EU-Beitrittsverhandlungen: Nicht in trockenen Tüchern

Bis zu Verhandlungen über den EU-Beitritt der Ukraine sind noch einige Fragen zu klären. Ohnehin ist aktuell militärische Unterstützung dringlicher.

Kleine ukrainische und europäische Flaggen auf einem Tisch

Trotz aller Offenheit für einen EU-Beitritt der Ukraine, gilt es kritische Stimmen ernst zu nehmen Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Wie heißt es so schön: Knapp daneben ist auch vorbei. Immerhin bescheinigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Ukraine Mitte der Woche, rund 90 Prozent des geforderten Reformpensums abgearbeitet zu haben, und empfahl, Beitrittsverhandlungen mit Kyjiw aufzunehmen. Dass in der Ukraine, einem Land im Krieg, bei Korruptionsbekämpfung, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz noch einiges im Argen liegt, ist auch in Brüssel ein offenes Geheimnis.

Umso mehr gilt es, kritische Stimmen ernst zu nehmen. Dieser Schritt sei verfrüht, könne die EU vor unlösbare Aufgaben stellen und wecke unter den Ukrai­ne­r*in­nen Erwartungen, die nicht zu erfüllen seien, lauten einige Argumente. Doch Obacht: Hier dürfte es eine deutliche Schnittmenge mit denen geben, die die Ukraine am liebsten schon gestern an den Verhandlungstisch mit Moskau und damit faktisch zu einer Kapitulation gezwungen hätten – im Zweifel gegen den Angegriffenen.

Unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung lief die Entscheidung im Falle ­Georgiens. Zumindest soll die Südkaukasusrepublik jetzt offiziell den noch 2022 verweigerten Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten. Ein Placebo, das das Dilemma der EU einmal mehr deutlich macht und die eigene Glaubwürdigkeit massiv infrage stellt. Nicht nur, dass die Regierungspartei Georgischer Traum ihre Hausaufgaben für Brüssel nicht einmal in Ansätzen erledigt hat.

Vielmehr sabotiert sie aktiv einen pro­euro­päi­schen Kurs, den eine Mehrheit der Ge­or­gier*in­nen weiter unterstützt. Dass der neue „Status“ zu einem Sinneswandel der Regierung führt, darf bezweifelt werden. Eine neue Anforderung an Tiflis lautet, die Außen- und Sicherheitspolitik mit der EU in Einklang zu bringen. Übersetzt heißt das: sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Doch was wäre die Alternative für Brüssel zum Gütesiegel „Status“ gewesen? Eine weitere Destabilisierung Georgiens zu riskieren.

Wie weiter? Vor allem der viel beschworene historische Moment könnte sich für Kyjiw schon bald als bedeutungslose Floskel erweisen, wenn die Staats- und Regierungschefs im Dezember über die Frage beraten und ein einstimmiges Votum erforderlich ist. Ungarns Premier Viktor Orbán hat noch diese Woche erneut betont, dass die Ukraine auf Beitrittsverhandlungen mit der EU nicht vorbereitet sei. Er könnte nicht der einzige Quertreiber sein.

Apropos Ukraine: Unabhängig von der Entscheidung des Rats ist die Frage, ob Kyjiw weiter militärische Unterstützung erhält, und zwar zeitnah. Angesichts eines zermürbenden Stellungskriegs heißt die Antwort: Das sollte sie. Andernfalls hat sich eine EU-Perspektive ohnehin erledigt.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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