Drogenhandel in Berlin-Kreuzberg: Mehr Polizei, mehr Dealer
Mit einer Brennpunkt-Einheit wollte die Polizei den Drogenhandel am Görlitzer Park in den Griff kriegen. Wirklich besser geworden ist es nicht.
Ein Jahr später hat die Innenverwaltung nun auf Anfrage des Linkenpolitikers Niklas Schrader eine Bilanz der Brennpunkteinheit (BPE) vorgelegt. Fazit: Die aus 125 Beamtinnen und Beamten bestehende Einheit war im Görlitzer Park und im Wrangelkiez ausgesprochen aktiv. 97.402 Einsatzkräftestunden wurden bis zum Stichtag 30. November verzeichnet – dreimal so viel wie 2019, als der Görlitzer Park und dessen Umgebung noch von „normalen“ Einheiten bestreift wurden. Die Zahl der Platzverweise stieg von 1.748 auf 2.772, die der Aufenthaltsverbote von 25 auf 103.
Eine Einschätzung, was das Ganze gebracht hat, hat die Polizeiführung aber noch nicht abgegeben. Hört man sich im Kiez um, bekommt man unterschiedliche Antworten. Menschen, die dort schon lange ihren Lebensmittelpunkt haben, sagen, sie seien froh, dass es die BPE gebe. Andere lehnen sie ab.
Eine Anwohnerinitiative, die sich „Wrangelkiez-United“ nennt – sie wurde wegen des erhöhten Polizeiaufkommens im Kiez gegründet – erhebt schwere Vorwürfe: Die BPE betreibe verbotenes Racial Profling, sagte eine Vertreterin der Initiative der taz.
Januar bis November 2020 im Vergleich zu 2019: Einsatzkräftestunden 97.402 (2019: 31.314). Platzverweise 2.772 (1.748). Aufenthaltsverbote 103 (25).
Strafanzeigen im Zusammenhang mit Betäubungsmittelgesetz (BTM): 1.735 (1.435). Drogenbesitz 1.399 Fälle, davon 920 Cannabis (1.145, davon 810 Cannabis). Drogenhandel 320, davon Cannabis 215 (280, davon 181 Cannabis). Sexualdelikte 34 (33). Körperverletzung 315 (359). Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz 549 (493).
Beschwerden gegen Beamte der BPE: 1, diese habe nicht den Vorwurf des Racial Profiling zum Anlass gehabt.
Einstufung der Drogenkäufer: Häufig männliche Erwachsene deutscher Staatsangehörigkeit. (plu)
Treffpunkt der Community
Nahezu ausschließlich People of Colour und Schwarze Menschen würden kontrolliert – unabhängig davon, was sie täten. Dabei verkauften längst nicht alle People of Colour Drogen: Der Kiez sei ein Treffpunkt der Community. Auch wer schon lange dort lebe und nichts mit Drogen am Hut habe, werde immer wieder kontrolliert, weil er Schwarz sei.
Wegen des Drogenhandels und der damit einhergehenden Kriminalität ist der Görlitzer Park seit geraumer Zeit als sogenannter kriminalitätsbelasteter Ort (kbO) eingestuft. In der Antwort auf die schriftliche Anfrage von Niklas Schrader hat die Innenverwaltung nun bestätigt, dass im April 2020 auch Teile des Wrangelkiezes zum kbO erklärt worden sind. Die Einstufung ermächtigt die Polizei, Menschen verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Kritiker sagen, die kbO gehörten abgeschafft, weil sie der Türöffner für Racial Profling seien.
Wo genau die Grenzen der kbO verlaufen, will die Innenverwaltung indes nicht mitteilen. Andernfalls würden sich „Tatbegehende“ daran orientieren und ihre Straftaten „unmittelbar vor den Grenzen der kbO begehen“, heißt es in der Antwort auf die Anfrage, die am Freitag veröffentlicht wurde.
Es gebe sehr viele Beschwerden von Anwohnern, hatte Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes von Friedrichshain-Kreuzberg, Anfang September zur taz gesagt. Da war die BPE schon acht Monate tätig. Je mehr sich die Drogenszene unter Kontrolle fühle, umso mehr verlagere sie sich.
