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Oliver Anders ist Sozialarbeiter im Abrigado in Hamburg und schätzt die Arbeit mit den Gästen Foto: Miguel Ferraz Araujo

Drogenkonsumraum in HamburgAuf gute Nachbarschaft

Das Abrigado in Hamburg ist mehr als ein Drogenkonsumraum. Es ist ein Schutzraum. Damit das auch das Umfeld so sieht, braucht es aber viel Arbeit.

Friederike Gräff

Aus Hamburg

Friederike Gräff

V or dem Gelände des Abrigado stehen Menschen in Grüppchen, reden, warten auf einen Platz drinnen im Konsumraum, kaufen Drogen. Abrigado kommt von „Abrigo“, Mantel, und bedeutet „geschützt vor Kälte“. Der Drogenkonsumraum in Hamburg-Harburg heißt so. Die Idee: einen Schutzraum für ihre Gäste schaffen. Aber in letzter Zeit schlägt dem Abrigado so viel Gegenwind entgegen, dass es selbst gut einen Schutzmantel brauchen könnte. Anfang November warfen zwei Vermummte schließlich zwei Molotowcocktails auf das Haus. Es zündete nur einer, der Brand konnte schnell gelöscht werden. Was bei denen bleibt, gegen die sich der Anschlag richtete, ist vor allem ein Gefühl: unerwünscht zu sein.

Als das Abrigado in den 90er Jahren eingerichtet wurde, war das eine kleine Revolution. In den 90er Jahren war es alles andere als selbstverständlich und rechtlich kompliziert, Drogenkonsumierenden einen öffentlichen Ort anzubieten, um Crack, Kokain oder Heroin zu nehmen. Hamburg war neben Frankfurt eine der ersten Städte in Deutschland, die es wagten. Nüchtern betrachtet helfen die Räume allen: den Konsument:innen, weil sie saubere Spritzen nutzen und bei Überdosen sofort medizinische Hilfe bekommen. Und allen anderen, weil der Konsum aus den Parks, öffentlichen Plätzen und Hauseingängen verschwindet. Aber diese Rechnung leuchtet nicht allen ein.

Das Abrigado liegt idyllisch auf einer Anhöhe in einem kleinen Park, in der Nachbarschaft sind eine Unterkunft für Geflüchtete, eine Schule für Kinder mit Förderbedarf und das Gasthaus der Schützengilde. Ein Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft, in dem nur die Privilegiertesten fehlen. Das Miteinander funktioniert unterschiedlich gut, mit dem Gasthaus der Schützengilde funktioniert es gar nicht, aber dazu später mehr.

Kürzlich kommentierte jemand auf Facebook unter einem Text über den Konsumraum aus dem Lokalmagazin: „Ich wohne unmittelbar gegenüber der Einrichtung. Ich wohne seit über 30 Jahren dort und es ist die letzten Jahre schlimm geworden.“ Ein anderer schreibt: „Früher konnte man zum Entspannen ein paar Runden gehen und auch mal joggen, jetzt muss man ja echt Angst haben vor den Zombies.“

Drogenkonsum in Hamburg

In Hamburg gab es 2024 102 Drogentote, das war die höchste Zahl seit 2001. Neben Überdosierungen waren gesundheitliche Langzeitschäden Todesursache.

Laut dem Suchtsurvey 2021 konsumierten knapp 11,9 Prozent der 18- bis 64-jährigen Befragten in Hamburg in den letzten 12 Monaten illegale Drogen. Mit 10,5 Prozent war Cannabis die am weitesten verbreitete illegale Substanz. Landesweit berichteten 1,7 Prozent der Befragten, in den letzten 12 Monaten Amphetamin oder Methamphetamin konsumiert zu haben. Neue psychoaktive Substanzen nahmen in diesem Zeitraum insgesamt 1,3 Prozent der Befragten. Die Gesamtzahl der Opioid-Konsument:innen ist rückläufig, aber der Anteil der unter 25-Jährigen steigt.

2024 ließen sich 15.174 Personen in Hamburgischen Suchthilfeeinrichtungen beraten, darunter viele Angehörige.

„Die Leute finden nicht das Abrigado doof, sondern uns Konsumenten“

Was macht das mit den Menschen, die auf das Abrigado angewiesen sind? „Ich glaube, dass die Leute nicht das Abrigado doof finden, sondern uns Konsumenten“, sagt Vanessa Goergen*. Sie war gerade noch im Konsumraum, jetzt setzt sie sich ein bisschen zögerlich auf den Stuhl im kleinen Beratungszimmer. Sie spricht langsam und druckreif, sie wirkt wie eine Zeugin, die sich große Mühe gibt, eine vollständige Aussage zu machen. „Es ist nicht schön, wenn die Leute uns nicht hier haben wollen. Aber es gibt hier auch welche, die sich nicht gut benehmen, wenn sie zum Beispiel Fahrräder klauen. Kein Wunder, dass die Leute kein Mitleid mit uns haben.“

Der Park um das Abrigado herum soll sauber bleiben Foto: Miguel Ferraz Araujo

Der Anschlag, sagt Vanessa Goergen sehr sachlich, treffe alle Gäste des Abrigado, auch diejenigen, die sich gut benähmen – aber so sei es eben. Und wie benehmen sich die anderen, die Nicht-Drogenkonsument:innen um sie herum? Es gibt solche und solche, sagt Goergen ebenso sachlich. Diejenigen, die zum Abrigado kommen, um ihnen Decken zu bringen, und diejenigen, die kommen, weil sie nach billigem Sex suchen.

Es ist nicht schön, wenn die Leute uns nicht hier haben wollen. Aber es gibt hier auch welche, die sich nicht gut benehmen, wenn sie zum Beispiel Fahrräder klauen. Kein Wunder, dass die Leute kein Mitleid mit uns haben

Vanessa Goergen, Gast

Es ist offensichtlich, dass Vanessa Goergen versucht, eine Drogenkonsumentin zu sein, die keinen Anstoß erregt. Die Voraussetzungen dafür sind mittelgut. Sie ist obdachlos und übernachtet in einem Zelt auf dem Hof des Abrigado oder im Park. Beides ist verboten, und daraus ist ein trostloses Katz-und-Maus-Spiel geworden, weil die Übernachtenden regelmäßig vertrieben werden. „Wir sind eine kleine Familie“, sagt Goergen über die Zeltenden. Sie ist so etwas wie eine Anwohnerin am Schwarzenbergpark. Sie grüßt, wenn sie dort Spa­zier­gän­ge­r:in­nen trifft – nur dann nicht, wenn sie gerade eine Pfeife in der Hand hält. „Dann drehe ich mich verschämt weg“, sagt sie.

Steffen Ostermann lehnt am Türrahmen, während Vanessa Goergen erzählt. Ostermann und sein Kollege Oliver Anders sind Sozialarbeiter im Abrigado. Ostermann trägt Cap, Anders Wollmütze und Nickelbrille, rein optisch könnte man sie sich auch an einem freien Theater oder in einem alternativen Start-up vorstellen. Dabei sind beide sehr bewusst genau hier, wo man akzeptierende Drogenarbeit macht, die sich selbst auch als politisch versteht. „Es geht um freien Willen und Augenhöhe“, sagt Anders. „Die Leute können kommen, egal, was sie konsumieren und egal, wie viel oder wenig Unterstützung sie von uns wollen.“

Das Abrigado hat ein paar mühsame Jahre hinter sich. Während der Corona-Zeit hat sich die Zusammensetzung der Gäste verändert: Die Stabileren blieben zu Hause, die Desolateren kamen. In ihrem Gepäck waren Gewalt, Prügeleien und Schutzgeldforderungen an die anderen Gäste – sogar für die bloße Anwesenheit im Abrigado sollten die Schwächeren zahlen. „Es hat viel Kraft und Mühe gekostet, das wieder einzufangen und ein anderes Grundmiteinander zu schaffen“, sagt Oliver Anders. Sie haben viel mit den Gästen gesprochen, versucht, Konflikte zu moderieren und in ein paar Fällen haben sie als letztes Mittel auch Hausverbote erteilt. „Es klingt komisch an diesem Ort“, sagt Steffen Ostermann. „Aber wir alle können hier eine gute Zeit haben. Hier wird gelacht, es ist nicht alles Elend.“

Es geht um freien Willen und Augenhöhe. Die Leute können kommen, egal, was sie konsumieren und egal, wie viel oder wenig Unterstützung sie von uns wollen

Oliver Anders, Sozialarbeiter

Vor dem Tresen, an dem man sich für die Konsumräume anmeldet, fragt ein Mann im Anorak mit formvollendeter Höflichkeit: „Kriegen wir noch zwei Plätze im Raucherraum oder sind wir zu spät?“ An der Wand neben dem Spritzentauschcontainer hängt ein kleines Holzschild, selbst gesägt von einem Gast: „An dat Abrigado-Team: Ein Dankeschön für alles, was ihr für uns leistet. Ihr seid super“, steht darauf. Die Konsumräume sind tatsächlich nur ein kleiner Teil des Mantels, der das Abrigado sein will. Daran hängt warmes Essen für 50 Cent, eine Kleiderkammer und, wenn es gut geht, auch der Weg zur Beratung durch die Sozialarbeiter:innen.

Nicht für alle Schicksale, die im Abrigado unterschlüpfen, geht es gut aus, und das ist für die Mit­ar­bei­te­r:in­nen nicht immer leicht auszuhalten. Im Januar ist ein Gast nachts in seinem Zelt auf dem Hof gestorben. Anders hatte versucht, einen Pass für ihn zu beschaffen, um ihn dauerhaft ins deutsche Hilfesystem einzubinden. In eineinhalb Jahren mit sehr vielen Telefonaten und Anschreiben ist es ihm nicht gelungen. Der Mann starb ohne Pass. „So etwas überfordert mich“, sagt Anders bitter. Der Mann sei zudem „ein Top-Typ“ gewesen, „strukturiert und motiviert“.

Es ist selten, dass Menschen ihre Überforderung eingestehen. Privat nicht, öffentlich schon gar nicht. Die Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Abrigado haben kürzlich eine Pressemitteilung verfasst, mit der sie auf die „tendenziöse Berichterstattung“ antworten wollen, die ihre Gäste vor allem mit „Verwahrlosung, Gestank und Gewalt“ in Verbindung bringe. „Auch wir sind häufig überfordert mit der zunehmenden Verelendung eines Teils unserer Be­su­che­r:in­nen oder phasenweise Häufung von Gewaltvorfällen“, schreiben sie.

Aber dennoch fordern sie, genau hinzusehen, nämlich auf die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, die mitverantwortlich seien für die Verelendung der Drogenkonsument:innen: „Abhängigkeit, Armut und Ausgrenzung“. „Es gibt eine spannende Schulddebatte“, sagt Oliver Anders. Teil dieser Debatte sei es, die Drogenkonsumierenden zu einer eigenen, fremden Spezies zu erklären. „Zu uns kommen aber keine Monster“, sagt Steffen Ostermann.

Im Abrigado in Hamburg-Harburg bekommen die Gäste auch Suppe und Kleidung Foto: Miguel Ferraz Araujo

Im Teamraum hängt ein großes Foto aus den 90er Jahren von einem umgebauten Linienbus, auf dessen Front „Freiraum“ steht. Die Betreiber haben damals in der gesamten Stadt keinen Vermieter für einen Drogenkonsumraum finden können, deswegen wurde aus dem Raum notgedrungen ein Bus. Inzwischen gibt es in Hamburg sogar mehrere Konsumräume, aber noch immer hängt Hilfe für Drogenkonsumierende nicht nur vom Engagement der Politik ab, sondern auch vom Wohlwollen der Mitmenschen. Und wenn es nicht Wohlwollen ist, braucht es zumindest Akzeptanz.

Im Abrigado ist Oliver Anders für diese Akzeptanz zuständig. Zu seiner Stelle gehört das Umfeldmanagement, das verhindern soll, was sie gerade befürchten: dass die Stimmung kippt. Kippt die Stimmung? Bislang nicht. „Grundsätzlich funktioniert das Miteinander hier gut“, sagt Anders. Das Abrigado brauche das Verständnis des Umfelds für die Situation seiner Gäste. Gleichzeitig versuchten sie selbst zu verstehen, welche Probleme sie für die Nachbarschaft verursachten. „Und dann gucken wir, was wir erreichen können.“

Manchmal sind es sehr einfache Dinge, die dafür sorgen, dass Konflikte gar nicht erst hochkochen. In der Nähe liegt der Friedhof der Jüdischen Gemeinde, der regelmäßig zugemüllt war, bis das Abrigado Be­su­che­r:in­nen dafür bezahlte, dort aufzuräumen. Manchmal bietet die Nachbarschaft sogar Hilfe an: Die Kita, deren Außengelände an das Abrigado angrenzte, betreute im Fall der Not spontan Kleinkinder, während deren Eltern in den Konsumraum gingen. Als die Kita das Gelände aufgab, hinterließen die Er­zie­he­r:in­nen noch ihre Handynummer: Bei Bedarf würden sie ihnen auch vom neuen Standort aus entgegengehen.

