EU in der Coronakrise: Aus erster Welle nichts gelernt
Die EU-Staaten und Brüssel haben in der Krise schlecht reagiert, geht aus Berichten hervor. Auch auf ein neues Aufflammen seien sie schlecht vorbereitet.
![In einem Krankenhaus wird einer Frau ein Abstrich genommen. In einem Krankenhaus wird einer Frau ein Abstrich genommen.](https://taz.de/picture/4264651/14/europa-corona-eu-zweite-welle-covid-19-1.jpeg)
Der erste, offizielle Bericht kommt von der EU-Kommission. Sie hat zwar kaum eigene Kompetenzen in der Gesundheitspolitik, bemüht sich aber um eine EU-weite Koordinierung. Die 27 Mitgliedstaaten müssten mehr tun, um „künftige Covid-19-Ausbrüche“ einzudämmen, forderte die Brüsseler Behörde in einer (unverbindlichen) Mitteilung.
Im Herbst und Winter könnten sich Covid-19 und Grippeviren zu einem gefährlichen „Cocktail“ mischen, sagte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Sie fordert eine massive Ausweitung der Grippeschutzimpfungen, die im Oktober beginnen. „Jetzt ist nicht die Zeit, in unserer Wachsamkeit nachzulassen“, so Kyriakides.
Brüssel forderte die Mitgliedsländer auch auf, die Coronatests auszuweiten und die Kontaktverfolgung bei Infektionen, etwa durch Warn-Apps, zu verbessern. Es müsse verhindert werden, dass sich lokale Hotspots zu Brandherden entwickelten.
Bilanz von investigativen Journalisten ist vernichtend
Kyriakides vermied es, auf die Kritik einzugehen, die in einem Bericht des Londoner Büros für investigativen Journalismus (TBIJ) zur ersten Coronawelle im Frühjahr enthalten ist. Unter dem Titel „Crisis in the Commission“ hat ein internationales Reporterteam die EU-Reaktion auf die Pandemie aufgearbeitet.
Die Bilanz ist vernichtend: Es ging so ungefähr alles schief, was schiefgehen konnte. Nicht nur die Mitgliedsstaaten haben versagt, auch die EU-Kommission wurde ihrer Rolle nicht gerecht. Sogar die Präventionsagentur ECDC, die für die Pandemiebekämpfung zuständig ist, war der Krise nicht gewachsen.
So haben die ECDC-Experten nicht nur erste Alarmsignale aus dem österreichischen Skiort Ischgl ignoriert. Sie waren nach dem TBIJ-Bericht bis Mitte Februar auch nicht in der Lage, aktuelle Empfehlungen für das Vorgehen an den europäischen Grenzen zu geben. Die letzten Empfehlungen datierten noch von der Vogelgrippe 2010.
Die Folge: Hektische, in nationalen Alleingängen verhängte Grenzschließungen und ein Beinahe-Zusammenbruch des Binnenmarkts. Auch die EU-Kommission, die über den Binnenmarkt wacht, konnte dies nicht verhindern. Die Brüsseler Behörde habe zu spät und zaghaft regiert, heißt es in dem Bericht.
Für Krisen zuständiger EU-Kommissar wenig aktiv
So habe der für Krisenfälle zuständige EU-Kommissar Janez Lenarčič zunächst wenig Aktivität entfaltet. Noch im Januar hätten Lenarcics Experten die meisten Sitzungen des eigens einberufenen Health Security Committee geschwänzt. Gleichzeitig stellte Brüssel allen Beteiligten ein gutes Zeugnis aus: Es gebe einen „hohen Grad an Vorbereitung“.
Doch in Wahrheit war fast nichts vorbereitet. Als größtes Problem erwies sich der Mangel an Masken und anderer Schutzausrüstung, der durch zeitweise Exportverbote in Deutschland und Frankreich vergrößert wurde. Doch selbst als sich die Knappheit schon abzeichnete, lieferte die EU noch Ausrüstung nach China, so der TBIJ-Bericht.
Insgesamt ergibt sich ein Bild kollektiven Versagens auf vielen Ebenen. Die Aufarbeitung lässt jedoch auf sich warten. Zwar wurden in einzelnen Ländern nationale Untersuchungen eingeleitet. Doch auf EU-Ebene tut sich wenig. Das Europaparlament hat einen Sonderausschuss zum Kampf gegen den Krebs eingerichtet, nicht aber zu Covid-19.
Auch die EU-Kommission sieht keinen Grund für eine kritische Nachbetrachtung. Sie habe „sehr früh vor der Gefährlichkeit des Coronavirus gewarnt, noch vor der WHO“, heißt es in Brüssel. Entsprechend gehandelt hat die EU jedoch nicht; kurz nach den ersten Warnungen entwickelte sich Europa zum Epizentrum der Pandemie.
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