EU und Ukraine verhandeln über Beitritt: Die Tür öffnet sich weiter
Die EU-Kommission empfiehlt Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Derartige Gespräche mit einem Land im Krieg wären eine Premiere.
Auch Moldau bekam grünes Licht. Bosnien-Herzegowina muss nachsitzen, könnte bald aber ebenfalls in Verhandlungen mit der EU eintreten. Georgien soll nach dem Willen der Kommission den ersehnten Kandidatenstatus erhalten – eine Vorstufe zu Beitrittsgesprächen.
Zuvor müssen aber noch alle 27 EU-Staaten zustimmen; dies soll beim nächsten Gipfeltreffen im Dezember geschehen. Die eigentlichen Verhandlungen könnten dann im März 2024 beginnen. Sie dauern meist mehrere Jahre und können auch im Nirgendwo enden – wie im Fall der Türkei, die schon seit 1999 den Kandidatenstatus hat, ohne voranzukommen.
Von der Leyen sprach von einem „historischen Tag“. Zehn Jahre nach dem Euro-Maidan in Kyjiw, der Ende 2013 begann, komme die Ukraine auf ihrem europäischen Weg einen entscheidenden Schritt voran. Ein Datum für den Beitritt nannte sie nicht. Das hänge von Reformen ab.
Die EU geht weiter von einem Sieg der Ukraine im Krieg aus
Auf Nachfrage der taz, ob der Krieg ein Hindernis auf dem Weg in die EU darstelle, ging von der Leyen nicht ein. „Ich bin der festen Überzeugung, dass es (das grüne Licht für Verhandlungen, die Red.) auch eine Stärkung ist in ihrem beeindruckenden Kampf gegen den Angriffskrieg Russlands“, sagte die CDU-Politikerin. „Wir stehen voll an der Seite der Ukraine, und deshalb ist das auch ein klares Signal der Unterstützung“.
Zuletzt waren Zweifel am Erfolg im Krieg gegen die russischen Besatzer aufgekommen. Generalstabschef Waleri Saluschni hatte vor einem militärischen Patt gewarnt. Die EU geht jedoch von einem Sieg der Ukraine und der vollständigen Rückeroberung aller besetzten Gebiete aus.
Zugleich stellt sie dem Land ein überraschend positives Zeugnis aus. Obwohl sich Präsident Wolodimir Selenski gegen die eigentlich fälligen Wahlen 2024 ausgesprochen hat, sei es um Demokratie und Rechtsstaat in Kyjiw gut bestellt. Und obwohl die Wirtschaft im vergangenen Jahr kriegsbedingt um 29,1 Prozent geschrumpft ist, sei die „Resilienz“, also Widerstandsfähigkeit, besser als erwartet.
Um der EU beizutreten, müssen Kandidatenländer normalerweise in Frieden leben, eine funktionierende Marktwirtschaft vorweisen und stabile Institutionen haben. Dass Brüssel trotz Krieg und Krise grünes Licht gibt, ist ein Bruch mit dieser Linie.
Juncker: Ukraine nicht beitrittsfähig
Das Land sei nicht beitrittsfähig, hatte der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker noch im Oktober gewarnt. Das Land sei „auf allen Ebenen der Gesellschaft korrupt“ und brauche ein anderes Modell der Integration. Doch auch darauf ging von der Leyen nicht ein. Kyjiw habe große Fortschritte im Kampf gegen die Korruption gemacht, sagte sie. Einige nötige Reformen seien „noch in der Pipeline“. Diese könnten aber bis März umgesetzt werden.
Nicht ganz so schnell dürfte es in Moldau und in Georgien gehen. Georgien verfüge zwar über eine aktive, proeuropäische Zivilgesellschaft, so die deutsche EU-Chefin. Die Politik müsse aber noch „einige Hausarbeiten“ machen. Deshalb sei dem Land zunächst nur der Kandidatenstatus verliehen worden. Dennoch sei dies „ein Tag zum Feiern“
In Moldau knallen offenbar schon die Sektkorken. Staatschefin Maia Sandu schrieb auf X, ehemals Twitter: „Vielen Dank, dass Sie uns zur Seite stehen und Moldau und die Moldauer auf ihrem EU-Weg unterstützen.“ Laut EU-Zeugnis steht das Land beim Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen aber noch ganz am Anfang.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat die Empfehlung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit seinem Land als „richtigen Schritt“ begrüßt. „Trotz aller Schwierigkeiten bewegen wir uns vorwärts“, sagte er in Kyjiw. „Unser Land sollte Mitglied der EU sein.“
Die Aufnahme der Ukraine und anderer Länder ist eine Priorität der EU, die sich zunehmend geopolitisch definiert und Russland Einhalt gebieten will. Allerdings sind die Brüsseler Institutionen selbst nicht auf 30 oder mehr Mitglieder vorbereitet. Der EU stehen daher noch schmerzhafte Reformen inklusive der Aufstockung der Beitragszahlungen ins Haus.
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