Drastischer Nachwuchsmangel in Betrieben: Viele Azubi-Plätze unbesetzt
Vier von zehn Betrieben haben im letzten Jahr nicht genug Nachwuchs gefunden. Mehr als jedes dritte Unternehmen erhielt sogar keine einzige Bewerbung.
BERLIN taz | Junge Leute, die eine Ausbildung in Industrie und Handwerk machen wollen, werden in der Wirtschaft heiß umworben. „Mehr als vier von zehn IHK-Ausbildungsbetriebe konnten im vergangenen Jahr nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen – ein Allzeithoch“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks, am Donnerstag aufgrund einer Umfrage unter 15.000 Ausbildungsbetrieben.
Mehr als jedes dritte der Unternehmen erhielt auf seine Lehrstellen sogar keine einzige Bewerbung, teilte der DIHK mit. Im Jahre 2018 hatte der Anteil der Betriebe, die nicht für alle offenen Stellen Azubis finden konnten, noch bei 32 Prozent gelegen, 2021 betrug der Anteil 42 Prozent. Im Gastgewerbe mit den unattraktiven Arbeitszeiten konnten sogar zwei Drittel der Betriebe ihre Lehrstellen nicht vollständig besetzen.
Mehr als die Hälfte der Unternehmen habe in den vergangenen Jahren versucht, die Ausbildung mit flachen Hierarchien und moderner Informationstechnik attraktiver zu gestalten, sagte Dercks.
Stefan Körzell, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), erklärte allerdings, die Betriebe müssten die Potenziale zur Besetzung von Ausbildungsstellen besser nutzen. Viele junge Menschen blieben in „Maßnahmen des Übergangsbereichs“ hängen. 2,3 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren hätten keinen Berufsabschluss, so Körzell. Für junge Leute kann der Besuch der Berufsschule in der Ausbildung, der schulische Vorbildung und sehr gute Deutschkenntnisse erfordert, eine Hürde sein.
Leser*innenkommentare
Grummelpummel
Ist das vielleicht auch eine Nebenwirkung der zunehmenden Digitalisierung? Der Mentalen vor allem, denn die Jugend von heute ist es so sehr gewohnt, dass es für alles eine App auf dem "Smart"phone gibt, dass es immer schwerer fällt, Dinge mit dem eigenen Kopf und den eigenen Händen zu bewerkstelligen.
Merkwürdige Zeiten, in denen "Youtuber", "Influencer" und "Pro-Gamer" als Berufe angesehen werden.
Philippo1000
Akademiker können den Umbau unseres Landes zur Klimaneutralität nicht bewerkstelligen.
Es wäre schön, wenn Einige der Klimabewegten der kommenden Generationen, Ihre Forderungen praktisch umsetzen würden.
Tinus
Ja, da soll die Berufsschule dann das machen, was Haupt- und Realschule nicht geschafft haben. Hier liegt das Problem.
Das duale Ausbildungssystem (früher einmal schlicht "eine Lehre") ist vielleicht das Beste und Einzigartigste, was das deutsche Bildungsystem hervorgebracht hat.Und es ist ein Exportschlager, wird nachgeahmt von Asien bis Lateiamerika.
Die urdeutachen Exklusionsinstrumente Haupt- und Realschule sind es aber nicht! Wann wird endlich flächendeckend das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland gekippt? Dort werden die Nichtvermittelbaren, die Nichtausbildbaren produziert, systematisch und in Massen.
resto
@Tinus Wieso haben dann Haupt- und Realschule noch in den 70ern und 80ern gut funktioniert? Dass Leute mit Haupt- und Realschulabschluss Banklehre und andere Ausbildungen geschafft haben? Ich danach über den zweiten Bildungsweg studiert habe. Die Misere hat andere Ursachen.
Manzdi
Mit einem Einser Abitur, will doch niemand mehr eine Ausbildung machen.
Und von politischer Seite wurde und wird vieles dafür getan, dass das Niveau der Absolventen immer geringer wird: Immer mehr Abiturienten mit immer besseren Durchschnittsnoten.
resto
@Manzdi Die Einser-Abiture sind auffällig. Zu meiner Zeit gab es die nicht wie Sand am Meer. Und jede Schule verteilt zum Abschluss inzwischen x Preise.
Philippo1000
Der Besuch der Berufsschule kann eine Hürde sein?
Das Gute an der Ausbildung in Deutschland, ist die duale Ausbildung.
Die Berufsschule ist eine zweite Chance, Vieles in der bisherigen Schullaufbahn Versäumte nachzuholen und auch eine schulische Weiterqualifikation zu erwerben.
Es kann nicht Aufgabe der Betriebe sein, SchülerInnen lesen, schreiben und rechnen beizubringen.
Damit spreche ich von Grundqualifikationen.
Abgesehen davon gibt es seit Jahrzehnten das "Berufsgrundschuljahr" als Qualifikation vor der Ausbildung um entweder besser vermittelbar zu werden.
Bildung ist allerdings Ländersache und so gibt es Unterschiede.
Das System ist grundsätzlich gut. Besser sind natürlich auch ergänzende AGs zum Erlernen von Lesequalifikation oder Hausaufgabenbetreuung.
Die Klage der Betriebe über nicht ausbildbare BewerberInnen ist leider nicht aus der Luft gegriffen.
Herr Magnet
Tja, wenn man sich nicht langsam mal dahingehend entwickelt dass die Handwerksbetriebe zumutbare Orte für Frauen und Migranten sind wird man dem Problem nicht Herr. Da kann auch der demographische Wandel nix für.
Encantado
@Herr Magnet "Für junge Leute kann der Besuch der Berufsschule in der Ausbildung, der schulische Vorbildung und sehr gute Deutschkenntnisse erfordert, eine Hürde sein."
"... wenn man sich nicht langsam mal dahingehend entwickelt dass die Handwerksbetriebe zumutbare Orte für Frauen..."
Frauen mal so eben grundsätzlich schulische Vorbildung und sehr gute Deutschkenntnisse abzusprechen, finde ich jetzt ziemlich unterirdisch...