Drohnenlarven als Nahrungsmittel: Echter Bienenstich
Männliche Bienen werden oft noch vor dem Schlüpfen aus dem Bienenstock geschnitten und einfach weggeworfen. Dabei sind sie doch so schmackhaft!
Jedes Jahr im Mai und Juni töten Imker:innen schätzungsweise hundert Tonnen männliche Bienen – allein in Deutschland. Als Puppen oder Larven werden die Drohnen aus dem Bienenstock geschnitten, mitsamt der Waben, in denen sie aufwachsen. Anders als die weiblichen Arbeiterinnen sind Drohnen stachellos, sammeln keinen Honig und gelten daher als „faul“. Ihre einzige Funktion ist die Begattung von Königinnen.
Was klingt wie die insektoide Variante des Männliche-Küken-Schredderns, hat einen guten Grund. Viele Imker:innen entnehmen die sogenannte Drohnenbrut aus dem Bienenstock, um das gesamte Volk vor der Varroa-Milbe zu schützen, einem gefürchteten Bienenschädling. Da die Drohnen etwas größer sind als die Arbeiterinnen, brauchen sie ein paar Tage länger, um sich zu entwickeln – und so nutzen die Milben am liebsten deren Wabenzellen zur Fortpflanzung.
Im Vergleich zu anderen, teils chemischen Methoden der Schädlingsbekämpfung gilt der Drohnenschnitt als schonend und effektiv. Pro Bienenvolk fallen rund zwei bis drei Kilogramm entnommener Waben an, bei größeren Imkereien kommen so schnell einige hundert Kilo zusammen. Der Großteil des Gewichts entfällt auf die jungen Drohnen selbst.
Viele Bienenhalter:innen wissen nicht, wohin mit der Drohnenbrut. Einige schmelzen die Waben ein, um das Wachs zurückzugewinnen. Andere verfüttern die Drohnenbrut an Vögel, was aus seuchenhygienischen Gründen umstritten und im Freien auch strafbar ist. „Manche vergraben sie einfach“, sagt Malte Eisfeld, Bio-Imker in Berlin. „Dabei wäre es doch toll, eine Verwendung dafür zu haben.“ Doch gibt es die bereits, theoretisch jedenfalls.
Die Larven sind ein guter Ei-Ersatz
Man kann die Drohnenbrut nämlich essen. Röstet man die Puppen männlicher Bienen lange genug, entwickeln sie einen Geschmack, der an Pinienkerne erinnert. Die Larven wiederum eignen sich als Ei-Ersatz und geben Crème brûlée, Mayonnaise oder Bienennudeln eine besondere Note. Man kann sogar Unterschiede zwischen Kolonien verschiedener Standorte schmecken. Auch für Bienenstich sind Drohnenlarven eine fantastische und höchst nahrhafte Zutat und geben dem Namen des Kuchens endlich einen Sinn.
Anders als bei uns ist es in vielen Ländern der Welt völlig normal, Insekten zu essen. Vielerorts, etwa in Asien, gelten Bienen als gesunde Delikatesse. Auch Bären wissen, was gut ist: Sie lieben nicht nur Honig, sondern sehen es beim Eindringen in Bienenstöcke vor allem auf die Brut selbst ab. Wie wir sind sie Allesfresser und schätzen die Mahlzeit voller Proteine, hochwertiger Fette und Mineralstoffe.
Bienen auch bei uns zu essen wäre also durchaus sinnvoll. Vor allem wenn man die hip gewordene Idee ernst nimmt, Insekten als Alternative zu Wirbeltierfleisch zu nutzen. Schließlich ist die Drohnenbrut ohnehin vorhanden – und ihr Verzehr somit nachhaltiger als beispielsweise Grillen, die unter kapitalistischen Bedingungen extra gezüchtet werden und dann zu Preisen verkauft werden, die sich nur Privilegierte leisten können.
Ein Problem auf dem Weg zum „echten Bienenstich“ ergibt sich in Europa aus der restriktiven Gesetzgebung. Seit 2018 ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) für die Zulassung von Insekten als Nahrung zuständig. Um diese zu bekommen, sind aufwendige Messungen zu Pestiziden und anderen Schadstoffen nötig. Erste entsprechende Untersuchungen zur Drohnenbrut sollen zwar demnächst publiziert werden, dürften aber kaum ausreichen. Ein bereits 2019 vom finnischen Imkerbund eingereichtes Dossier für Bienendrohnen hat aufgrund fehlender Informationen noch nicht einmal den Eintritt in den eigentlichen Prüfprozess geschafft.
