Drohbriefe gegen Politiker: Hasspost mit tausend Absendern
Nach Morddrohungen erfährt der CDU-Mann Mike Mohring breite Solidarität. Er ist indes kein Einzelfall. Ermittler finden gegen den Hass kein Mittel.
Es ist eine infame Serie. Seit Monaten erreichen solche E-Mails Politiker und zivilgesellschaftliche Vertreter. Absender: ein selbsternanntes „Staatsstreichorchester“. Andere Schreiben sind von einer „Wehrmacht“ oder „Nationalsozialistische Offensive“ unterzeichnet. Nun traf es auch Mike Mohring.
Am Samstag erreichte den Thüringer CDU-Spitzenkandidaten eine Mail des „Staatsstreichorchesters“. Er solle bis Sonntag, 12 Uhr, mit einem Tweet seinen Wahlkampf einstellen, sonst werde man ihn „niederstechen“, mit einer Autobombe attackieren oder mit einem Attentat. Und Mohring reagierte. Er machte die Drohung öffentlich, in einem Video. „Wir dürfen keinen Platz lassen für Hass, für Gewalt, für Aggressionen, für Morddrohungen“, sagt er dort. Thüringen müsse hier zusammenstehen. „Die Zuversicht muss gewinnen.“
„Tretet denen entgegen!“
Seitdem erfährt Mohring eine Welle der Solidarität. Die Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow erklärte dem CDU-Mann „an diesem Punkt unsere volle Unterstützung“. SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Tiefensee sagte, man dürfe die Verrohung nicht hinnehmen. „Widersprecht, tretet denen entgegen!“ Und Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) erklärte: „Demokraten stehen aktiv zusammen und lassen nicht zu, dass die Demokratie durch Einschüchterung zerstört wird.“
Da war es allerdings erst wenige Tage her, dass auch Ramelow selbst massiv bedroht wurde, ebenso Grünen-Chef Robert Habeck, gerade in Thüringen auf Wahlkampftour. Am Freitag hatte die Polizei deshalb zwei Männer durchsucht, bei einem Schusswaffen entdeckt. Zudem berichtete am Montag auch der Thüringer Grünen-Fraktionschef Dirk Adams, er habe eine rechte Morddrohung bekommen. Neu sei das nicht, hieß es aus seiner Partei. Einen ganzen Aktenordner füllten solche Zuschriften inzwischen. Die jetzige Mail habe Adams daher auch nicht ernst genommen.
Mike Mohring,
Die Bedrohungen sind inzwischen Alltag für Politiker und öffentlich Engagierte in diesem Land. Regelmäßig werden sie mit Hassbotschaften überzogen. Holger Münch, der Chef des Bundeskriminalamts, spricht von einem demokratiegefährdenden Ausmaß. Und nach dem Mord am Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Hessen ist die Verunsicherung der Betroffenen noch größer: Nun ist wieder klar, wie schnell aus Worten auch Taten werden können.
Mohring will sich nicht einschüchtern lassen
Mike Mohring ist am Montag dennoch wieder im Wahlkampfeinsatz. „Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen“, sagt er der taz. Er habe die Bedrohung ganz bewusst öffentlich gemacht, als Zeichen. „Es geht nicht um mich, ich bin kein Einzelfall. Es geht um unsere Demokratie. Es dürfen nicht die gewinnen, die Hass schüren.“ Die breite Solidarität sei dabei „total wichtig“, so Mohring. „Die Betroffenen müssen wissen, dass sie nicht alleinstehen.“
Die Täter indes machen weiter – auch weil die Ermittlungsbehörden bisher kaum einen Weg finden, den Drohschreiben etwas entgegenzusetzen. Tatsächlich kommen sie von einer schier unüberschaubaren Zahl an Absendern. Manche schreiben unverhohlen unter Klarnamen, viele andere aber anonym, oder wie das „Staatsstreichorchester“ in verschlüsselten Mails aus dem Darknet. In einigen Fällen kamen Bombendrohungen an Rathäuser oder Gerichte dazu, in anderen sollten 100 Millionen Euro in Bitcoin erpresst werden. Dazu steigen Trittbrettfahrer mit ein. Auch nach der jetzigen Mail an Mohring tauchte eine zweite des „Staatsstreichorchesters“ auf, in der behauptet wird, man sei gar nicht der Absender gewesen.
