EU-Gipfel scheitert an Coronabonds: Die Grenzen der Solidarität
Italien, Frankreich und Spanien forderten in Brüssel gemeinsame Anleihen, um die Corona-Krise zu meistern. Deutschland stellt sich stur.
Neun EU-Staaten, darunter neben Italien und Spanien auch Frankreich, hatten schon vor dem Krisengipfel die Einführung von Coronabonds gefordert. Das sind gemeinsame Anleihen, die speziell zum Kampf gegen die Coronakrise ausgegeben werden. Damit könnten sich alle Staaten günstig an den Finanzmärkten finanzieren. Eine Übernahme der Altschulden wäre damit ausdrücklich nicht verbunden.
Im Entwurf für den Gipfelbeschluss tauchten diese Anleihen, die an die umstrittenen Eurobonds erinnern, jedoch nicht auf. Stattdessen versuchten Merkel und der niederländische Premier Mark Rutte, die Debatte über neuartige Finanzinstrumente abzublocken. Merkel plädierte dafür, den Südeuropäern – genau wie in der Eurokrise – Kredite des Euro-Rettungsfonds ESM anzubieten.
Diese Kredite sind jedoch mit harten, oft unsozialen Konditionen verbunden – etwa Privatisierungen, Arbeitsmarktreformen, Rentenkürzungen. Für den italienischen Premier Giuseppe Conte und seine Mitstreiter ist dies ein rotes Tuch. Conte drohte, die Gipfelerklärung nicht zu unterschreiben und veröffentlichte – während Merkel & Co. noch tagten – ein eigenes Statement.
Südländer stellen Ultimatum
“Wir müssen mit innovativen Finanzinstrumenten reagieren“, heißt es darin. Italien und Spanien gäben der EU dafür zehn Tage Zeit. Es war ein Ultimatum, das an die schlimmsten Zeiten der Eurokrise erinnerte – und fast zum Platzen des Gipfels geführt hätte. Am Ende einigten sich die EU-Chefs darauf, dass die Euro-Finanzminister eigene Vorschläge machen sollen – in vierzehn Tagen.
In dem Kompromiss ist von Coronabonds oder anderen gemeinsamen Finanzinstrumenten jedoch keine Rede mehr. Auch der ESM wird nicht erwähnt. Damit ist klar, dass der Streit um die Solidarität weitergehen wird. Eurogruppen-Chef Mario Centeno kündigte an, dass er sich schon in der kommenden Woche um eine Lösung bemühen will. Doch die Aussichten auf eine Einigung sind gering.
Schon beim letzten Treffen der Eurogruppe am vergangenen Dienstag standen sich die Positionen unversöhnlich gegenüber. Wenn die Hängepartie nun weitergeht, könnte es im Extremfall zu einer neuen Eurokrise kommen. Denn die Finanzmärkte lauern nur auf eine Gelegenheit, hoch verschuldete Länder wie Italien oder Griechenland in die Zange zu nehmen. Bisher werden sie noch durch ein Krisenprogramm der Europäischen Zentralbank geschützt.
Die ersten Reaktionen fielen sehr widersprüchlich aus. Merkel überging den Streit und lobte das gemeinsame Vorgehen gegen die Krise. Besonders gefällt ihr, dass die EU nun großzügig mit Staatsbeihilfen umgeht, was Deutschland umfangreiche Stützungsaktionen für seine Konzerne ermöglicht. Demgegenüber kritisierten Politiker der SPD und der Grünen das Vorgehen der Kanzlerin.
„Nur Schall und Rauch“ twitterte der SPD-Politiker Bernd Lange, der den Handelsausschuss im Europaparlament leitet. Der EU-Gipfel habe das Problem nur vertagt, dies sei eine „gefährliche Taktik“. Noch drastischer äußerte sich der Grünen-Politiker Rasmus Andresen. „Es ist enttäuschend, mit welcher Arroganz die deutsche Bundesregierung gemeinsam mit anderen reicheren Staaten die EU in die Krise stürzt.“ Er schäme sich für die deutsche Bundesregierung, so der Europaabgeordnete.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“