EU-Ukraine-Gipfel in Brüssel: Kiew verliert die Geduld
Beim Gipfel wird ein Termin für die lange angekündigte Visum-Liberalisierung für Ukrainer wieder nicht genannt. Nicht nur Deutschland bremst.

Die EU-Staaten hatten in der vergangenen Woche grundsätzlich grünes Licht gegeben. Allerdings gibt es noch Streit über eine „Notbremse“, mit der die Reisefreiheit bei Missbrauch schnell wieder aufgehoben werden kann.
Vor allem Frankreich mauert. Vor den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 will sich Paris nicht allzu nachgiebig zeigen, um den rechtsextremen Front National nicht zu stärken. Frankreich sei jedoch nicht allein, sagte der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. „Soweit ich weiß, haben auch Belgien, Italien, Deutschland und anderen Länder Vorbehalte.“
Poroschenko verliert jedoch langsam die Geduld. „Wir haben alles gemacht und alle 144 Anforderungen für die Liberalisierung erfüllt“, sagte er. Nun müsse die EU den „populistischen Absichten“ widerstehen. Damit spielte er auch auf die Niederlande an, die die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens mit der EU blockieren.
Bei einem Referendum im April hatte sich eine Mehrheit gegen das Ukraine-Abkommen ausgesprochen. Seitdem sucht die EU nach einem Ausweg, um den Vertrag trotzdem in Kraft setzen zu können.
Tusk hofft auf den EU-Gipfel
Wladimir Fesenko, Politologe
Er hoffe auf eine Einigung beim EU-Gipfel im Dezember, sagte Ratspräsident Donald Tusk. „Die Niederlande müssen die Ratifizierung abschließen, das hat große geopolitische Bedeutung“, sagte er. Als möglicher Kompromiss wird eine Zusatz-Erklärung diskutiert, in der festgehalten wird, dass die Ukraine kein EU-Mitglied werden soll.
In Kiew hatte zwar niemand damit gerechnet, dass die EU beim Brüsseler Gipfeltreffen den lang ersehnten Termin des Beginns der Visafreiheit der Ukraine mit den Schengen-Staaten verkünde. Doch vielen ist die Enttäuschung in das Gesicht geschrieben, wieder auf später vertröstet worden zu sein. „Seit 2005 können EU-Bürger frei in die Ukraine einreisen. Wir warten immer noch auf eine freie Einreise in die EU“, schimpft ein Fußgänger auf der Kiewer Einkaufsmeile Kreschtschatik. „Visafreiheit wäre nicht einmal mit besonderen Kosten verbunden.“
„Wir sind unzufrieden mit Brüssel,“ sagte der Kiewer Politologe Wladimir Fesenko der taz. Kiew habe all seine Hausaufgaben gemacht. Früher habe Brüssel Kiew kritisiert, nun seien die Rollen vertauscht. „Wenn die EU Versprechungen nicht einhält oder auf die lange Bank schiebt, kratzt das an unserem Vertrauen in die Union“, so Fesenko. Trotzdem sei er Optimist, die Ukraine integriere sich immer mehr in Europa.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt