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EU-Gipfel am Donnerstag und FreitagDicke Luft schon vor Beginn

Die EU-Staaten streiten über Gaspreisdeckel und den deutschen „Doppelwumms“ zur Entlastung. Es droht eine folgenschwere Pleite.

Läutet schon mal den Streit ein: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel Foto: Virginia Mayo/AP/dpa

Brüssel taz | Es ist bereits der dritte EU-Gipfel, bei dem die Energiekrise im Mittelpunkt steht. Bei ihrem Treffen am Donnerstag und Freitag in Brüssel müssen die 27 Staats- und Regierungschefs den gordischen Knoten durchschlagen und Maßnahmen gegen die Mondpreise bei Gas und Strom beschließen. Doch schon vor Beginn des Treffens herrschte dicke Luft.

Deutschland und Frankreich konnten sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und sagten überraschend die für kommende Woche geplanten Regierungsgespräche ab. Sie sollen im Januar nachgeholt werden. Streit gibt es auch über den bis zu 200 Milliarden Euro teuren deutschen „Doppel-Wumms“, wie Bundeskanzler Olaf Scholz sein Entlastungspaket genannt hatte. Und um den Gaspreisdeckel, den 15 EU-Staaten mit Nachdruck fordern, den Berlin aber ablehnt.

Eigentlich sollten diese Probleme schon im Vorfeld ausgeräumt werden. Mit eigenen Vorschlägen wollte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag das monatelange, nervenzehrende Tauziehen beenden und den Weg zu bezahlbaren Gas- und Strompreisen weisen. Doch ihre Vorschläge stellen niemand zufrieden.

Von der Leyen schlägt zwei Kompromisse vor: 40 Milliarden Euro aus dem EU-Budget sollen umgewidmet werden, um damit Entlastungen von den exorbitanten Energiepreisen zu finanzieren. Außerdem sollen gemeinsame Gaskäufe für niedrigere Preise sorgen. Der Vorschlag der EU-Kommission betrifft allerdings nur 15 Prozent des Gesamtvolumens.

Kein fester Preisdeckel

Das reicht vielen EU-Staaten nicht – genauso wenig wie der „Not-Deckel“, den von der Leyen im Gasmarkt plant. Statt eines festen Limits sieht sie vor, dass im Fall extremer Preise als letztes Mittel ein „beweglicher“ Preisdeckel kommen könnte. Er soll sich an die Entwicklung an den internationalen Märkten anpassen und so extreme Ausschläge verhindern, wie es sie im Sommer gab.

Die Kommissionschefin kommt damit Deutschland und den Niederlanden entgegen, die einen festen Preisdeckel ablehnen. Berlin fürchtet, dass ein fixes Limit die Versorgungssicherheit gefährden könnte, weil Schiffe mit Flüssiggas dann nicht mehr Europa ansteuern würden, sondern lukrativere Regionen etwa in Asien.

Um dies zu verhindern, hatte Belgien einen „dynamischen“ Deckel vorgeschlagen. Doch selbst dieser Kompromiss findet sich im Kommissionsentwurf nur verwässert wieder – als letztes Mittel im akuten Notfall. Zudem ist von der Leyen viele Details schuldig geblieben, die praktische Umsetzung bleibt unklar. Beim EU-Gipfel am Donnerstag werden deshalb lange und hitzige Diskussionen erwartet.

„Dies wird der wichtigste Gipfel seit langem“, warnt der belgische Premier Alexander De Croo, der bereits seit dem Frühjahr einen Gaspreisdeckel fordert. Von einer „entscheidenden Etappe“ spricht die belgische Energieministerin Tinne Van der Straeten. Alles hänge jetzt von der schnellen Umsetzung ab.

Ähnlich äußerte sich Spaniens Energieministerin Teresa Ribera. „Obwohl Fortschritte in einem noch nie dagewesenen Tempo erzielt werden, sind wir noch weit davon entfernt, Lösungen zu finden, die auf Dauer Bestand haben können“, sagte sie. Die Vorschläge aus Brüssel reichten nicht aus.

Ganz anders klingt es in Berlin. Man rechne am Donnerstag zwar mit intensiven und langen Diskussionen, die sich bis in den Abend ziehen könnten, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Die Vorschläge gingen jedoch in die richtige Richtung. „Wir sind optimistisch, dass wir einen guten Kompromiss finden“, sagte ein Insider in Berlin.

Inflation in manchen Ländern bei 20 Prozent

Es wird höchste Zeit. Über die Energiekrise diskutiert die EU bereits seit einem Jahr, ohne greifbaren Erfolg. Die Preise für Gas und Strom sind regelrecht explodiert – nicht zuletzt, weil sich Deutschland und andere Mitgliedsstaaten bei ihren Kauf-Angeboten auf den Märkten wechselseitig überboten haben, wie von der Leyen am Mittwoch lauthals beklagte.

Wenn die 27 EU-Chefs keine Lösung finden, droht eine schwere Energie- und Wirtschaftskrise, mit zahlungsunfähigen Bürgern und insolventen Unternehmen. Die von den Energiepreisen getriebene Inflation ist jetzt schon außer Kontrolle: Die EU-Statistikbehörde Eurostat in Luxemburg meldete am Mittwoch eine EU-weite Teuerungsrate für den September von 10,9 Prozent.

In den baltischen Ländern und in Ungarn liegt sie teilweise schon über 20 Prozent. Die offizielle Zielmarke in der Eurozone liegt dagegen bei zwei Prozent. Sie wurde schon im vergangenen Jahr gerissen. Die wirtschaftlichen Folgen von Russlands Krieg gegen die Ukraine haben die Inflation also von einem bereits vergleichsweise hohem Niveau aus weiter verschärft.

