EU-Afrika-Gipfel: Geld bieten und Übel androhen
Seit 2015 versucht die EU, afrikanische Staaten zu Ko-Grenzschützern zu machen. Sich weigernde Länder werden massiv unter Druck gesetzt.
Es dürfte ungemütlich werden zwischen der EU, die sich mit der Flüchtlingskrise plagt, und den Staaten Afrikas, deren Bevölkerung sich von der Migration vor allem ein besseres Leben verspricht.
Wie schon sooft zuvor hatte der Ratsgipfel in Malta in der vergangenen Woche – ebenso wie das Außenministertreffen in Brüssel am Montag – vor allem ein Thema: Die Flüchtlingszahlen sollen sinken. Und die Staaten Afrikas sollen dafür sorgen, dass das geschieht.
Seit Anfang Januar sind 9.360 Menschen über Libyen nach Europa gekommen – 50 Prozent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Ertrunken sind seit dem 1. Januar im zentralen und westlichen Mittelmeer mindestens 253 Menschen; 2,5-mal so viele wie im Vorjahreszeitraum.
Die privaten Rettungsorganisationen vor Libyens Küste haben in den letzten Wochen fast täglich Einsätze gemeldet, bei denen sie teils Hunderte aus Seenot retten. Und das war, schlechtwetterbedingt, die Nebensaison für die Flüchtlingsboote.
Angesichts erstarkender Rechtspopulisten
Seit über einem Jahr versucht die EU, mehr als ein Dutzend afrikanische Länder als Co-Grenzschützer zu gewinnen. Im November 2015 hatte sie deshalb Minister und Präsidenten vieler Staaten Afrikas schon einmal nach Malta geladen. Die EU versprach ihnen 1,8 Milliarden Euro, bereitgestellt in einem „Nothilfefonds für Afrika“, wobei die Not eher auf europäischer Seite lag: Angesichts erstarkender Rechtspopulisten wollte die EU schon damals die Staaten Afrikas auf verbindliche Zusagen festnageln, die Flüchtlinge und Migranten zu stoppen.
Migration Control: Auf einer eigenen Webseite hat die taz eine umfassende Dokumentation der EU-Migrationskontrolle in Afrika erstellt: taz.de/migcontrol mit Länderreports, Hintergrundtexten und Originaldokumenten. Fünf Monate lang wurde dafür in 21 Ländern recherchiert. Die Seite ist auch auf Englisch und in Kürze auf Französisch verfügbar.
taz-Serie: Vom 17. November bis 15. Dezember 2016 wurden Recherchen wöchentlich in der taz veröffentlicht, am 16. Dezember folgte ein taz-Dossier mit den wichtigsten Ergebnissen. Weitere Reportagen erschienen in der taz.am wochenende am 17. Dezember und am 28. Januar 2017. Auch ein Jahr später verfolgen wir die Entwicklungen weiter und treten in eine erneute Serie von Beiträgen zur europäischen Migrationskontrolle auf dem afrikanischen Kontinent ein.
Doch solche Zusagen gab es nicht; nur einen wachsweichen „Gemeinsamen Aktionsplan“. Mit dem Scheckbuch sind Brüsseler Diplomaten seither durch Afrikas Hauptstädte gereist. Über 2,5 Milliarden hat die EU als Motivationshilfe aus dem zwischenzeitlich aufgestockten „Nothilfefonds“ verteilt, die letzte Tranche Ende Dezember.
Die eigentlich für Entwicklungszusammenarbeit gesperrte Diktatur Eritrea zum Beispiel wurde mit 85 Millionen bedacht, Senegal konnte sich über 160 Millionen Euro freuen. Zusätzlich gab die EU 300 Millionen aus anderen Töpfen für Sudan und Libyen frei, außerdem über eine halbe Milliarde Euro als eine Art Bonus-Entwicklungshilfe für Staaten wie Niger.
Im Aufbau, wenn auch noch stockend, ist die mit sechs Milliarden Euro dotierte „Africa Investment Facility“, eine Art Investitionsversicherung, mit der die EU sagenhafte 62 Milliarden Euro Privatkapital nach Afrika lotsen will.
Staaten, die sich der Zusammenarbeit verweigern, wurde mit Hilfskürzungen und Handelsnachteilen gedroht. Die Reaktionen waren verhalten.
Nur wenige Staaten – etwa Marokko und Senegal – kooperieren wie gewünscht und kontrollieren die Migrationskorridore. Zu diesen Ländern zählt auch Niger.
Kann die EU so ihr Ziel erreichen?
20 deutsche Bundespolizisten sollen jetzt vor Ort nigrische Grenzer ausbilden. Die Regierung in Niamey erhöhte das Strafmaß für Schlepper auf 30 Jahre Haft. Eine Folge: Die Schlepper machen aus Angst vor Entdeckung nun einen weiten Bogen um die wenigen Wasserstellen. Die nächsten Todesopfer durch Wassermangel sind wohl nur eine Frage der Zeit.
Kann die EU so ihr Ziel erreichen? „Konkret messbare Ergebnisse“, wie der EU-Rat sie von den afrikanischen Partnerstaaten verlangt, gibt es nicht. Im November verkündete die EU-Kommission, dass die Zahl der Flüchtlinge, die durch Niger nach Libyen gelangen, von 70.000 im Mai 2016 auf nur 1.500 im November gefallen sei. 102 Schlepper seien verhaftet und 95 ihrer Fahrzeuge beschlagnahmt worden. Kurz darauf korrigierte die IOM, auf deren Zählung die Meldung zurückging: Es seien 11.500, nicht 1.500 Menschen gezählt worden – ein im Vergleich zu anderen Jahren eher hoher November-Wert.
Keine einzige Regierung hat bisher ein Rücknahmeabkommen unterschrieben, das die EU so dringend fordert. Manche fürchten für diesen Fall Proteste der Bevölkerung. Eine regelrechte Bruchlandung erlitt die EU-Diplomatie aus diesem Grund kürzlich in Mali. Die Regierung in Bamako, geködert mit mehreren hundert Millionen Euro und durch EU-Militärmissionen – an denen auch die Bundeswehr beteiligt ist – relativ eng mit der EU verbunden, unterschrieb Mitte Dezember ein Abkommen.
Der EU-Verhandlungsführer, Niederlands Außenminister Bert Koenders, nannte dies ein „Rücknahmeabkommen“, was einen wichtigen, symbolischen Durchbruch für die EU in Afrika bedeutet hätte. Doch Koenders' malischer Kollege Abdoulaye Diop dementierte wütend: Es handele sich keineswegs ein Rücknahmeabkommen.
Wahlen in Europa stehen bevor
Kurz darauf schickte Mali gar zwei aus Frankreich abgeschobene Männer wegen fehlender Papiere postwendend wieder nach Paris zurück – ein offener Affront gegenüber der einstigen Kolonialmacht.
Nicht alle Staaten müssen auf ihre Bevölkerung Rücksicht nehmen wie Mali. Die meisten, unter ihnen Niger oder Sudan, dürften darauf spekulieren, dass für sie im Geschacher um den Flüchtlingsstopp deutlich mehr drin ist. Der türkische Präsident Erdogan und der einstige Machthaber Libyens, Muammar al-Gaddaffi haben es vorgemacht: Sie trotzten der EU Milliarden für Flüchtlingsdeals ab – für sie ganz allein.
Tatsächlich steht die EU unter Druck. Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland stehen an. Wie weit die EU zu gehen bereit ist, zeigte sich in den letzten Tagen: Da fielen alle bisherigen Hemmungen, Flüchtlinge sogar nach Libyen zurückzuschicken – den Failed State schlechthin.
Offiziell äußert sich die Afrikanische Union nicht
Bis Donnerstag treffen sich auf Malta nun wieder EU und Afrikanische Union, auch die gesamte Frontex-Führungsspitze ist vor Ort.
Offiziell geht es bei dem Treffen um die Umsetzung eines „Gemeinsamen Aktionsplans“ vom 2015. Aber Gemeinsamkeiten gibt es wenige. Bei einem Treffen mit NGOs Ende Januar in Brüssel ließ die Afrikanische Union durchblicken, dass sie unzufrieden mit dem Vorgehen der EU ist. Diese tue alles, um die Freizügigkeit innerhalb Afrikas einzuschränken.
Offiziell äußert die AU sich nicht. Als einer der wenigen Beobachter ist Samir Abi von der NGO Observatoire Migration in Valletta als Beobachter zugelassen. „Die EU achtet die Grundrechte von uns Afrikanern nicht“, sagt er. „Mit dem Geld will sie unsere Regierungen erpressen.“
Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, hat die Migrationskontrolle zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht. Ihr Schatten-Außenministerium, der Europäische Auswärtige Dienst, verhandelt seit nunmehr 15 Monaten mit den Staaten Afrikas über Abkommen zum Flüchtlingsstopp. Italien hat das zu lange gedauert. Das Land hat an letzten Donnerstag kurzerhand ein eigenes Abkommen mit Libyen abgeschlossen.
Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass die EU den Afrikanern nun noch mehr Geld bietet – und noch mehr Übel androht, falls sie sich renitent zeigen.
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