Was den Görlitzer Park betreffe, so sei dieser längst nicht mehr nur ein Kifferpark, hatte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) bestätigt. Auch Heroin und andere harte Drogen würden dort vertickt. „Das kann man nicht mit Sozialarbeitern lösen.“
Die Initiative Wrangelkiez-United macht eigenen Angaben zufolge im Kiez auf Plakaten gegen ein Racial Profling der Polizei mobil. Auch praktisch versuche man den von Kontrollen Betroffenen zur Seite zu stehen, so die Vertreterin zur taz. Zum Beispiel, indem für sie gedolmetscht werde und man Anwälte kontaktiere. Zu beobachten seien zum Teil gewaltsame Szenen, etwa dass Polizisten Flüchtenden Beine stellten oder Betroffene zu Boden schubsten. Diese Polizeigewalt geschehe auch vor den Augen von Kindern.
Einjähriges Kiezverbot
Die Betroffenen würden pauschal kriminalisiert, willkürlich würden Platzverweise erteilt, so die Vertreterin der Initiative. Personen mit mehreren Platzverweisen seien von mehrmonatigen Aufenthaltsverboten bedroht. Man wisse von zwei Fällen, wo ein einjähriges Kiezverbot erteilt worden sei, in einem Fall einem Mann ohne festen Wohnsitz. Vermutlich gebe es mehr dieser Fälle.
„Absolut unverhältnismäßig und rechtlich zweifelhaft“ seien einjährige Aufenthaltsverbote, erklärt Niklas Schrader auf Nachfrage. Der BPE, so sein Eindruck, gehe es offenbar eher um Abschreckung und Verdrängung und darum, Exempel zu statuieren. „Ich verlange von der Polizei ein maßvolles, kommunikatives Vorgehen.“
Wrangelkiez-United versuche ein Umdenken zu bewirken, sagt die Vertreterin. Die Polizei sei keine Hilfe. Im Gegenteil. Die Gegend komme besser ohne sie klar. Man sei ein sozialer Kiez, darum fühlten sich Randgruppen dort wohl. Ob ihr bekannt ist, dass nicht alle in Kreuzberg das so sehen? Leute, die sich über mangelnde Sicherheit beklagten, verschlössen die Augen vor dem sozialen Elend, antwortet die Vertreterin.
Zumeist seien das ihrer Meinung nach Gentrifizierer: Mittelstandsfamilien, die bereits nach der Polizei riefen, wenn jemand Müll fallen lasse oder in der Öffentlichkeit uriniere. „Da wird das alte kolonialistische Bild reproduziert: Schwarzer Mann gleich kriminell und böse.“
Dealer unvermindert anmaßend
Sie seien diese Diskussion leid, sagen hingegen alteingesessene Kreuzberger zur taz. Mit den Rassismusvorwürfen werde vom eigentlichen Problem abgelenkt: dem Verhalten der Dealer. Es würden nicht weniger, sondern mehr. Sie würden unvermindert anmaßend auftreten, teilweise sogar körperlich bedrohlich. Nicht nur Kinder seien verängstigt.
Obschon sich die BPE sichtlich bemühe, habe sich grundsätzlich nichts geändert, so das Fazit dieser Anwohner. Sobald die Einheiten weg seien, gehe der Betrieb weiter. Die Mittel seien falsch: Es brauche eine im Kiez und Park fest stationierte Polizei, die jederzeit für alle ansprechbar sei.
Zu dieser Einschätzung passt eine aktuelle Pressemitteilung der Polizei: Mehrere Männer hätten einem 40-Jährigen vergangenen Mittwochabend in der Skalitzer Straße Drogen zum Kauf angeboten. Der Angesprochene habe das abgelehnt. Die Männer hätten ihn bedrängt und Geld gefordert. Der 40-Jährige habe einzelne der Männer von sich geschubst. Dann sei er geflüchtet, gestolpert, gestürzt und zusammengeschlagen worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles