Ehemaliger Knast als Lernort: Wo die „Rowdys“ landeten
In der Berliner Keibelstraße dient eine DDR-Untersuchungshaftanstalt heute als Lernort. Schulklassen können hier in engen Zellen viel lernen.
Vom Knast zum Lernort
Die Türen zu den Zellen stehen heute offen, noch bis vor etwa dreißig Jahren waren sie fest verschlossen. 131 Stück, höchstens neun Quadratmeter, die sich oft zwei Häftlinge teilen mussten. Die achtstöckige Gefängnisgalerie diente zu DDR-Zeiten als Untersuchungshaftanstalt – die UHA Keibelstraße. Das Besondere: Es war die einzige UHA in Ost-Berlin, in der auch Frauen inhaftiert waren.
Von einer Seite aus kann man durch die Fenstergitter den Fernsehturm sehen. Ansonsten sind da massive Türen, Betonplatten, Neonröhrenbeleuchtung. Wie man sich eben einen Knast vorstellt. Wie im Film. Nach der Wende wurde der Ort erst mal als Filmkulisse benutzt, erfahre ich. Für den Actionstreifen „Half Past Dead“ zum Beispiel und auch für einen Ausschnitt aus „Das Leben der Anderen“. Deswegen stimme die Wandfarbe nicht mehr, die sei eigentlich grünlich gewesen, nicht grau. „Man wollte ja Suizide vermeiden“, sagt Marzinka. Sie ist die Leiterin des „Lernortes Keibelstraße“. Denn als das dient die ehemalige Haftanstalt seit Februar 2019 nun: als Lernort.
Wie die Haftbedingungen denn gewesen seien, will ich wissen. Wie in Hohenschönhausen? Und stelle direkt die richtige oder – wie man’s nimmt – die falsche Frage. „Das hier war kein Stasi-Gefängnis“, erklärt Marzinka. Ich scheine nicht die Erste zu sein, die so fragt. Das sei wichtig zu unterscheiden. Diese Haftanstalt gehörte zum Ministerium des Innern. Hier wurden Menschen festgehalten, die als kriminell galten und auf ihr Urteil warteten. Im Schnitt um die drei Monate. Dem Lernort geht es vor allem um die Straftaten, die in der DDR – zusätzlich zu Mord, Diebstahl und Ähnlichem – zur Haft führen: „Rowdytum“, Arbeitsverweigerung, „Republikflucht“. Hier zeige sich der Systemunterschied zum Westen, erklärt Marzinka.
Und darüber können sich die Schüler:innen von der vierten Klasse bis zur Oberstufe, die die Haftanstalt besuchen, in Lernwerkstätten informieren. Die Zellen sind gleichzeitig Lern- und Ausstellungsräume. Es gibt Bildschirme, auf denen man sich Interviews mit Gefangenen und mit DDR-Staatsanwälten anhören kann. In anderen Zellen liegen Gefangenenakten aus.
Das Ziel: Reflexion zur Haft
Ich stelle mir das schwierig vor: Viertklässler:innen diesen Ort zu erklären. „Kinder lernen schon sehr früh, was ein Gefängnis ist“, sagt Marzinka. Hier reinzukommen und erst mal nur die Galerie, die Zellen zu sehen, sei allein schon sehr eindrucksvoll. Ich kann nicht widersprechen. „Von unserer Seite ist vor allem der Wunsch zur Reflexion da“, meint sie weiter. Dass Haft echt nicht cool sei und man dennoch – in bestimmten Systemen – in eine Haftsituation sogar hineinrutschen könne.
Ich selbst fühle mich hier drin etwas wie eine Teenagerin, die an coole Knastfilme denken muss. „Gelang hier auch mal jemanden die Flucht?“, frage ich unüberlegt. „Es gab einen einzigen Fluchtversuch“, sagt Marzinka. Aber dass das in der DDR sowieso Unsinn war, „man kam ja aus dem Land nicht raus“.
Drei Dinge lerne ich am Lernort: Eine Gefängnisgalerie in echt zu sehen, ist schon faszinierend. Im Westen gab es mehr Geld-, in der DDR mehr Freiheitsstrafen. Die Untersuchungshaftanstalten waren sich dabei sehr ähnlich, die Strafbestände nicht. Und noch etwas: Das alles im Knast selbst zu lernen, ist ziemlich eindrucksvoll.
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