Manchmal hilft alles nichts

Manchmal ist nichts zu erreichen, trotz Verständnis auf beiden Seiten. Ein benachbarter Vermieter kam zu ihnen, weil Kon­su­men­t:in­nen in die Gärten seiner Mie­te­r:in­nen gingen, dort ihre Notdurft verrichteten, Müll und Spritzen hinterließen. Die Zäune, die er für 10.000 Euro hatte bauen lassen, traten die Leute nieder. Das Abrigado druckte Flyer, schickte Be­su­che­r:in­nen zum Müllsammeln. Die Polizei lief häufiger Streife. Es brachte alles nichts. Der Mann bat auch die Sozialbehörde und das Bezirksamt um Hilfe. Ohne Erfolg.

Daraufhin ging er zur Zeitung, um sich öffentlich zu beschweren. „Unerträgliches Elend: Wo Drogensüchtige in Harburg ein Problem sind“, hieß die Überschrift des Textes. „Der Mann war wohlwollend“, sagt Oliver Anders trotzdem. Am Ende des Artikels wird der Mann, dem bereits Mie­te­r:in­nen gekündigt hatten, nämlich so zitiert: De Existenz des Abrigado wolle er auf keinen Fall infrage stellen.

„Man muss sich nichts vormachen über Drogenkonsum unter den Bedingungen des Schwarzmarkts“, sagt Steffen Ostermann. Aber was ist mit denjenigen, die glauben, dass es kein Nebeneinander geben kann unter diesen Bedingungen? Sondern nur ein Wir oder Sie? Gegenüber dem „Kaiserlich“, dem Lokal der örtlichen Schützengilde, seien „die Fronten verhärtet“, sagt Oliver Anders. Nach diversen Beschwerden und einer rabiaten Nachricht der Pächtersfrau sei das Abrigado-Interesse an einer „konstruktiven Anwohnerschaft“ deutlich gesunken.

Das Kaiserlich wirbt mit einem Schild mit Pickelhaube und deutschen und mediterranen Spezialitäten, der Gastraum ist leer, nur im Nebenzimmer hört man Gäste. Hinter der Theke trocknet eine Frau Gläser. Ob sie etwas von der Nachbarschaft zum Abrigado erzählen wolle? „Ich sage nichts mehr dazu“, sagt sie abwehrend, aber dann bricht es geradezu aus ihr heraus. „Ich habe kein Mitleid mehr. Wir finden Spritzen beim Fahnenmast, es ist dreimal bei uns eingebrochen worden und man bekommt hinterher nichts erstattet.“

Die Geflüchteten nebenan in der Unterkunft, sagt sie, seien nette Nachbarn, mit ihnen gebe es keine Probleme. Aber die Dro­gen­kon­su­men­t:in­nen bettelten die Leute an, beschimpften sie, und dem Kaiserlich blieben die Gäste aus. Inzwischen schmücke sie nicht einmal mehr den Eingang, weil sogar die Zierbäume geklaut würden.

Einmal, erzählt die Frau hinter der Theke, habe ein Drogenkonsument bei ihnen nach Arbeit gefragt und sie hätten ihn angeheuert, nicht für die Gastronomie, dafür seien seine Zähne zu schlecht gewesen, aber zum Müllsammeln. „Er hat immer die Spritzen eingesammelt, das fand ich toll“, sagt die Frau, und zum ersten Mal liegt Freundlichkeit in ihrer Stimme. „Hey Chef“, habe er zu ihrem Mann gesagt und dann ein Mittagessen bekommen. Irgendwann sei der Mann weggeblieben und eine junge Frau, die stattdessen kommen wollte, fände immer neue Gründe, warum es nicht klappte.

Hat die Frau vom Kaiserlich versucht, gemeinsam mit dem Abrigado eine Lösung zu finden? Sie winkt ab. Ein junger Mann vom Abrigado sei vorbeigekommen und habe ihr seine Mobilnummer gegeben. Sie könne sich melden, wenn es Probleme gebe. Als sie dort angerufen habe, hätte es sechs Tage gedauert, bis ein Rückruf kam. „Was wollen sie überhaupt verbessern? Es gibt keine Lösung“, sagt die Frau hinter dem Tresen.

Das Abrigado-Team erzählt die Geschichte anders. Auf der Mobilnummer habe nie jemand vom Kaiserlich angerufen, sagen die Sozialarbeiter. Wohl aber auf dem Festnetz, da habe seine Kollegin einen sehr aufgebrachten Anruf entgegengenommen und gesagt, dass Anders zurückrufen werde. „Vielleicht“, sagt Oliver Anders, „war ich im Urlaub oder krank, das kann auch einmal sein.“

Vanessa Goergen sagt im Büro des Abrigado etwas Bemerkenswertes über die Zufälligkeit von Wertungen. „Ich finde es schade, dass die, die über uns urteilen, uns nur in einer bestimmten Situation sehen. Von mir würde ich sagen, dass ich ein netter Mensch bin, aber wenn ich an einem gewissen Punkt bin, kann ich wirklich eklig werden.“ Um nicht mehr an diesen Punkt zu kommen, müsse sie clean werden. Sie nimmt seit zwei Jahren Drogen, drei Monate lang hatte sie mal nahezu damit aufgehört.

„Viele Leute sagen, wenn sie unten sind, dass der Weg heraus schwieriger ist. Ich denke, dass wir den einfacheren Weg nehmen wollten, wir sind ja freiwillig reingerutscht. Wir geben zu schnell auf.“ Man brauche eine Sache, die es einem wert sei, um clean zu werden, sagt Goergen und beginnt zu weinen. Der Weg zum Ziel verschwimmt. „Die Abstände, in denen du darüber nachdenkst, werden immer größer, bis die Idee irgendwann abgetötet ist.“ Die Sache, die es ihr wert wäre, sei ihre Familie. Aber sie möchte sie erst dann wieder treffen, wenn sie mehr vorweisen kann als gute Vorsätze.

Der Innenbereich des Abrigado Foto: Miguel Ferraz Araujo

Das Abrigado muss umziehen

Die Pächter des Kaiserlich, die keine Lösung mehr für sich sehen, haben gekündigt und suchen eine neue Bleibe. Aber auch das Abrigado wird umziehen. In der Ankündigung der Stadt heißt es dazu: „Der derzeitige Standort in der Schwarzenbergstraße 74 entspricht nicht mehr den Anforderungen und muss ersetzt werden. Damit wird eine langjährige Forderung aus dem Umfeld, einen besser geeigneten Standort zu schaffen, erfüllt.“ Wer das Umfeld ist, aus dem die langjährige Forderung kommt, lässt die Stadt offen. Ab März wird die Parkanlage saniert und aufgewertet.

Das Abrigado wird an eine vierspurige Straße umziehen, aber der Standort wird deutlich größer sein. Das immerhin ist eine gute Nachricht, denn die So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen können den Bedarf schon lange nicht mehr decken. Sie hätten sich allerdings zwei kleine Anlaufstellen gewünscht statt einer großen. Ein kleiner Konsumraum sei familiärer als ein großer und schaffe weniger Reibungsfläche. Ein Umzug, das bedeutet, neu zu schauen, wie die Nachbarschaft funktioniert. „Wir werden wieder bei null anfangen“, sagt Steffen Ostermann.

Auf ihrem Weg sieht Vanessa Goergen manchmal einen Wagen von der Firma ihres Bruders vorbeifahren. Dann duckt sie sich normalerweise weg, damit er sie nicht sieht, falls er am Steuer sitzen sollte. „Kürzlich habe ich mich nicht weggedreht“, sagt Vanessa Goergen und klingt von sich selbst überrascht. Doch ihr Bruder saß nicht am Steuer.

* Name geändert

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10 Kommentare

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  • Zu den meisten Aspekten dieser Nachbarschaft ist einiges gesagt. Ich habe aufgemerkt: Wieso kommen Drogenraumnutzer_innen mit Kleinkindern? Wird da der Nachwuchs schon trainiert? Jetzt im Ernst und ohne Zyne: Was macht eine Sozialbehörde einer liberalen, häufig sehr bürgerorientiert und verantwortungsvoll agierenden Stadt mit Kleinkindern von Drogenabhängigen? Die Drogenabhänigen selbst sind qua Abhängigkeit nicht für sich selbst verantwortlich und können erst recht keine Verantwortung für Kinder übernehmen. Was für eine Praxis der Beachtung des Kindeswohls gibt es da? Worin besteht das Geburtsrecht eines Kindes, das von einem drogenabhängigen Elternteil stammt? Kinder haben bei uns zu wenig Rechte.

  • Eine Fixerstube, eine Geflüchtetenunterkunft und eine Förderschule sind ein Querschnitt der deutschen Gesellschaft? Ist das Sarkasmus?



