EU zum Syrien-Einmarsch der Türkei: EU sucht nach einer Haltung
Während in den USA Forderungen nach Sanktionen gegen die Türkei laut werden, hält sich die EU noch zurück. Doch gleichgültig bleiben könne man nicht.
BRÜSSEL taz | Am Montag treffen sich die EU-Außenminister in Luxemburg, um über die Lage in Nordsyrien und andere Krisen zu beraten. Der erste Versuch, eine gemeinsame Haltung gegenüber der Türkei zu bestimmen, war am Mittwoch am Veto Ungarns gescheitert. Die EU wollte den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor einem Einmarsch in Nordsyrien warnen, kam wegen des Neins aus Budapest jedoch zu spät. Danach verurteilten die Europäer den Einmarsch und forderten eine politische Lösung.
Von Sanktionen gegen die Türkei war zunächst keine Rede. Die EU könnte ihre Haltung jedoch noch überdenken, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Gespräch mit der taz. „Wir können nicht gleichgültig bleiben“, betonte er. Die von der Türkei angegriffenen Kurden „waren Verbündete in einem Kampf, den wir allein nicht gewonnen hätten“. Dass nun ausgerechnet die Kämpfer gegen den „Islamischen Staat“ getroffen würden, „das tut menschlich unheimlich weh“.
Zunächst will die EU jedoch die Reaktion im Weltsicherheitsrat und das Verhalten der USA abwarten. In Washington haben einige Senatoren bereits Strafmaßnahmen gegen die Türkei gefordert. Der Republikaner Lindsey Graham und der Demokrat Chris Van Hollen kündigten ein Sanktionspaket an, mit dem unter anderem Vermögen der türkischen Führung in den USA eingefroren werden soll.
Vorgesehen sind auch Strafmaßnahmen gegen Unternehmen, die die türkischen Streitkräfte beliefern. Die Senatoren gehen damit auf Distanz zu US-Präsident Donald Trump, der Erdoğan freie Hand gelassen hatte. Graham, eigentlich ein Trump-Unterstützer, warf der US-Regierung vor, die Kurden „schamlos im Stich gelassen“ zu haben. Erdoğan werde für seinen Militäreinsatz einen „hohen Preis“ zahlen.
Frankreich bestellt türkischen Botschafter ein
EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben das türkische Vorgehen ebenfalls verurteilt. So erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD): „Die Türkei nimmt damit in Kauf, die Region weiter zu destabilisieren, und riskiert ein Wiedererstarken des IS.“ Frankreich hat die Militäroffensive verurteilt und den türkischen Botschafter einbestellt. Die Offensive laufe Gefahr, die Sicherheit der Europäer zu gefährden, erklärte Außenminister Jean-Yves Le Drian in Paris.
Am Donnerstag wollte sich der Sicherheitsrat in New York mit dem Vorgehen der Türkei beschäftigen. Deutschland habe im Auftrag der fünf EU-Mitgliedsländer des Rates – neben Deutschland sind das Polen, Belgien, Frankreich und Großbritannien – beantragt, dass das Thema in einer Sitzung angesprochen werde, sagten Diplomaten. Das ständige Ratsmitglied Russland äußerte vor Beginn der Sitzung Verständnis für die türkische Offensive.
Leser*innenkommentare
Rolf B.
Gibt es eigentlich in den letzten Jahren eine einzige humanitäre Erfolgsstory aus der E?
Die Kurdenmiliz war maßgeblich beteiligt am Kampf gegen den IS, während hier noch von moderaten Rebellen bei den Ablegern diverser Terrororganisationen verharmlost würde.
Oft verbrüdert sich der Westen mit den größten Schurkenstaaten wie z. B. SA und heuchelt über Menschenrechte nur dann, wenn es der Interessenlage entspricht.
Ich bin mir sicher, dass die Menschen in Europa mehrheitlich die Zusammenarbeit mit Despoten nicht will. Deutschland war maßgeblich beteiligt daran, sich in die Abhängigkeit von Erdogan zu begeben. Und in Deutschland spricht deshalb niemand von Angriffskrieg des Natomitgliedes Türkei. Stattdessen werden hier kurdische Demonstrationen aufgelöst, wenn Erdogan diese als Sympathisanten von Terroristen bezeichnet.
Die Kurden sind ein verratenes Volk.
Angie
Warum nennt das was da das NATO-Mitglied Türkei macht, eigentlich niemand beim Namen:
*Angriffskrieg* ?
Weil dem natürlich indirekt der Art. 26 GG entgegensteht.
Walter Sobchak
Diese "gemeinsame Erklärung", so sie dann zustandekommt, könnte man prima mit nem Zwinker-Smiley enden lassen. Wenn die EU und vorneweg mal wieder Deutschland nicht längst "verständnisvolles Wegsehen" signalisiert hätte, hätte Erdogan wohl kaum gewagt, seine Truppen loszuschicken.
Bei aller Macht, die dem Irren in Washington innewohnt - auch Europa hat die Kurden verraten, bzw. gegen neue "Flüchtlingsdeals" eingetauscht - und trägt eine massive Mitschuld an allem, was nun droht. Shame on you!
jhwh
@Walter Sobchak Was die Heuchelei angeht, gebe ich Ihnen Recht. Asselborns " ... tut menschlich unheimlich weh." war so kurz nach dem Frühstück nur schwer zu verkraften.
Ich glaube aber, daß Sie den Einfluss, den D bzw. die EU auf Erdogan nehmen kann, überschätzen. Gestern haben die USA und Russland gemeinsam ein von den Europäern eingebrachtes Statement im UN-Sicherheitsrat verhindert. Daran kann man ablesen, mit wem Erdogan es für nötig hielt, sich abzustimmen.
Walter Sobchak
@jhwh Klar, das "Go" kommt letztendlich von den "Großen". Aber die Situation ist ja nicht über Nacht entstanden - und wenn auch Sie "Heuchelei" erkennen, stimmen Sie mir sicherlich zu, daß die EU ihre (bescheidenen) Einflußmöglichkeiten gar nicht oder eben nicht vollumfänglich genutzt hat, aus welchen Gründen auch immer?
Ria Sauter
Gast
@jhwh Das sehe ich ebenso!
Frank Fischer
Hier zeigt sich wunderbar die Scheinheiligkeit des sogenannten Wertewesten. Während man jeden noch so kleinen Pups von Russland oder China als Gefahr für den Weltfrieden aufbauscht, lässt man den Angriffsskrieg, den militärischen Überfall auf ein anderes Land, auf Verbündete einfach so geschehen.
Ich denke in Zukunft werden sich andere ganz genau überlegen, ob sie den geheiligten Westen unterstützen.
83191 (Profil gelöscht)
Gast
Schon Machiavelli hat geschrieben (leicht abgewandelt):
Dafür oder Dagegen, eine Enthaltung ist immer von Nachteil, da man es sich mit beiden Seiten verscherzt.
Klare Kante, liebe EU. Wenn ihr soviel Angst vor der aufkommenden Flüchtlingswelle habt, dann verwendet halt den 10-fachen Aufwand und schickt anstatt 3-4 eher 30-40 Schiffe die die Umkehr der Flüchtlingsbote erzwingen... plus ein paar km Zaun die die Grenze zur Türkei dicht machen. Ganz oder Garnicht..bitte entscheidet euch einfach nur endlich.