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EU-Reform AsylrechtWie viel Abschottung darf sein?

Deutschland will eine Verschärfung des EU-Asylrechts und Schnellverfahren an den Außengrenzen mittragen. Wenn es Ausnahmen für Kinder gibt.

Grenzschutzbeamte in der Nähe der griechischen Stadt Feres an der Grenze zur Türkei Foto: dpa

Berlin taz Die Bundesregierung signalisiert Bereitschaft, einer auf Abschottung zielenden europäischen Asylrechtsverschärfung unter bestimmten Bedingungen zuzustimmen. Man unterstütze Verfahren zur Prüfung des Schutzstatus bestimmter Personengruppen bereits an der EU-Außengrenze, sei aber für Ausnahmen „bei Kindern, Jugendlichen und anderen besonders Schutzbedürftigen wie Menschen mit Behinderungen“, so ein Sprecher des Bundesinnenministeriums zur taz. Am Donnerstag beraten die EU-In­nen­mi­nis­te­r*in­nen über Asyl-Schnellverfahren für Menschen mit geringer Aussicht auf Schutz direkt an den Außengrenzen.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) pochte in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe ebenfalls auf Ausnahmen für Familien mit Kindern. Zudem solle niemand „länger als einige Wochen“ in einem solchen Verfahren stecken und „das Recht auf Asyl“ nicht ausgehöhlt werden. Die Grenzverfahren sieht sie als „Fluch und Chance“ zugleich: „Hochproblematisch“, gleichzeitig sei der Vorschlag der EU-Kommission derzeit die einzige realistische Chance, zu geordneten und humanen Verteilungsverfahren zu kommen.

Ob sich die Bundesregierung mit ihrem Wunsch nach Ausnahmen in den EU-Verhandlungen durchsetzen kann, ist fraglich. Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission sah Ausnahmen für Kinder unter 12 Jahren vor. In einer überarbeiteten Version heißt es nun, dass Familien mit Kindern unter 12 Jahren nicht automatisch von den Asyl-Schnellverfahren ausgenommen werden. Auch unbegleitete Minderjährige sollen diese Verfahren durchlaufen, wenn sie als „Gefahr für die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung“ eingestuft werden.

Zudem sind sich die Ampelparteien keineswegs einig. Die Grünen hatten solche Verfahren eigentlich immer abgelehnt. Die Verhandlungen auf europäischer Ebene seien „äußerst schwierig, weil viele EU-Mitgliedsstaaten eine restriktive Linie vertreten“, erklärte Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann der taz.

Wichtig sei es, den Zugang zum „individuellen Recht auf Asyl“ sicherzustellen, ebenso „die Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention und der Kinderrechtskonvention sowie den Schutz vulnerabler Gruppen“. Gleichzeitig brauche „es einen verbindlichen Solidaritäts- und Verteilmechanismus für die Aufnahme von Geflüchteten in der EU.“

FDP und Union gegen Ausnahmen

Die FDP sieht hingegen keine Notwendigkeit für Ausnahmen. Es müsse nur eine „menschenwürdige Versorgung aller Flüchtlinge“ sowie „eine effiziente Durchführung der Asylverfahren an den EU-Außengrenzen“ gewährleistet sein, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem Tagesspiegel. „Wenn diese Regeln gelten, dann braucht es auch keine Debatte zu möglichen Ausnahmen, die eine Einigung in Europa wieder nur gefährden würden“, befand dieser.

Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, kritisierte die Bundesregierung dafür, die EU-Vorschläge „an verschiedenen Stellen weiter aufzuweichen“.

Menschenrechtsorganisationen hingegen befürchten, dass mit den Schnellverfahren Lager mit haftähnlichen Bedingungen entstehen. Sie warnen vor einer Aushöhlung des Asylrechts. (mit afp)

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2 Kommentare

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  • 3G
    32051 (Profil gelöscht)

    Man kann im Nachgang immer noch nachbessern. Aber es ist nunmal eine europäische Lösung, und es ist ein Anfang.

    Und Europäische Lösung heißt halt auch mal, dass Deutschland Abstriche machen muss und nicht, dass alle Deutschlands Vorstellung übernehmen.

    Wichtig sind Mindeststandards, Schutzräume, insbesondere für Frauen und Kinder, und eine Möglichkeit, ein Papier zu bekommen, mit dem man in einen Flieger steigen darf.

    Entweder ich will legale Fluchtwege, dann ist aber nunmal eine gewisse Bürokratie notwendig, oder das Sterben auf dem Mittelmeer geht weiter.

    Die menschenwürdige Unterbringung ist der Knackpunkt. Spielecken für Kinder, Kantine, Getränke, Betten, und eine zeitnahe Bearbeitung (und auch faire, ein "abgelehnt" Stempel ist auch "zeitnah", aber nicht fair) durch Digitalisierung, Herkunftsermittlung (z.B. mittels Live Tracking in Google Earth - "Beschreiben Sie doch mal ein paar Straßen aus Damaskus"), Fingerabdrücke, DNA sind ebenfalls zumutbar, wenn keine Papiere vorliegen.

    Und ganz ehrlich: Stacheldraht auf der Mauer hatte ich in der Bundeswehrkaserne auch... Das sagt nichts aus.

    Alles darüber hinaus ist diskutabel

    • @32051 (Profil gelöscht):

      Schön ausgeführt.

      "oder das Sterben auf dem Mittelmeer geht weiter"

      Auch wenn man das alles umsetzt, wird es wahrscheinlich weitergehen, und zwar aus folgendem Grund: es bleiben immer noch viele sog. "Wirtschaftsflüchtlinge“ übrig, die Einwandern wollen, aber auf legalem Wege kaum eine Chance haben. Man braucht sich nur das sog. „Diversity Immigrant Visa Programm“ (Umgangssprachlich Green Card Lottery) der USA anzuschauen: z.B. 2019 und 2020 bewarben sich über 14 Millionen für die 55.000 Visa – die Chance eines zu bekommen waren unter 0,5%. Unter solchen Umständen gibt es dann natürlich viele, die es über illegale Wege versuchen, und nehmen die Risiken in Kauf.