert, Trumps andere geniale Idee, mal ganz zu schweigen.



    Es geht um die eigene Freiheit überall auf der Welt Geld zu verdienen, nicht mehr, nicht weniger