Drei Jahre nach Sturm aufs Kapitol: Der dunkle Schatten des 6. Januar
Das politische Amerika arbeitet sich an den Geschehnissen vom Jahresbeginn 2021 ab. Donald Trump spricht bei den inhaftierten Anhängern von „Geiseln“.
Washington taz | Zum dritten Mal jährte sich am 6. Januar der Tag, an dem gewaltbereite Trump-Anhänger das US-Kapitol stürmten. Im Gegensatz zu den vergangenen beiden Jahrestagen befinden sich die USA dieses Mal jedoch in einem Wahljahr – und das Ereignis von vor drei Jahren wirft einen großen Schatten voraus. Trotz unzähliger Videoaufnahmen, einer Untersuchung im US-Kongress und Hunderten von Gerichtsverfahren und Verurteilungen herrscht in der US-Bevölkerung noch immer Uneinigkeit darüber, was sich an diesem Tag tatsächlich zugetragen hat.
Laut Ex-Präsident Donald Trump war es nichts weiter als eine „friedliche und patriotische“ Demonstration. Laut US-Präsident Joe Biden war es der Tag, an dem die USA fast alles verloren hätten. Fakt ist, dass am 6. Januar 2021 ein gewalttätiger Mob aus Trump-Anhängern das US-Kapitol stürmte, um die dort für dieses Datum angesetzte Bestätigung von Bidens Wahlsieg zu verhindern. Mehr als 1.200 Menschen wurden seither wegen diverser Vergehen angeklagt.
Die Verstöße reichen von Tätlichkeiten gegen Polizeibeamte bis hin zur Anstiftung zu einem gewaltsamen Aufstand. Mehr als 700 Beschuldigte haben bereits auf schuldig plädiert und mindestens 170 weitere wurden per Gerichtsverfahren verurteilt. Sogar am Jahrestag selbst verhaftete die Bundesbehörde FBI drei flüchtige Personen in Florida, denen ebenfalls Straftaten in Bezug auf den 6. Januar vorgeworfen werden.
Die sozialen Netzwerke waren am Samstag voll mit Posts und Kommentaren zu den Ereignissen vom 6. Januar 2021. Vor allem Journalisten, die damals am Kapitol vor Ort waren, teilten ihre Erinnerungen. Demokraten nutzten den Jahrestag, um daran zu erinnern, dass Trump mit seinen Lügen über eine angeblich gestohlene Wahl im Jahr 2020 für den Angriff auf das Kapitol mitverantwortlich gewesen war. Es sei deshalb umso wichtiger, sicherzustellen, dass er die kommende Wahl nicht gewinnen werde.
Trump unangefochten
Ganz ähnliche Töne schlug auch Präsident Biden während einer Rede am Freitag in Pennsylvania an. Biden erklärte, dass es in einem Wahlkampfduell mit Trump, der aktuell der unangefochtene Topfavorit auf die republikanische Präsidentschaftskandidatur ist, um das Überleben der US-Demokratie gehe. „Donald Trump geht es um sich selbst. Nicht um Amerika. Nicht um euch. Donald Trumps Wahlkampagne ist besessen von der Vergangenheit, nicht aber von der Zukunft“, sagte der Demokrat während seiner Rede.
Biden verdeutlichte zudem die zentrale Rolle seines Vorgängers, der im Vorfeld des 6. Januar 2021 mit seinen wiederholten Lügen über Wahlbetrug seine Anhänger zum Widerstand aufgerufen hatte. Bis heute hält Trump an diesen unbewiesenen und von Dutzenden Gerichten zurückgewiesenen Behauptungen von Wahlmanipulation fest.
Trump selbst verbrachte den Jahrestag in Iowa, wo am 15. Januar die ersten republikanischen Vorwahlen ausgetragen werden. Während zwei Wahlkampfveranstaltungen spielte er die Bedeutung der Ereignisse des 6. Januar herunter. Die verurteilten Demonstranten bezeichnete er sogar als „Geiseln“. „Sie haben genug gelitten. Entlasse die Geiseln des 6. Januar, Joe“, sagte er am Samstag.
Sieht man sich ein neues, von NBC News veröffentlichtes Video vom 6. Januar 2021 an, dann wird nochmals deutlich, wie aufgeheizt und gefährlich die Situation in der US-Hauptstadt an diesem Tag war. Das Video, welches von einem der Demonstranten aufgenommen wurde, zeigt eine Konfrontation zwischen zwei Kongressabgeordneten, Sicherheitskräften und Demonstranten innerhalb des Kapitols.
Zu sehen ist in dem knapp achtminütigen Video, wie die republikanischen Abgeordneten Troy Nehls und Markwayne Mullin sich lautstark mit den Demonstranten auseinandersetzen, während Sicherheitskräfte mit gezogener Waffe an ihrer Seite stehen. „Ihr solltet euch schämen“, sagt der Texaner Nehls zum Mob, der sich vor dem Eingang zum Repräsentantenhaus versammelt hat. Einer der Demonstranten droht im Gegenzug, dass es zu einem großen Bürgerkrieg und viel Blutvergießen kommen werde, wenn die Wahl nicht rückgängig gemacht werde.
Diese Prophezeiung hat sich in den letzten Jahren glücklicherweise nicht bestätigt, doch sollte es zu einem erneuten Duell zwischen Biden und Trump kommen, dann könnte dies für weitere Spannungen sorgen. Für Trump ist nämlich Biden die „echte Gefahr“ für die Demokratie im Land, wie er in einem Interview mit Fox News erklärte. „Joe Biden ist der schlechteste Präsident in der Geschichte der USA. Er ist inkompetent. Er ist korrupt. Er zerstört unser Land, wie noch nie jemand vor ihm.“
Trump kritisierte auch Bidens Politik. Vor allem dessen Migrationspolitik, die, wie er beschreibt, zu einer Invasion von Terroristen, Geisteskranken und Straftätern führt. Es darf davon ausgegangen werden, dass der 6. Januar 2021 und dessen Folgen in diesem Wahljahr noch öfter zur Diskussion stehen werden, denn auch wenn die US-Demokratie an jenem Tag nicht fiel, sie wankt noch immer.
Leser*innenkommentare
Knuth W.
Herr Trump ist schlau und sehr dumm zugleich. Solange er sich selbst in den Vordergrund und seine Hetzpropaganda und Lügen verbreiten kann, glaubt er, "seinen" Bürgerkrieg inszenieren zu können. Falls er vor der Präsidentschaftswahl oder bei einem seiner zahlreichen Prozesse scheitern sollte, kann sich auch seine Wählerschaft schnell gegen ihn wenden. Sein Selbstbewusstsein wird diese Möglichkeit aber sicher ausblenden.
ROTEGRÄTE
Wer Trump wieder wählt, kann doch gleich “Ferien auf Alcatraz” machen, unbefristet.
Abfahrt Pier 33, San Franzisco.