Doku über Migranten in Sizilien: Träger bei der Prozession
Der Dokumentarfilm „A Black Jesus“ zeigt Rassismus gegen afrikanische Migranten in einer italienischen Kleinstadt – und ist online zu sehen.
Lautes Klopfen am Haus einer engen süditalienischen Altstadtstraße. Draußen steht ein bunt kostümiertes Trio, drinnen ein alter Mann: „Lasst uns herein, wir sind arme Fremde, müde von der langen Reise“, heißt es (jedenfalls in den Untertiteln, obwohl das im Original genutzte Wort „pellegrini“ eigentlich Pilger meint). „Hier ist kein Platz für Fremde, nur für anständige Leute. […] Schert euch fort!“, kommt als ritualisierte Antwort.
Das Prozedere wiederholt sich. Erst beim x-ten Mal entschuldigt sich der alte Mann überschwänglich für seine Härte und den Irrtum und lädt die Pilger (bei denen es sich um die Heilige Familie handelt) zum Essen auf ein Podest unter dem Applaus der umstehenden Passant*innen ein.
Die Szene ist Teil des Films „A Black Jesus“, die Akteure sind Laienspieler beim Josefsfest in der Kleinstadt Siculiana bei Agrigent. Hier ist man fromm und patriarchal. Und wie in anderen Städten der Region verspricht ein geheiligtes Kruzifix in der barocken Basilika den Gläubigen ein neues Handy, Gesundheit und ein besseres Leben.
Die Alten bleiben unter sich
Vor allem Letzteres haben sie auch nötig, denn die Abwanderung ist groß und die Alten sind in Siculiana unter sich. Nur im Sommer, wenn die Arbeitsmigranten auf Heimatbesuch kommen, sei der Ort noch richtig belebt, erzählt ein alter Mann, der selbst für Jahrzehnte in Köln auf dem Bau gearbeitet hatte.
„A Black Jesus“. Regie: Luca Lucchesi. Deutschland 2020, 92 Min. Läuft auf www.filmwelt-digital.de
Es kommen auch neue Menschen nach Siculiana: Migranten aus Afrika und Asien auf der gefährlichen Reise über das Meer. Im Film des in Palermo geborenen Luca Lucchesi sind es junge Männer mit dunkler Hautfarbe, die in einem alten Hotelkomplex Bett und Essen bekommen, seelischen Beistand von einer Nonne und einem engagierten Lehrer. Auf den Straßen schüren die Medien und die rechte Lega um Innenminister Matteo Salvini Proteste gegen das Aufnahmezentrum und die Migranten.
Doch Lucchesi, dessen Vater aus Siculiana stammte, registriert neben diesem Radau auch die individuellen Stimmen der Einheimischen, deren Vorfahren einst meist selbst hier auf Sizilien gestrandet waren und deren Haltungen nun von Fürsorge bis zur krassen Ablehnung reichen. Für die Älteren steht eine Gruppe von Frauen, die beim gemeinsam Kochen vor der Kamera offen von den ersten Begegnungen mit realen Afrikanern erzählen, die von Angst bis zum Haustür-Plausch reichen. Eine arrangierte Begegnung mit Oberschüler*innen dagegen zeigt auf italienischer Seite vor allem leere Blicke.
Böllern beim Josefsfest
Die Afrikaner selbst bewegen sich mit vorsichtiger Neugier durch den Ort und filmen dabei auch die religiösen Gebräuche wie das Josefsfest oder die bewegte, von Böllern und Blaskapelle begleitete Prozession, in der männliche Bewohner des Städtchens eine Statue des Gekreuzigten vom Altar die Kirchenstufen hinab durch den Ort und dann wieder zurück tragen. Das Besondere: Der passionstypisch hagere Mann am Kruzifix hat eine oberste Schicht dunkler Farbe, unter der sich wegen des vielen Streichelns schon das hellfleischige Innenleben abzeichnet.
Die Interpretationen dieses „Black Jesus“ sind markant unterschiedlich: Während die Friseurin des Orts die Schwärzung als Symbol sündigen Verhaltens erklärt, entwickeln die jungen Afrikaner aus dem Kontrast zwischen der Verehrung einer zumindest oberflächlich dunkelhäutigen Figur und dem selbst erlebten Rassismus vor Ort ein ganz anderes Narrativ. „Das Komische ist, dass die Einheimischen keine Schwarzen mögen, aber sie lieben diesen schwarzen Jesus. Sie lieben ein schwarzes Stück Holz, aber keine Schwarzen aus Fleisch und Blut. […] Soll mir mal einer erklären“, erläutert einer der Männer am Strand die Sachlage.
Für die Filmemacher:Innen ist dieser Konflikt wiederum willkommener Anlass, den Schwarzen Jesus als metaphorisches Motiv und handlungstreibendes Element für ihre Dokumentation aufzugreifen. Denn in Bewegung kommt die Geschichte erst richtig, als drei der jungen Männer – selbst fromme Christen – sich bemühen, einen Herzenswunsch in die Tat umsetzen: einmal als Träger an der Prozession mitzulaufen. Dies gelingt dann im Film erstaunlich konfliktfrei, vielleicht auch, weil Lucchesis Kamera bei einem Besuch der entscheidenden Versammlung gleich nach dem ersten formalen Applaus abblendet.
Prominente Unterstützung
So viel Harmonie wäre den Beteiligten gegönnt, hinterlässt aber doch eine merkwürdige Leerstelle im argumentativen Zentrum des von Wim Wenders produzierten und seiner Nichte Hella Wenders („Berg Fidel“) mitgeschriebenen Films, der bis dahin hellsichtig und motivisch dicht verknüpft um die Frage möglicher Annäherungen kreist.
Zu viel Wohlgefühl verhindert dann aber die Realität mit der unsicheren Zukunft der Protagonisten, die noch zu Drehschluss voll Hoffnung, doch mit wenig Chancen auf ihre Papiere warten. In Zeiten nach „Lovemobil“ sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass auch beim Dreh in Siculiana wohl nicht nur das Josefsspiel – zumindest ein wenig – inszeniert ist.
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