Es ist ein irrer, undurchsichtiger Wust – in dem die Ermittler kaum Ansatzpunkte auf die tatsächlichen Verfasser finden. Im Fall der „Staatsstreichorchester“-Mails ermittelt inzwischen federführend die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, auch das BKA ist dabei. Von mehreren hundert Mails allein in diesem Komplex spricht am Montag ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen seien „sehr aufwändig“. Indes: „Bisher ist es nicht gelungen, Tatverdächtige zu identifizieren.“
Ein Tatverdächtiger sitzt in Haft
In einem Fall indes hatte die Behörde Erfolg: Im April nahm sie einen 30-Jährigen aus Schleswig-Holstein fest, André M. Mehr als 90 Drohschreiben soll er verschickt haben, darunter einige als „Nationalsozialistische Offensive“. Der Mann war vielfach straffällig, saß bereits längere Zeit in Haft und in der Psychiatrie. Im Internet präsentierte er sich offen als Rechtsextremist. André M. entdeckten die Ermittler, nachdem dieser offen im Internet eine Youtuberin bedroht hatte – und diese Bedrohung in einem Hassschreiben aufgriff. Aber: Auch nach seiner Festnahme gingen die Drohmails weiter.
Ein anderer, seltener Erfolg gelang den Ermittlern vor anderthalb Wochen: In Bayern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg wurden sieben Männer durchsucht. Sie sollen im Juli 23 Drohschreiben mit Bombendrohungen an Moscheen und Parteizentralen verschickt haben. Die Einrichtungen mussten damals geräumt werden. Unterzeichnet waren die Schreiben mit „Volksfront“ oder „Combat18“. Nach taz-Informationen rechnen die Ermittler die Durchsuchten tatsächlich dem deutschen Combat18-Netzwerk zu. Der Gruppe droht inzwischen ein Verbot.
An anderer Stelle aber geht der Hass weiter. Bis heute unaufgeklärt sind etwa die Drohschreiben an die NSU-Nebenklageanwältin Seda Basay-Yildiz, die mit Polizeidaten gespickt waren. Und auch die jüngsten Rechtsterrortaten sorgten für keine Pause, im Gegenteil. Nach dem Mord an Walter Lübcke schrieb das „Staatsstreichorchester“ auch Morddrohungen an die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und den Altenaer Stadtchef Andreas Hollstein – mit dem Verweis auf eine Spendensammlung im Darknet für ihre Erschießung. Beide Politiker wurden in der Vergangenheit bereits Opfer rechter Messerangriffe. Und auch sie erklärten: Sie würden nicht weichen. Das „Staatsstreichorchester“ wiederum verschickte nach dem Anschlag von Halle weitere Todesdrohungen: „Das Morden wird erst noch richtig losgehen.“
BKA baut Zentralstelle gegen Onlinehass auf
Beim BKA will man nun eine Zentralstelle gegen Hasskriminalität im Internet aufbauen, um so Verfasser von Gewaltdrohungen zu identifizieren. Noch aber müssen dafür das Personal und die Mittel bewilligt werden.
Im Fall Mohring ermittelt nun auch das LKA Thüringen. Man nehme „jede Drohung ernst“ und passe Schutzmaßnahmen an, heißt es dort. Der CDU-Mann wurde allerdings schon Ende September bedroht. Eine Postkarte verwies auf Lübcke, Mohring sei „die Nummer zwei, die demnächst einen Kopfschuss“ erhalte. Der Täter ist bisher nicht ermittelt.
Er ziehe den Wahlkampf durch, sagt Mohring am Montag. Aber auch: „Wir müssen aufeinander aufpassen.“
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