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13 Kommentare

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  • Der Einkauf von Energie ist Sache der Mitglieder. Es wird nie einen Vorschlag geben, mit dem die Länder umgehen können.

    Einige Mitglieder fürchten sich eher vor hohen Kosten, während andere Länder eher eine Gasknappheit fürchten.

    Hinzu kommt das Problem, dass es verdeckt zu finanziellen Verschiebungen kommen könnte.

    Die EU sollte eine Einkaufsgenossenschaft gründen, damit Verträge über große Liefermengen abgeschlossen werden können. Jedes Land zahlt dann den daraus von ihm verbrauchten Anteil. Darüber hinaus sollte es den Mitgliedern vorbehalten bleiben, etwaige zusätzliche Bedarfe am Markt selbst zu ordern.

  • "Deutschland und Frankreich konnten sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen..."

    Deutschland muss endlich aufhören, unterschwellig gegen die EU zu agieren. Das nationale Innenminister, so auch Faeser, dazu beitragen, den Schengen-Raum kaputt zu machen, ist eine Sache.

    Deutschlands Alleingang in Bezug auf eine gemeinsame Verteidigung ist tatsächlich viel gravierender...

    "Das ändert aber nichts daran, dass sich Frankreich, ein auf seine Armee stolzer EU-Pionier, von einem der wichtigsten europäischen Projekte der letzten Jahrzehnte – dem Luftabwehrschirm – ausgeschlossen fühlt. "

    www.derstandard.at...uftabwehr-herunter

  • Das Gute an der sog "Energiekrise" ist, dass nun endlich ernsthaft das Ende der fossilen Energie (Gas, Öl,...) angegangen wird.

    Umweltverschmutzung und Abhängigkeit von totalitären Herrschern müssen endlich beendet werden! De EU ist der beste Rahmen dafür.

    • @Cervo:

      Genau genommen wird nur fieberhaft nach neuen Lieferanten fossiler Energieträger gesucht.

      Der Ausbau der Erneuerbaren stockt. Auf wirksame Gesetze zur Beschleunigung wartet man bis jetzt vergeblich.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Ja, so ist es immer noch kompliziert private Solarpanele zu installieren. Die Stromfirmen RWE.. haben sich abgeschottet.



        Änderungen? Fehlanzeige!



        Für Einspeisungen 5ct für Kauf 55ct. Warum?

  • Die EU-Kommission wollte die Sanktionen.



    "Bemerkenswert ist, dass die Kommissionschefin ihre Absprachen mit Washington im Alleingang, ohne regelmäßige Rücksprache mit Berlin oder Paris betrieb. ...

    Erst beim EU-Gipfel im Dezember kamen die Sanktionen zur Sprache. Kanzler Scholz war aber noch nicht richtig an Bord – er mußte auf Linie gebracht werden. "



    lostineu.eu/eu-san...yen-den-usa-folgt/

    Die nicht gewählte Verwaltung der EU entscheidet und die Bürgerinnen und Bürger müssen die Folgen aushalten.



    Die Energiekrise ist eine Folge der Sanktionen. Wir gefährden durch diese Politik die wirtschaftliche Lage und den sozialen Frieden, den in Deutschland und in der EU, aber auch in den ärmeren Ländern, deren Energiekosten wir nach oben treiben.

    • @Octarine:

      Gas war und ist nicht sanktioniert. Die Sanktionen waren eine Reaktion auf den russischen Überfall. Putin hat entschieden, Gas als Waffe einzusetzen.

      • @Lieblich:

        Lesen sie den Blog von Eric Bonse/Politico über die Entscheidung über Sanktionen.

        Die Sanktionen betreffen Technik für den Betrieb der Pipeline (Siemens Turbinen, sie erinnern sich?), Betreiber, Einnahmen und deren Nutzung.

        Beschlagnahme von Vermögenswerten ist eigentlich nur im Kriegsfall möglich. D. und EU wollen aber keine Kriegsteilnehmer sein.

        Warum sollte jemand etwas verkaufen, ohne die Einnahmen für den Einkauf anderer Güter nutzen zu können?



        Die EU und D. liefern Waffen, um Russen zu töten und Russland soll trotzdem Gas liefern, das zur Produktion dieser Waffen dient?

  • Die Sanktionen führen zu immer mehr Verschuldung, wirtschaftlichen Ruin, immensen sozialen Problemen und gefährden eigentlich ALLES was bisher in Europa immer angestrebt und hochgehalten wurde. Es muss Schluss sein damit, es muss nach Lösungen gesucht und Verhandlungen angestrebt werden.

    • @Genderer:

      "Die Sanktionen (...). Es muss Schluss sein damit, es muss nach Lösungen gesucht und Verhandlungen angestrebt werden."



      Holen Sie mich ins Boot: wer soll hier genau mit wem worüber verhandeln?

    • @Genderer:

      Verhandlungen, mit wem über was? Mit einem Autokraten, der weder vertrauenswürdig ist, noch sich an Verträge und Absprachen hält? Soll die EU die Ukraine zwingen Teile ihres Staatsgebiets aufzugeben, damit wir einen warmen Hintern haben? Was ist denn Ihr Vorschlag einer Lösung? Was ist Ihr Vorschlag, wenn russische Truppen in Moldavien einmarschieren, oder im Baltikum oder eine Landverbindung nach Kaliningrad durch Polen erzwingen will?

    • @Genderer:

      nicht die Sanktionen gefährden Europa, sondern ihr Freund Wladimir Putin. Sagen sie ihm doch, dass er sich aus der Ukraine zurückzieht.

    • 6G
      656279 (Profil gelöscht)
      @Genderer:

      Sehe ich genauso; als Rufer hier in der Wüste.