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EU-Einwanderer in DeutschlandOhne Job droht die Ausweisung

Die Bundesregierung beschließt ein Maßnahmenpaket gegen „Sozialmissbrauch“ und „Armutsmigration“. Stimmung dafür hatte vor allem die CSU gemacht.

Arbeitsministerin Nahles (l.) und Innenminister de Maiziere legten den 140-seitigen Bericht vor. Bild: dpa

BERLIN taz | Wie viel „Sozialmissbrauch“ durch Einwanderer aus EU-Ländern es gebe, lasse sich „nicht beziffern“, gab Andrea Nahles zu. „Wir wissen nicht genau, wie die Zahlen aussehen“, sagte die SPD-Arbeitsministerin am Mittwoch bei ihrer Pressekonferenz mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Auch in dem knapp 140-seitigen Abschlussbericht ihres Staatssekretärausschusses, den die beiden vorlegten, findet sich kein Hinweis darauf, wie viele solcher Fälle aktenkundig geworden sind.

Trotzdem präsentierte Nahles mit ihrem Kollegen und Koalitionspartner de Maizière am Mittwoch ein Bündel an Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung dem „Sozialmissbrauch“ speziell durch EU-Einwanderer und den Problemen, die als „Armutsmigration“ bezeichnet werden, vorbeugen will. Beide betonten dabei das „hohe Gut“ der Freizügigkeit, das es zu sichern gelte. Gleichwohl gelte es, nicht die Augen vor deren Schattenseiten zu verschließen, sagte de Maizière. Auch wenn die „Armutszuwanderung“ kein „flächendeckendes Problem“ sei, litten einige Regionen doch erheblich darunter.

Dass sich die Große Koalition jetzt auf ein ganzes Maßnahmenbündel zu diesem Thema einigen musste, hat sie der CSU zu verdanken. Die hatte zur Jahreswende vor einem drohenden „Sozialtourismus“ aus Osteuropa gewarnt und das Angstbild von massenhaftem Sozialbetrug an die Wand gemalt.

Mit einem Staatssekretärausschuss hatten SPD und Union seit Januar versucht, zu einer gemeinsamen Linie zu finden. Die ist jetzt da. Die SPD ist stolz darauf, für Kommunen wie Duisburg und Dortmund mehr Geld herausgeschlagen zu haben. Diese sollen noch in diesem Jahr eine Soforthilfe von zusätzlichen 25 Millionen Euro erhalten, etwa für Unterbringungskosten.

Sechs Monate zur Arbeitssuche

Das Gesetzespaket sieht aber auch Einschränkungen vor. So sollen sich EU-Bürger nur noch sechs Monate in Deutschland aufhalten dürfen, um hier eine Arbeit zu suchen. Was danach passiert, bleibt unklar. Wer sein Aufenthaltsrecht verliere, müsse das Land verlassen, sagte de Maizière. „Das geschieht oft nicht“, räumte er jedoch ein.

Ein mehrfacher Bezug von Kindergeld soll dadurch verhindert werden, dass künftig eine Steueridentifikationsnummer vorgelegt werden muss. Prüfen will die Bundesregierung noch, ob das Kindergeld an EU-Bürger lediglich in der Höhe ausgezahlt werden kann, wie es im Herkunftsland des Zuwanderers üblich ist. Das betrifft vor allem Saisonarbeiter, etwa aus Polen, deren Kinder weiter im Herkunftsland leben. Und wer sich sein Aufenthaltsrecht mit gefälschten Dokumenten erschlichen hat, soll bis zu fünf Jahre lang mit einer Einreisesperre belegt werden. Die CSU hatte das schon bei „Sozialmissbrauch“ gefordert.

Ein CSU-Minister war bei der Vorstellung des Gesetzespakets am Mittwoch zwar nicht dabei, dennoch frohlockte die CSU, die Regierung habe ihre Vorschläge aufgegriffen. Dies belege „die Richtigkeit unserer Denkansätze“, erklärten Michael Frieser und Stephan Stracke für die CSU-Landesgruppe. Und ihre Chefin, Gerda Hasselfeldt, sagte in der Passauer Neuen Presse: „Wir stehen zur Freizügigkeit in der EU. Aber wir dulden keinen Missbrauch dieser Freizügigkeit.“

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9 Kommentare

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  • Wer nicht arbeitet, fliegt

    Ohne Zahlen vorzulegen, fabuliert die Bundesregierung über Mißbrauch von Sozialleistungen durch EU-Bürger und kündigt Maßnahmen dagegen an

    Erwerbslosen Zuwanderern aus EU-Staaten sollen der Zugang zu Sozialleistungen und der Aufenthalt in Deutschland erschwert werden. So sieht es ein Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vor, der am Mittwoch zusammen mit dem Abschlußbericht der zuständigen Staatssekretärsrunde von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin vorgestellt wurde. Beabsichtigt wird, Zugezogenen aus EU-Staaten nach sechs Monaten den sicheren Aufenthaltsstatus zu entziehen, wenn sie keine Arbeit haben. Bei »Mißbrauch von Sozialleistungen« sollen zudem befristete Wiedereinreisesperren verhängt werden können. Außerdem will die Bundesregierung den Bezug von Kindergeld einschränken. Es werde geprüft, ob es rechtlich möglich sei, die Höhe der Zahlungen an den üblichen Kindergeldbetrag der Aufenthaltsländer der Kinder anzupassen, so de Maizière. Städte mit besonders hoher Zuwanderung aus EU-Mitgliedsstaaten sollen zudem eine Soforthilfe von zusätzlichen 25 Millionen Euro für Hartz-IV-Leistungen erhalten. Insgesamt sollen die Kommunen mehr als 200 Millionen Euro aus europäischen Förderprogrammen bekommen.

    Quelle: Junge Welt http://www.nachdenkseiten.de/?p=22981#h01

  • Die Bundesregierung diskriminiert

    Zur Freude der CSU hat das Kabinett neue Regeln für EU-Einwanderer beschlossen. Viele sind Nonsens, noch schlimmer ist die Botschaft, die Deutschland damit sendet…

    Wenn man in die Statistiken schaut, gibt es bis heute keine Anhaltspunkte für den angeblichen “fortgesetzten Missbrauch” der Freizügigkeit, wie die CSU behauptet. Denn die (wenigen) Rumänen und Bulgaren, die in Deutschland Sozialleistungen bekommen, haben als EU-Bürger zunächst einmal ein gutes Recht dazu. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die die schärferen Regeln präsentierte, musste auf Nachfrage einräumen, dass die Mehrheit der Einwanderer aus Osteuropa sich sehr schnell und gut in den deutschen Arbeitsmarkt integriert – ja sogar dringend gebraucht wird, als Ärztin oder Vorarbeiter.

    So ist das beschlossene Maßnahmenpaket neben dem politischen Zugeständnis an die CSU vor allem ein Einknicken vor den Ressentiments, das schmerzhaft bewusst macht, dass Deutschland eben doch nicht das weltoffene Einwanderungsland ist, das es so gerne wäre. Vor allem, wenn es um Menschen aus Südosteuropa geht…

    Unfug sind allerdings die weiteren Regeln zur Missbrauchsbekämpfung, auf die sich die Bundesregierung geeinigt hat. Nicht deswegen, weil es falsch ist, Missbrauch zu bekämpfen, den es bei der Freizügigkeit auch gibt. Sondern weil die Maßnahmen oft unverhältnismäßig sind und sie einer bestimmten Gruppe von Menschen (unausgesprochen) unterstellen, kriminell zu sein. So etwas nennt man Diskriminierung. http://www.nachdenkseiten.de/?p=22981#h01

  • Betrachtet man hier die europarechtlichen Vorgaben kann man etwas vereinfacht zusammenfassen: Eigentlich muss ein Staat Zuwanderer in den Sozialsystemen gleichbehandeln, nur nicht grundsätzlich und völlig in der Sozialhilfe. Beim Arbeitslosengeld II aber wohl schon, was hauptsächlich den deutschen Gesetzgebern zu verdanken ist. Der Mitgliedsstaat kann das aber auch irgendwie einschränken, es ist nur nicht klar wie und vor allem, wie er den Sachverhalt überprüfen soll. Er kann auch den Aufenthalt beschränken, es ist aber unklar wann und mit welchem Grund, vor allem wann die Fürsorgeleistungen des Aufnahmestaats „unangemessen“ in Anspruch genommen werden. Schon gar nicht darf das „automatisch“ zu einer Ausweisung führen, aber „gegebenenfalls“ darf der Staat bei einer Arbeitsuche „mit begründeter Aussicht noch eingestellt zu werden“ auch längere Zeit nicht gleichbehandeln.

     

    Das ist knapp die Zusammenfassung von Art.3 und 4 Verordnung (EG)883/2004 i.V. mit § 1 SGB II und Art. 14 und 24 Richtlinie 2004/38/EG. Niemand muss sich wundern, wenn er sich darunter nichts oder widersprüchliches vorstellen kann, das geht Behördenmitarbeitern – bei Jobcentern und vor allem Meldebehörden – und Gerichten, Journalisten und Wissenschaftlern auch so. Nur Politiker – und zwar aus jeder Richtung – und die Kommission, vor allem Sozialkommissar Andor und Justizkommissarin Reding behaupten, das sei alles ganz eindeutig geregelt.

     

    Damit ist aber auch klar: nicht diese Zuwanderer sind die eigentlichen Akteure des Geschehens, sondern Grundlage ist eine für mich sehr problematische EU-Gesetzgebung, die die Personenverkehrsfreiheit, gerade auch sehr armer Menschen, wie die Art.8 Abs.4 und 14 Richtlinie 2004/38/EG zeigen, forcieren will, der aber nichts am Schutz des Niveaus nationaler sozialer Sicherheitssysteme liegt.Weiter hier: http://www.nachdenkseiten.de/?p=21125

  • Und wann werden Steuerbetrüger wie Herr Höneß und Frau Schwarzer des Landes verwiesen? Wenn es irgend eine Gerechtigkeit gibt in diesem Land, dann haben diese Leute das Recht hier zu leben eher verwirkt als Menschen die zu Hungerlöhnen ausgebeutet werden.

  • Das ganze Gesetzpaket ist so überflüssig und sinnlos wie es nur geht, da die Notwendigkeit einfach nicht gegeben ist. Aber stattdessen bedient man den Stammtisch mit den blödsinnigen Parolen des "Sozialmissbrauchs", der angeblich massenhaft stattfindet.

     

    Jede Sekunde, die in dieses Gesetzespaket an Arbeit geflossen ist, hätten sinnvoller angewandt werden können.

    • @Dubiosos:

      Der EuGH wird sich mit Sicherheit damit befassen.

  • "Ohne Job droht die Ausweisung"

     

    Wann gilt das auch für 'Deutsche'?

    • @friedjoch:

      Aber Friedjoch, wohin dann mit Ihnen?

      • @Hilde Blume:

        :)

         

        Die Vorlage war nur allzu offensichtlich.

        Keine Sorge, ich hab immer Arbeit. Ich spiele nämlich auf Oberschichtparties den Sozialversager. Da erntet man viel Mitgefühl. Dann betrinke ich mich und alle fühlen sich bestätigt.