    Interessant finde ich wie es Abstandsregeln für Cannabisclubs zu Schulen geben kann, eine Fixerstube aber scheinbar kein Problem ist.

  • Da gilt wohl das St.-Florians-Prinzip: Ein wichtiges Projekt - aber nicht vor meine Haustür. Kann ich sehr gut verstehen.

  • Schön, dass es so sympathische Sozialarbeiter wie den oben gezeigten Oliver Anders gibt. Man kann die Arbeit solcher Leute gar nicht genug preisen!

  • Warum bekommen die Suchtkranken keine Wohnungen gestellt? Da wäre doch mal ein Grundübel der Verwarlosung abgeschwächt. Housing first!



    Ansonsten das mit der Nachbarschaft. Da kann man schlecht sagen: "Stell dich nicht so an." Wenn geklaut wird, Müll und Fäkalien hinterlassen werden. Sozialarbeiter allein reichen denke ich nicht aus bei der Betreuung. Da muss die Stadt eben zusätzliches Personal bereitstellen um den Raum plus Park insgesamt zu verbessern. Lotsen, Coaches,...

  • Ich bin sehr zwiegespalten bei dieser Thematik.



    Auf der einen Seite ist das ein wichtiges Projekt, keine Frage; ich bewundere auch jeden, der sich dafür oder in ähnlicher Weise engagiert.



    Auf der anderen Seite muss ich gestehen, dass ich selbst auch nur sehr ungern etwas Ähnliches in der direkten Nachbarschaft hätte. Die unerfreulichen Vorfälle, die geschildert werden, würden mir schon wenige Male im Jahr reichen, das bräuchte ich noch nicht einmal wöchentlich, um sehr unglücklich zu sein. Und wie geschildert, für jedes Geschäft/jeder Lokalität ist das möglicherweise der Todesstoß. Hat man auch mit Herzblut aufgebaut…



    Mein unwillkürlicher Gedanke wäre, ob man vielleicht ein Industriegebiet als Standort hätte, das nicht - wie viele andere - so weit außerhalb liegt. Ansonsten bin ich ratlos.

  • In Frankfurt ist die Zahl der Drogentoten durch Einrichtung von Konsumräumen von 147 (1991) auf 20 (2022) gesunken. 2023 waren es dann leider wieder 32 Personen. Trotzdem - man sieht, wie wichtig diese Einrichtungen sind.

    • @Il_Leopardo:

      Mag sein, dass sie wichtig sind, aber unter den im Artikel beschriebenen Umständen möchte ich einen solchen Raum auch nicht in meiner direkten Nähe haben (wobei man noch berücksichtigen muss, dass der Autor den Konsumräumen sehr positiv gegenübersteht und wahrscheinlich nicht alle negativen Auswirkungen in vollem und realen Ausmaß dargestellt hat).

    • @Il_Leopardo:

      Ich zitiere mal die Deutsche Aidshilfe in Bezug auf Berlin:

      "Doch trotz Drogenkonsumräumen, mobilen Angeboten, einem deutschlandweit einzigartigen Drugchecking-Angebot und vieler weiterer Maßnahmen, starben in Berlin im Jahr 2024 insgesamt 294 Menschen an den Folgen des Konsums illegalisierter Substanzen – so viele wie nie zuvor."

      In Berlin gibt es schon lange Drogenkonsumräume.

  • Ich kann verstehen, dass diese Leute einen Platz brauchen.

    Aber: wer will Spritzen bei seinen Kindern finden? Schön dass sie bei Anruf zum aufräumen kommen, aber dann hat sich vielleicht schon ein Kind gestochen… und wer weis was im Kreislauf ist. Wollt ihr dieses Risiko in Kauf nehmen ?

    Wer will Leute, die in den Garten machen, Sachen beschädigen etc? Bei uns pinkelt auch zur Kirmes immer mal einer gegen die Hecke. Aber Kirmes ist einmal, nicht jeden Tag. Und hier wieder: wollt ihr jedes Mal den Garten kontrollieren, bevor ihr eure Kinder rauslasst?

    Wenn ich eine Gaststätte betreibe, dann brauche ich die Gäste zum überleben. Und ich als Gast schaue , wo ich hingehe.

    Will ich meine Grundstück zumauern müssen wegen der Nachbarn? Mich abschotten?

    Will ich meine Kinder dem Risiko aussetzen, sich an einer benutzen drogenspritze zu verletzen?



    Und wenn wir sagen, diese Leute brauchen einen Platz: brauchen die Kinder nicht auch eine sichere Umgebung?