EU-Flüchtlingspolitik in Libyen: Zurück in den Krieg
Libyen ist durch den Bürgerkrieg stärker zerrüttet als irgendein anderes Maghreb-Land. Trotzdem will die EU Flüchtlinge dorthin zurückschicken.
Manlio Scopigno sitzt an einem Nachmittag im November in den Katakomben eines Backsteinbaus auf einem Militärflughafen im Süden Roms. Er zeigt Bilder von Fregatten. Acht Schiffe sind für „Sophia“ unterwegs, zwei hat die Bundeswehr geschickt. 25 der 28 EU-Staaten sind an „Sophia“ beteiligt, insgesamt 1.200 Armeeangehörige.
Ihr Gegner ist keine Armee. „Unser Auftrag ist, die Schlepperboote zu identifizieren und zu zerstören“, sagt Scopigno. In Zukunft aber sollen die Soldaten anderes tun, sagt Scopigno, „die Flüchtlinge zurück nach Libyen bringen“. Beamte der EU-Polizeiausbildungsmission Eubam Libya, an der auch die deutsche Bundespolizei beteiligt ist, beraten bereits die libysche Regierung, was mit den Flüchtlingen geschehen soll.
Am 13. Oktober trafen sich die EU-Innenminister in Luxemburg. Wieder einmal forderte Thomas de Maizière (CDU), dass die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge nach Nordafrika zurück gebracht werden. In „sicheren Unterbringungsmöglichkeiten“ solle dort ein Asylanspruch geprüft werden. 2003 hatte SPD-Innenminister Otto Schily das erstmals vorgeschlagen. Seither tauchte die Idee immer wieder auf. Tunesien war als möglicher Ort für die Aufnahmelager im Gespräch. Aber wie wäre es zu rechtfertigen, Hunderttausende Menschen, die aus Libyen kommen, im Mittelmeer zu stoppen und im winzigen Tunesien abzuladen?
De Maizière und seine Kollegen
Und so verlangte de Maizières österreichischer Kollege Wolfgang Sobotka in Luxemburg „Abkommen, damit Europa Flüchtlinge sofort auch wieder nach Libyen zurückschicken“ könne. Ungarn hatte sich ähnlich geäußert. 256.000 Migranten halten sich nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration derzeit in Libyen auf.
Vor „dramatischer“ Migration aus Afrika warnt die deutsche Regierung, von einem „Marshallplan“ ist die Rede. Doch die Milliardensummen, die Europa in Afrika ausgeben will, dienen nicht nur dem Kampf gegen Armut. Erklärtes Ziel ist es, Flüchtlinge und Migranten tief im Inneren Afrikas aufzuhalten. Die taz berichtet darüber in einem Rechercheschwerpunkt. Die ersten Teile erschienen am 17. November (Zusammenarbeit der EU mit Sudans Regime) und am 23. November (zwei sudanesische Schleuser packen aus). Die Recherche wurde gefördert von Fleiß und Mut e. V. (fleissundmut.org).
Die libysche Regierung GNA (Government of Natonal Accord), die auf einer Marinebasis in Tripolis residiert, lehnt dies bislang ab. Die Regierung und der 7-köpfige Präsidialrat wurden von der EU und UN anerkannt, spielen aber im Land kaum eine Rolle. Dennoch wälze die EU ihre Verantwortung „auf unseren Schultern“ ab, sagte GNA-Außenminister Taher Siala.
Als im April 2015 in einer Woche über 1.000 Menschen ertranken, beschloss die EU einen 10-Punkte-Plan. „Sophia“ war Punkt 2. Etwa 168.000 Menschen sind seit Anfang des Jahres über Libyen nach Italien gekommen, über 4.600 starben in den Schlauchbooten, für die die Schlepper pro Platz etwa 1.000 Dollar kassieren. Seenotrettung ist zwar „nicht unser Kernmandat“, sagt Scopigno, aber natürlich eine „Pflicht“. Rund 30.000 Menschen in Not haben „Sophia“-Schiffe bislang nach Italien gebracht.
Fregatten versenken Flüchtlingsboote
Bis jetzt nehmen meist zivile Schiffe die Schiffbrüchigen nahe der libyschen Küste auf, dann versenken EU-Fregatten die Boote. Im Sommer verlängerte die EU das „Sophia“-Mandat um ein Jahr bis 2017. Jetzt soll die Mission die völlig desorganisierte und undurchsichtige libysche Küstenwache trainieren.
Dafür verließen am 24. Oktober ein niederländisches und ein italienisches Trainingsschiff den Hafen von Catania. Monatelang hatte die EU in Libyen nach Teilnehmern gesucht, Bedingung: seit zwei Jahren im Dienst Libyens und eine Selbstverpflichtung für weitere zwei Jahre sowie Loyalität zur GNA. Ein Sicherheitscheck sollte zudem verhindern, dass Dschihadisten dabei waren.
Am 26. Oktober gingen 78 Auserwählte an Bord. In der ersten Phase sollen sie 84 Stunden büffeln, auf dem Stundenplan Menschenrechte, Seerecht, Maritime Sicherheit, Meeresschutz, Seenotrettung, Fischereiüberwachung und Englisch – macht 12 Stunden pro Fach. Die Ausbilder stammen aus Belgien, Griechenland, Deutschland und den Niederlanden. Außerdem schicken das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die EU-Grenzschutzagentur Frontex Experten. Im Januar 2017 soll das Training in Malta und Griechenland weitergehen.
Gaddafis Küstenschutz
Manche der Küstenwächter stammten noch aus Gaddaffis Zeiten, sagt Scopigno. Deren Fähigkeiten wolle man „verbessern“. Eine dem libyschen Innenministerium unterstehende Truppe ist nicht dabei. „Die Kontaktaufnahme hat nicht geklappt“, begründet Scopigno. „Die antworten uns nicht.“ Die Übrigen aber seien „gut organisiert, wissbegierig und lernfähig“. Allerdings hätten sie „keine Kenntnis über Menschenrechte oder Seerecht“ und waren „nicht auf dem Stand westlicher Küstenwachen“. Dadurch seien sie durch „sehr aggressives Auftreten“ aufgefallen, sagt Scopigno. Ziel des Trainings sei deshalb „weniger aggressives Verhalten“.
Ende Oktober hatte ein Boot der libyschen Küstenwache eine Rettungsaktion der deutschen NGO „Sea Watch“ gestört. Mehr als zwei Dutzend Menschen ertranken. „Sea Watch“ hat deshalb in Deutschland Anzeige „nach dem Weltrechtsprinzip“ erstattet, wie Sprecher Ruben Neugebauer sagt. Zwar habe es „auch Begegnungen gegeben, wo die libysche Küstenwache bei der Rettung mitgeholfen hat“. Trotzdem sieht Neugebauer die Truppe extrem kritisch. „Was wir sehr oft hören, ist, dass die Küstenwache die Flüchtenden zurückbringt. In Libyen werden sie eingesperrt und können sich dann wieder freikaufen“, sagt er. Die libysche Küstenwache ist selbst „Teil des Schleppergeschäfts“.
Gleichwohl soll sie bald Ausrüstung aus Europa bekommen. Als Diktator Gaddafi 2007 Italien einen milliardenschweren Nachbarschaftsvertrag aus der Nase zog, versprach Rom die Lieferung von zehn Patrouillenbooten. Ausgeliefert wurden sie nie. Bis heute liegen sechs Boote in Tunesien, vier in Italien. „Man muss sichergehen, dass die Richtigen sie bekommen“, sagt Scopigno.
Die „Richtigen“ werden belohnt
Die Richtigen sollen die sein, die die EU jetzt ausbildet. Und dann soll „Sophia“ in die dritte Phase eintreten. Dann sollen die Schlepper direkt an der Küste bekämpft werden. Vor allem soll die libysche Regierung GNA den Europäern erlauben, in libyschen Gewässern zu patrouillieren und gemeinsam mit den frisch von der EU ausgebildeten eigenen Grenzern Schiffbrüchige aufnehmen. Das würde die Lage grundsätzlich ändern.
„Wenn man akzeptiert, dass die Libyer retten können, dann muss man auch akzeptieren, dass sie sich um die Flüchtlinge kümmern können“, sagt Scopigno. Gerettete sollen nach Libyen gebracht werden, nicht mehr nach Italien. Und was soll dann mit den Menschen dort geschehen? „Es gibt Verantwortliche für die Flüchtlingscamps in Libyen, die der Regierung unterstehen“, sagt Scopigno. Es werde sondiert, ob diese Camps so gestaltet werden können, dass sie aufnahmefähig werden.
Die Genfer NGO „Global Detention Project“ zählt in Libyen 24 Internierungslager. 15 wurden in den letzten zwei Jahren eröffnet, 9 stammen aus Gaddafis Zeit. Die wenigen NGOs, denen es in den Wirren der letzten Jahre gelang, einen Blick in die Lager zu werfen, sprachen von grauenerregenden Zuständen. In mindestens zehn der Lager sind nach taz-Recherchen willkürlich verhaftete Migranten untergebracht. Damit wollen sich lokale Milizen und Behörden als Partner für die EU zeigen. Nicht wenige hoffen, von der EU bezahlt zu werden.
Eubam kann nicht arbeiten
Ausgerechnet das im Chaos versunkene Libyen soll zum sicheren Drittstaat erklärt werden. Wohin die Menschen nach einer Rückschiebung kommen sollen, sondieren nach Angaben von Scopigno derzeit Beamte von Eubam Libya. Doch die für dieses Jahr mit 17 Millionen Euro ausgestattete Eubam Libya ist das beste Beispiel, wie prekär die Lage ist.
Seit Jahren sollen die Beamten in Libyen ausbilden, die Bekämpfung irregulärer Migration war ein Hauptziel. Doch nie war die Situation annähernd stabil genug, dass sie hätten beginnen könnten. Alle Diplomaten wurden 2014 nach Tunesien evakuiert. Die GNA-Regierung verfügt weder über Sicherheitskräfte noch ein Budget. Nur eine Rumpfmannschaft von Eubam wartet von Tunis aus auf den Einsatz.
Beim Europäischen Auswärtigen Dienst heißt es dazu: „Die Voraussetzungen für den Übergang zur Sophia Phase III liegen noch nicht vor.“ Dazu müsste Libyen Migranten nach internationalen Standards aufnehmen können. „Dies ist derzeit nicht der Fall.“ Damit sich dies ändere, führe Eubam einen „engen Dialog“, unter anderem mit den libyschen Behörden.
Nicht einmal der mit 1,8 Milliarden Euro ausgestatteten Trust Funds for Africa, mit dem die EU die Flüchtlinge aufhalten will, kann so greifen. Aus dem Projekt sind gerade einmal 6 Millionen Euro für Libyen vorgesehen. Mit dem Geld sollen die lokalen Behörden „Alternativen zur Internierung, vor allem für Kinder“ entwickeln. Aber ein Start des Programms ist nicht in Sicht. „Wann immer das möglich ist“, werde ein Konsortium unter Führung des dänischen Flüchtlingsrates mit der Umsetzung beginnen, heißt es bei der EU.
Mitarbeit: Mirco Keilberth, Fabian Grieger, Paul Welch Guerra. Ein Teil der Recherche fand im Rahmen einer Reise der EU-Kommission statt, die die Kosten trug.
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