EU-Wirtschaftsprognose für 2023: Wahrscheinlich doch keine Rezession
Die Kommission sagt bessere Zeiten für 2023 voraus. Inflation und Energiekosten bleiben jedoch hoch – ein Problem für viele Bürgerinnen und Bürger.
„Den Europäerinnen und Europäern stehen nach wie vor schwere Zeiten bevor“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Die Energiekosten seien immer noch hoch, und die Kerninflation – also der Preisanstieg ohne Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel – habe im Januar weiter angezogen. Die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger werde somit weiter ausgehöhlt.
Immerhin dürfte die Wirtschaft im neuen Jahr nicht in eine tiefe Krise rutschen. Die Brüsseler Behörde geht für die EU von einem Wachstum von 0,8 Prozent und für die Euro-Staaten von 0,9 Prozent aus. Deutschland gehört mit nur 0,2 Prozent zu den Schwächsten. Für lediglich fünf der 27 EU-Länder wird noch weniger Wachstum erwartet.
Dass es besser läuft als erwartet, führt die EU-Kommission vor allem auf sinkende Gaspreise und einen robusten Arbeitsmarkt in Europa zurück. Allerdings bleibe der Gegenwind rau. Zum Risiko wird vor allem die Geldpolitik. Wegen der anhaltenden Inflation will die Europäische Zentralbank die Leitzinsen weiter anheben, was dämpfend auf die Konjunktur wirkt.
Weniger Geld für die russische Kriegskasse
Auch der Krieg in der Ukraine ist mit Risiken verbunden. Die Kommission geht davon aus, dass der russische Angriffskrieg zwar nicht eskalieren, aber das ganze Jahr lang weitergehen wird. Was passiert, wenn sich der Krieg ausweitet, sagte Gentiloni nicht. Auch auf die Folgen der EU-Sanktionen ging der Wirtschaftskommissar nicht ein.
Ein Diplomat sagte, bisher habe Russland den Strafmaßnahmen besser als erwartet widerstanden. Dies liege vor allem an den hohen Energiepreisen. Sie haben im vergangenen Jahr viel Geld in die russische Kriegskasse gespült und das Wachstum in der EU einbrechen lassen. Im neuen Jahr soll sich dies ändern, so die Hoffnung in Brüssel.
Sollte sich die Prognose bewahrheiten, so will die EU zum Jahresende wieder zu den alten Schuldenregeln nach den Maastricht-Kriterien zurückkehren. Sie waren zu Beginn der Coronakrise ausgesetzt worden. Dann führten die russische Invasion in der Ukraine im Februar 2022 und die in der Folge angestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise zu einer Verlängerung bis Ende 2023. Eine Verlängerung sei bei besserer Konjunktur nicht zu rechtfertigen, sagte Gentiloni. „Wir hatten bereits genug außerordentliche Ereignisse“, sagte er mit Blick auf die Pandemie und den Krieg.
Keine Einigung, wie die Schuldenregeln aussehen sollen
Allerdings sollen die Schuldenregeln reformiert werden. Darüber, wie genau diese Reform aussehen könnte, zeichnet sich jedoch keine Einigung ab. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, für jedes Euroland individuelle Wege zum Schuldenabbau zu formulieren. Dies lehnt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) jedoch strikt ab. Für das Treffen der Eurogruppe am Montagabend wurde deshalb eine kontroverse Debatte erwartet.
Der Stabilitätspakt, der den Wert des Euro sichern soll, begrenzt die Neuverschuldung von EU-Staaten eigentlich auf 3 Prozent und die Gesamtverschuldung auf 60 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung. Gegen diese Regeln wurde in der Vergangenheit aber immer wieder verstoßen, ohne dass dies spürbare Konsequenzen gehabt hätte.
Derzeit erfüllt auch Deutschland nicht alle Schuldenregeln. Wegen des Ukrainekrieges und der Energiekonflikte mit Russland hatte Lindner milliardenschwere neue „Sondervermögen“ gegründet, also neue Schulden gemacht. Auch Griechenland, Italien und Belgien sind hoch verschuldet. Ein abrupter Abbau der Schulden könnte die Eurozone in eine neue Krise stürzen.
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