EU-Defizitverfahren gegen Frankreich: Kein Szenario wie in Griechenland
Frankreich reißt die EU-Schuldenregel von 3 Prozent – und muss nun rasch kräftig sparen. Das ist angesichts innenpolitischen Lage nicht einfach.
E ine hohe Arbeitslosigkeit, stark gesunkene Haushaltseinkommen vor allem bei den Ärmsten der Armen, mehr Tuberkulosefälle, HIV-Infektionen, Depressionen und Suizide, fast doppelt so viele Totgeburten wie üblicherweise: So sah es in Griechenland nach der Finanzkrise infolge des strengen EU-Spardiktats aus. Damals verlor das Land rund ein Viertel seiner Wirtschaftskraft. Jetzt startet die EU-Kommission ein neues Defizitverfahren gegen sieben Länder: Belgien, Frankreich, Italien, Ungarn, Malta, Polen, Slowakei. Sie verstoßen, so begründet es die Kommission, gegen die EU-Schuldenregeln.
Ein Land sticht dabei besonders heraus: Frankreich. Ende 2023 weist das Land mit rund 3,1 Billionen Euro die höchste absolute Staatsverschuldung innerhalb der Europäischen Union auf – das entspricht 110 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Zum Vergleich: In Deutschland sind es 63 Prozent des BIP und im Durchschnitt der Eurozone 88 Prozent. Frankreichs Defizit stieg 2023 auf 5,5 Prozent, Finanzexpert:innen erwarten für dieses Jahr zwar einen leichten Rückgang auf 5,3 Prozent. Aber nur 3 Prozent sind in der Eurozone erlaubt.
Das klingt einigermaßen dramatisch, und es steht die Frage im Raum: Droht Frankreich ein ähnliches Szenario wie seinerzeit Griechenland? Der soziale Absturz großer Bevölkerungsgruppen und ein katastrophales internationales Image?
Wohl kaum. Frankreich muss jedoch rasch Maßnahmen ergreifen, um das Defizit zu reduzieren. Das ist ein Balanceakt angesichts der brisanten innenpolitischen Lage. Präsident Emmanuel Macron hat nach dem Sieg der Rechtspopulisten bei den Europawahlen die Nationalversammlung aufgelöst, Neuwahlen sind am 30. Juni und 7. Juli geplant, der Rechtsruck scheint kaum noch abzuwenden.
Vom Stabilitätsfaktor zum Unruhestifter
Damit einhergehen könnte eine schädliche Wirtschafts- und Sozialpolitik, doch bleibt der Aufstand der Unternehmensbosse aus. Und schon jetzt geben viele Chefs kleiner Unternehmen, darunter Handwerksbetriebe, dem RN ihre Stimme.
Frankreich, einst Stabilitätsfaktor in der EU, wird jetzt womöglich zum Unruhestifter. Folgt man den Worten des RN-Vorsitzenden Jordan Bardella, wird er sich nicht um einen Sparkurs scheren. Bardella verspricht den Unternehmen nicht nur sinkende Steuern und geringere Abgaben auf Lohnerhöhungen. Er will auch die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre zurücknehmen. Vor allem auf eines dürfte sich Brüssel vorbereiten: den Versuch, die EU auszuhöhlen und die europäische Integration rückgängig zu machen.
Das alles klingt beunruhigend. Aber ein Szenario wie seinerzeit Griechenland droht Frankreich nicht. Dafür ist die EU insgesamt wirtschaftlich zu stark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr