Dschihadisten droht Niederlage: Offensive gegen den Islamischen Staat
Kurdische Kämpfer und syrische Rebellen rücken auf die Stadt Tel Abjad vor. Die Türkei ließ Flüchtlinge zunächst nicht über die Grenze.
Tagelang hatten die Flüchtlinge versucht, aus der von den Extremisten des Islamischen Staates (IS) kontrollierten Stadt Tell Abjad zu entkommen. Aufnahmen eines Fotografen der Nachrichtenagentur AFP zeigten, wie bärtige und teils vermummte IS-Kämpfer mit gezückten Waffen offenbar versuchten, die Frauen, Männer und Kinder zur Rückkehr zu zwingen.
Die türkische Polizei und Armee, die diesseits der Grenze mit gepanzerten Fahrzeugen in Position gegangen ist, waren freilich ebenfalls wenig zimperlich. Soldaten feuerten Warnschüsse ab, die Polizei setzte Wasserwerfer, um die Flüchtlinge daran zu hindern, den Schutzzaun zu überwinden.
Am Sonntagabend warteten Helfer des türkischen Katastrophendienstes Afad, um die erschöpften Zivilisten zu versorgen. Nach offziellen Angaben sind in den vergangenen zehn Tagen bereits 13.000 Personen aus Tell Abjad geflohen.
Von strategischer Bedeutung
Kurdische Volksverteidigungseinheiten (YPG) und syrische Rebellen haben eine gemeinsame Offensive auf Tel Abjad begonnen und in den vergangenen Tagen etliche Dörfer im Umland unter ihre Kontrolle gebracht. Unterstützt von amerikanischen Luftangriffen sind sie dabei mittlerweile bis zum Stadtrand von Tel Abjad vorgerückt.
Für den IS ist die Grenzstadt von strategischer Bedeutung. Die Stadt ist eine der wichtigsten Lebensadern der Extremisten. Sie ist das Einfallstor für Waffen und die meisten ausländischen Dschiihadisten, die über die Türkei nach Syrien gelangen. Gleichzeitig dient sie dem IS als Umschlagplatz für seine Schmuggelgeschäfte.
Von Tel Abjad führt eine Überlandstrasse direkt in das etwa 120 Kilometer entfernt gelegene Rakka. Nach Angaben der Aktivistengruppe „Raqqa Is Being Slaughtered Silently“ haben Prediger die Einwohner am vergangenen Freitag aufgefordert, Lebensmittel zu horten, um sich auf eine mögliche Belagerung der syrischen IS-Hauptstadt vorzubereiten.
Kritik von Erdogan
Es ist das erste Mal seit Monaten, dass die Extremisten in Syrien in die Defensive geraten. Vor gut drei Wochen gelang es ihnen noch, die Stadt Tadmor/Palmyra zu erobern. An der jetzigen Offensive gegen den IS sind neben der YPG mehrere syrische Rebellenverbände beteiligt, die sich Burkan al-Furat (Euphrat-Vulkan) nennen. Gemeinsam versuchen sie, die Extremisten von Westen und Osten zu umzingeln.
Genauso wichtig wie für den IS ist Tell Abjad (kurdisch: Gire Spi) für die Kurden. Sollten sie den Sieg davon tragen, könnten sie zwei der drei „Kantone“, die sie in Nordsyrien kontrollieren, miteinander vereinen. Im Westen von Tel Abjad hatten die Kurden den IS Ende Januar aus Kobane vertrieben. Die Türkei fürchtet freilich nichts mehr als ein Erstarken der kurdischen Autonomie in Syrien und der YPG, die mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbündet ist.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf der YPG gar ethnische Vertreibungen vor. Sie würden in von Arabern und Turkmenen bewohnten Regionen Kurden ansiedeln, sagte der Präsident laut türkischen Medienberichten. Dies sei kein gutes Zeichen, da es den Weg für eine Struktur ebne, die die Grenzen der Türkei bedrohe. Syrische Oppositionelle widersprachen dieser Darstellung. In der Region leben vor allem Araber und Kurden, und es waren der IS und andere Extremisten, die vor zwei Jahren die Kurden angriffen.
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