EGMR-Urteil zu Abschiebebedingungen: Teilerfolg für tunesische Flüchtlinge
Italien hat Flüchtlinge auf Lampedusa haftähnlich untergebracht. Rechtswidrig, sagt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Kläger waren drei Tunesier, geboren 1983, 1987 und 1988. Sie kamen – wie viele andere Tunesier – als Folge des Arabischen Frühlings im September 2011 mit klapprigen Booten nach Europa. Die italienische Küstenwache griff sie auf und brachte sie in eine Erstaufnahmeeinrichtung auf Lampedusa. Nach Unruhen unter den Flüchtlingen und Ausbrüchen wurden sie später auf Schiffen im Hafen von Palermo auf Sizilien untergebracht. Schon Ende September wurden die drei mit Flugzeugen nach Tunesien zurückgebracht.
Der Straßburger Gerichtshof beanstandete nun, dass es für die haftähnliche Unterbringung auf Lampedusa und auf den Schiffen keine tragfähige Grundlage im italienischen Recht gegeben habe. Außerdem wurden die Flüchtlinge auch nicht über den Grund der Internierung informiert. Die italienische Regierung verwies zwar auf sogenannte Einreiseverbote, die die Flüchtlinge angeblich nicht unterschreiben oder annehmen wollten. Doch auch in diesen Bescheiden, so die Richter, fehlten konkrete Angaben zur Rechtslage und zum Sachverhalt. Schließlich monierten die Richter auch, dass kein Rechtsmittel gegen die Internierung zur Verfügung stand.
Doch nicht alle Beschwerden der drei Tunesier waren erfolgreich. So sahen die Richter die Unterbringung auf Lampedusa und auf den Schiffen nicht als „unmenschliche Behandlung“ an, trotz Enge und hygienischer Defizite. Außerdem habe Italien nicht gegen das Verbot der kollektiven Massenausweisung verstoßen. Es genüge, wenn Ausländer vor einer Ausweisung Argumente vorbringen können und diese von den Behörden geprüft werden. Eine individuelle Anhörung sei nicht zwingend erforderlich. Im konkreten Fall hätten die Tunesier genügend Gelegenheit gehabt, Argumente gegen eine zwangsweise Rückkehr vorzubringen.
Andere Flüchtlinge hätten davon erfolgreich Gebrauch gemacht und ihre sofortige Ausweisung verhindert. Ein Rechtsmittel gegen Ausweisungen habe hier zwar ebenfalls gefehlt. Dies sei aber nur zwingend, wenn im Heimatland unmenschliche Behandlung oder Lebensgefahr drohe, so die Richter.
Italien muss den dreien je 2.500 Euro Entschädigung zahlen. Außerdem erhalten sie zusammen 15.000 Euro für ihre Anwaltskosten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen