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Doku-Reihe „Futur Wir“Hoffnung, dass noch was geht

Die 3sat-Doku-Reihe „Futur Wir“ versammelt junge Stimmen, um Utopien für die Zukunft zu finden. Einen großen Entwurf entwickelt sie nicht.

Diskutieren über Zukunft: Maria Popov, Sineb El Masrar und Sascha Chaimowicz im Futurium Berlin Foto: Maren Michaelis/ZDF

Die Zeiten des politischen Stillstands sind erst einmal vorbei. Allerdings nicht wegen einer plötzlich grassierenden Aufbruchstimmung, sonder eben aufgrund der seit zweieinhalb Jahren anhaltenden Krisensituation. Mit großen Visionen oder gar Utopien haben politische Maßnahmen wie das geplante 49-Euro-Ticket und die Einführung des Bürgergeldes oder die neue Normalität des Homeoffice dementsprechend wenig zu tun.

Es sind eher verwaltend-pragmatische Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit, sie sollen entlasten und das Schlimmste abwenden, statt proaktiv politisch zu gestalten. Dem möchte die dreiteilige Doku-Reihe „Futur Wir“, die derzeit auf 3sat ausgestrahlt wird, entschieden etwas entgegensetzen und den günstigen Moment des Umbruchs nutzen, um durchaus über Visionen, ja sogar Utopien zu reflektieren.

Dafür diskutieren Moderatorin Maria Popov („funk“-Format „Auf Klo“), Journalistin und Autorin Sineb El Masrar sowie der Chefredakteur des ZEITmagazins Sascha Chaimowicz mit einer Vielzahl an „Medien- und Meinungsmacher*innen“, wie es im Begleittext heißt. Man könnte auch sagen: mit dem jungen „Who’s who“ der Spiegel-Bestsellerliste und Twitter-Prominenz, also durchaus den diskursprägenden Stimmen unserer Zeit.

So kommen in der ersten der jeweils knapp 35-minütigen Folgen etwa der Lyriker Max Czollek („Desintegriert euch!“), der Rapper und Autor Hendrik Bolz („Nullerjahre“), „Apsilon“ – ebenfalls Rapper sowie Medizinstudent – und schließlich Düzen Tekkal („#German­Dream“) zu Wort. Unter dem Titel „Wie wollen wir leben“ stellt Maria Popov ihren Gästen in Einzelinterviews stets ähnliche Fragen nach der Sinnhaftigkeit von Leitkultur, nach der Bedeutung von Zugehörigkeit, der Definition von Identität und gelebter Vielfalt.

Bedeutung von Erfolgsgeschichten

Was dabei schnell auffällt: Während jedes Gespräch aufgrund sehr unterschiedlicher Biografien interessante Per­spek­ti­ven zutage fördert, sticht in den gegebenen Antworten doch eine gewisse Einhelligkeit ins Auge, die sich auf das erfreuliche, aber wenig überraschende Credo „Mehr ernstgemeinte Vielfalt, weniger einengende Leitkultur“ herunterbrechen lässt. Ideen für ein gelungenes Miteinander der Zukunft werden dabei weniger thematisiert als die bekannten Schwachstellen des Status quo.

Am stärksten weichen Düzen Tekkals Ausführungen ab, die – bei aller dringend notwendigen Kritik an Diskriminierung von Mi­gran­t*in­nen und den ungerechten Strukturen, die zu systematischer Benachteiligung führen – immerhin die Bedeutung von Erfolgsgeschichten betont, um Ein­wan­de­r*in­nen Mut zu machen, den Traum vom guten Leben in Deutschland allen Widerständen zum Trotz zu verfolgen.

Konkretere Visionen bringt die zweite Episode hervor, die um das Thema Liebe und Geschlechterrollen kreist. Neben Heinrich Horwitz, ein*e Mit­un­ter­zeich­ne­r*in des Manifests #ActOut, das mehr queere Diversität in der Filmwelt einfordert, interviewt Sineb El Masrar den Autor Friedeman Karig („Wie wir lieben“), der vom befreienden Potenzial der Poly­amorie als Gegenentwurf zur politisch gewollten Monogamie schwärmt. Şeyda Kurt („Radikale Zärtlichkeit“) setzt dem Konzept der Liebe, die im Kapitalismus dem Tauschhandel unangenehm ähnelt, wiederum das Konzept des „zärtlichen Handelns“ gegenüber.

Drei progressive Stimmen, eine konservative

War Tekkal der geladene Partycrasher der ersten Folge, erfüllt diese Rolle hier Mirna Funk („Who Cares“), die im Gegensatz zu den anderen Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen auf die Eigenverantwortung der Frauen auf dem Weg zum persönlichen Erfolg und damit auf eine Art „Girlboss“-Feminismus setzt, anstatt die Systemfrage aufzuwerfen. Egal, ob man für die Positionen Tekkals und Funks Sympathie empfindet: Sie sind es, die dafür sorgen, dass der von überraschend viel Gleichgestimmtheit geprägten Reihe der Debattencharakter nicht verlorengeht.

Drei progressive Stimmen und ein letzter, vergleichsweise konservativer Beitrag werden schließlich auch in der abschließenden Meta-Folge, die ergründet, wie „radikal“ für den Wandel gestritten werden darf, gegenübergestellt.

Während sich die Politikerin Marina Weisband ebenso wie die Fridays-for-Future-Sprecherin Annika Rittmann für radikale Forderungen im Klimaschutz aussprechen und Autor Mohamed Amjahid („Der weiße Fleck“) selbiges für die Antirassismus-Bewegung tut, grenzt sich Zeit-Redakteurin Yasmin M’Barek („Radikale Kompromisse“) ab, indem sie die Bedeutung der Verständigung unterstreicht. Radikale Idealisten brauche es für die Impulsgebung unbedingt. Fehlt allerdings die parlamentarische Mehrheit, drohe beim sturen Verharren auf eigenen Positionen schlicht der Stillstand.

Keine echte Utopie

Auf eine echte Utopie, gar eine, die für mehr als einzelne Lebensbereiche oder gesellschaftliche Gruppierungen gelten könnte, stößt „Futur Wir“ so am Ende nicht. Um sehenswert zu sein, hat die Doku-Reihe eine solche unwahrscheinliche Entdeckung allerdings auch nicht nötig. Interessante Anregungen liefert sie allein durch die schiere Vielzahl an herausfordernden, in der knappen Spielzeit freilich nur angerissenen Positionen – und sei es nur für den nächsten Bücherkauf.

Ganz nebenbei sind die drei Filme der Reihe, in denen sie nur partikulare Visionen einer besseren Zukunft ausfindig macht, auch eine treffende Diagnose einer Zeit, der der stille Glaube an ein wahrlich besseres Morgen für alle abhandengekommen ist. Die hartnäckige Hoffnung, dass trotzdem noch was geht, aber ­offensichtlich nicht.

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