Kein Massenproduktionstier
Daniel Ambühl ist genervt von der bürokratischen Trägheit. „Dieser neophobe Regulierungsterror muss ein Ende haben“, sagt er. Der Schweizer Künstler, Publizist, Insekten- und Pilzexperte setzt sich seit Jahren aktiv für den Verzehr von Drohnenbrut ein. Damit ist er innerhalb der wachsenden Entomophagie-Bewegung – so nennt man den Insektenverzehr – eher ein Exot. Nicht viele beschäftigen sich mit Drohnen. Zum einen mangelt es an kulinarischer Aufmerksamkeit, zum anderen fehlen finanzielle Anreize.
Denn anders als in Massen züchtbare Insekten wie Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken ist die Drohnenproduktion nicht ohne Weiteres erweiterbar. Für Europa schätzt Ambühl die jährlich vernichtete Drohnenbrut auf rund tausend Tonnen – angesichts der deutschen Fleischproduktion von acht Millionen Tonnen im Jahr ist das fast nichts.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Auch bedeutet die hygienisch korrekte Ernte und Verarbeitung von Drohnen einen erheblichen Aufwand. Viele Imkereien sind klein – und überall verstreut. Während der frühsommerlichen Drohnensaison haben sie alle Hände voll mit der Honigproduktion zu tun. Die Imkerin und Umweltwissenschaftlerin Magdalena Ulmer geht deswegen davon aus, dass es eines Logistiksystems bedürfte: Die Drohnen müssten durchgehend gekühlt an einen zentralen Ort gebracht werden.
Ulmer ist Hauptautorin der wohl weltweit ersten Studie zur Ökobilanz von Drohnenbrut als Nahrungsmittel. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem der Transport ins Gewicht fällt. Die Berechnung sei konservativ, betont Ulmer, „dennoch kann der ökologische Fußabdruck der Honigproduktion um acht Prozent minimiert werden, wenn man Drohnenbrut als Nebenprodukt, beispielsweise für Burger-Patties, nutzt“. Beim Landverbrauch seien die Werte sogar deutlich besser als die des Mehlwurms.
Auch das Herauslösen gefrorener Larven und Puppen aus den Waben per Hand mit Hilfe von Flüssigstickstoff wirkt sich spürbar negativ auf die Nachhaltigkeit aus, berichtet Ulmer. Das ist zwar momentan die effektivste Methode, aber dennoch langwierig. Sicherlich ließen sich bessere technische Lösungen finden. Ob aber der potenzielle Markt groß genug ist, damit diese Hürden angegangen werden, ist ungewiss.
Einsatz als lokales Ökolebensmittel
Vielleicht liegt darin, dass es die Bienendrohnen einer kapitalistischen Verwertung strukturell schwer machen, gerade ihr Vorteil. So bliebe nämlich nur, sie dezentral als lokales Ökolebensmittel anzubieten – dann wäre ihre Ökobilanz sogar noch besser als von Ulmer berechnet.
Einige Pioniere tun das bereits, trotz fehlender Erlaubnis. Erfahrungswerte kursieren vor allem unter älteren Imker:innen – für einige von ihnen ist es nichts Neues, Drohnenschnitt mit Nahrung zu assoziieren. Gerade in schweren Zeiten dürfte es auch hierzulande häufiger vorgekommen sein, dass die Larven und Puppen in der Pfanne landeten.
Wie das konkret schmecken kann, steht in dem Bienenkochbuch, das Daniel Ambühl geschrieben hat, „Beezza!“ heißt es. Darin stellt er einfache, absolut empfehlenswerte Rezepte vor. Wie „Hatschi“, eine unkomplizierte, von der japanischen Küche inspirierte Art, Bienenpuppen mit Honig und Sojasauce zu braten. Oder „Bienennudeln Burro e Salvia“ – phänomenal simpel zu gleichen Teilen aus Teigwarenmehl und Drohnenbrut hergestellt und dann mit Butter und Salbei angerichtet.
Die Imkerei ist voll mit nur knapp am Existenzminimum vorbeischrammenden Idealist:innen – ein zusätzlicher Nebenverdienst kann da nicht schaden. In der Schweiz vermittelt Daniel Ambühl auf seiner Webseite bereits entsprechende Kontakte – und empfiehlt als fairen Preis rund 20 Euro pro Kilogramm Drohnenbrut. Nur als Lebensmittel deklarieren dürfe man sie nicht, sagt er. „Ich empfehle also: Verkauft sie als Kopie eines Kunstwerks von Joseph Beuys, als Hundefutter, Fischköder oder Frisbee.“
Transparenzhinweis Der Autor hat 2019 das mit dem „Berliner Startup Stipendium“ geförderte Bienendrohnen-Projekt „ymbe“ mit gegründet. Formal als Unternehmen gefördert, machte ymbe zu keinem Zeitpunkt Umsätze und ist inzwischen eine ehrenamtlich betriebene Plattform zur Vernetzung und Verbreitung von Wissen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen