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EU-Flüchtlingspolitik auf dem MittelmeerVerstoß gegen EU-Haushaltsrecht

NGOs erheben Beschwerde gegen die EU-Zusammenarbeit mit der Libyschen Küstenwache. Sie verstoße gegen Menschenrechte.

Die sogenannte Libysche Küstenwache: Von der EU hochgerüstet, verstößt gegen Menschenrechte Foto: Hazem Ahmed/ap

Tunis taz | Die von der EU und ihren Mitgliedstaaten im Windschatten der Coronakrise zuletzt weiter massiv vorangetriebene Grenzabriegelung im Mittelmeer wird immer grotesker. Die jüngst enthüllten Maßnahmen Maltas, um Flüchtende am Erreichen maltesischer Gewässer zu hindern, laufen jedoch offenbar internationalem Seerecht zuwider.

Maltas Regierung hatte private Fischkutter beauftragt, im Mittelmeer in Seenot geratene Boote abzufangen oder zu retten und die Insassen in das vom Krieg zerrissene Libyen zurückzubringen. Das Land gilt jedoch nicht als „sicherer Hafen“ für Geflüchtete oder Schiffbrüchige, drohen ihnen hier doch Misshandlung, Folter und Internierung in informellen Haftanstalten.

Derlei Rückführungen Geflüchteter nach Libyen waren zuletzt oft von der sogenannten libyschen Küstenwache durchgeführt worden, die seit Jahren von der EU hochgerüstet wird. Brüssels Kooperation war bisher meist dafür kritisiert worden, gegen internationales See- und Flüchtlingsrecht zu verstoßen und Rückführungen von Menschen in ein Land Vorschub zu leisten, in dem Menschenrechte systematisch verletzt werden. Eine letzte Woche beim EU-Rechnungshof eingereichte Beschwerde stellt die Zusammenarbeit nun auch aus einem anderen Blickwinkel infrage.

Die vom Global Legal Action Network und den italienischen NGOs Asgi und Arci vorgetragene Beschwerde wirft einem in Libyen durchgeführten Grenzkontrollprojekt vor, EU-Haushaltsrecht zu verletzen. Konkret geht es dabei um ein seit 2017 mit rund 90 Millionen Euro gefördertes Programm zum Ausbau von „Integriertem Grenzmanagement“ in dem Land. Im Rahmen des aus Mitteln des EU-Treuhandfonds für Afrika (EUTF) finanzierten Projekts wird die libysche Küstenwache mit Trainings unterstützt und mit Booten beliefert.

Vorwurf: Zweckentfremdung von Steuermitteln

Damit machten sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten an „umfassend dokumentierten und systematischen“ Menschenrechtsverstößen libyscher Behörden „mitschuldig“, heißt es in der Beschwerde, die sich auf ein Rechtsgutachten stützt. Das Projekt habe zu ernsthaften Verletzungen von EU-Haushalts- und Verfassungsrecht geführt.

Die Beschwerde wirft der EU Zweckentfremdung von Steuermitteln vor. Für die Armutsreduktion vorgesehene Gelder seien für nicht entwicklungsrelevante Ziele wie Grenzkontrollen eingesetzt worden. Die Umleitung von Mitteln für Zwecke, die nicht vom EU-Parlament genehmigt wurden, sei „nicht einfach eine technische Frage, sondern eine Verletzung des Haushaltsrechts des EU-Parlaments“ und stelle damit „demokratische Prinzipien innerhalb der EU-Verfassungsordnung“ infrage, so das Gutachten.

Der Rechnungshof habe bereits 2018 Bedenken über den Missbrauch des EUTF geäußert, als er feststellte, dass dessen eigentliche Ziele nicht darin bestünden, Ursachen irregulärer Migration anzugehen, sondern die Zahl in Europa ankommender Geflüchteter zu verringern, sagt Giorgia Pintus von Arci der taz.

Die Beschwerde fordert eine Überprüfung des Projekts, das vorerst ausgesetzt werden solle. Die EU müsse die Finanzierung von Maßnahmen zugunsten der Küstenwache davon abhängig machen, ob diese die Menschenrechte achte.

Die Beschwerde stellt dabei nicht nur die EUTF-Finanzierung des IBM-Projektes infrage, sondern könnte sich auch auf EUTF-finanzierte Grenzkontrollprojekte in anderen Ländern auswirken. Der Vorstoß dürfte die EU zwar nicht zu einer grundsätzlichen Abkehr von ihrer Grenzauslagerungspolitik zwingen, hat aber durchaus das Potenzial, ihr Steine in den Weg zu legen.

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4 Kommentare

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  • Es ist nicht seriös, verschiede Rechtsakte zu verbinden, die nicht miteinander verbunden werden können. Jeder lyrische Hafen ist im Sinne des Seerechts ein sicherer Hafen. Insofern sind die hier beschriebenen Maßnahmen absolut konform mit dem Seerecht. Die Aussage, dass Lybien kein sicherer Hafen sei, kann nur anhand der Genfer Konvention getroffen worden sein. Diese hat aber mit Seerecht rein gar nichts zu tun. Eine Seenotrettung sieht die Genfer Konvention nicht vor. Dies ist nur im Seerecht geregelt. Wenn diese Rettungen aber analog zum Seerecht ablaufen, müssen sie auch in diesem Sinne beendet werden. Und selbst die NGO‘s, die offen jeden Migranten als berechtigten Flüchtling ansehen, müssen sich an das Seerecht halten.

    • @Jan Ströher:

      Andere haben schon darauf hingewiesen, dass Ihr formalrechtlicher Ansatz Löcher hat.

      Mir bleibt also nur daran zu erinnern, wie unmenschlich, unmoralisch und unrealistisch Ihr Ansatz ist.

      Sich hinter (vielleicht manchmal korrekten -- in diesem Fall sehr wahrscheinlich nicht einmal das) formaljuristischen Konstruktionen zu verstecken, um sich der verzweifelten Menschen zu erwehren, die zu allem bereit sind, Tod und Elend zu entfliehen endete bisher immer... schlecht.

    • @Jan Ströher:

      Das stimmt so natürlich nicht. Das Seerecht bestimmt eindeutig: Die Häfen in Libyen sind keine sicheren Häfen (POS). Nachzulesen für jeden: u.a. SOP 009/15 der International Marittime Organization (IMO).



      Zentral sind außerdem Unclos 1982, art 98; Solas (Safety of life at Sea) 1974, die Hamburger Konvention SAR 1979 (von Italien umgesetzt im DPR 662/1994); Richtlinien der IMO, MAC 167-78.

    • @Jan Ströher:

      Nun ja, im Originaltext der entsprechenden Formulierungen im Seerecht ist nicht von einem sicheren Hafen die Rede, sondern von einem "place of safety".



      Dieser kann in der Regel auch ein sicheres anderes Schiff sein.



      Wie sie jetzt darauf kommen, dass dieser Platz nach Seerecht auch jeder Hafen in Libyen ist, ist mir schleierhaft.



      Was sicher bedeutet, ist für Sie, laut Ihrer Interpretation des Seerechts, scheinbar nur, nicht zu ertrinken.



      Alle anderen Kriterien für Sicherheit sind dann nicht relevant?

      Woher nehmen Sie denn diese Überzeugung?

      Warum gelten die Grundlagen der Genfer Konvention, was Sicherheit für Leib und Leben betrifft nicht?



      Diese galten (moralisch gesehen) schon vor der Konvention, sind in dieser nur nochmal verbindlich (für die, die sie akzeptieren) zusammengefasst.



      Alles in allem sehr speziell ihre Auffassung vom Seerecht.