Doku „Ich weiß nicht mal, wie er starb“: Das Trauma im Pflegeheim
Eine ARD-Doku wirft einen einfühlsamen Blick auf das Wolfsburger Pflegeheim, in dem sich fast alle Bewohner*innen mit Corona ansteckten.
Es gibt Orte, die von der Gesellschaft gerne gemieden werden: Beerdigungsinstitute gehören dazu – und sicherlich auch Alters- und Pflegeheime.
Insofern ist es bedrückend, die ARD-Dokumentation „Ich weiß nicht mal, wie er starb – wie ein Pflegeheim zur Corona-Falle wurde“ anzuschauen. Sie schaut schmerzhaft genau auf das zu trauriger Berühmtheit gekommene „Hanns-Lilje-Heim“ in Wolfsburg, in dem sich zu Beginn der Coronapandemie innerhalb weniger Tage 112 der 160 Bewohner*innen des Hauses mit dem tödlichen Virus infizierten. 47 von ihnen starben.
Die Filmemacher Arnd Henze und Sonja Kättner-Neumann haben das Altersheim, das in der Boulevardpresse zeitweise als „Horrorheim“ firmierte, wieder besucht – und mit den, man kann es nicht anders sagen, Überlebenden gesprochen. Es geht ihnen dabei nicht um eine detektivische Suche, wie es zu der hohen Zahl an Toten in dem Haus gekommen ist, wer „schuld“ ist, was bei einer Pandemie sowieso eine absurde Frage wäre.
Sie wollen vielmehr verstehen, wie so etwas wie Alltag in diesem Heim voller versehrter Seelen einziehen kann. Sie versuchen zu ergründen, was diese schreckliche Erfahrung mit allen Beteiligten gemacht hat: mit den Alten und Kranken, mit ihren Angehörigen und mit den Pfleger*innen. Vor allem das Pflegepersonal kommt dabei ungeheuer warm und menschlich rüber – und man versteht, dass es wahrscheinlich nicht an ihnen lag, dass das Coronavirus in diesem Haus so viele Menschen das Leben kostete.
Die Doku „Ich weiß nicht mal, wie er starb – wie ein Pflegeheim zur Corona-Falle wurde“ ist bis 12.10.21 in der ARD-Mediathek abrufbar.
Wie zärtlich, freundlich und geduldig etwa die Pflegefachkräfte Viktorija Hmeljina und Mirel Osmanovic mit den dementen Menschen des Hauses umgehen, muss einen rühren. Erschütternd ist eine Szene zu Beginn der Dokumentation, in der deutlich wird, dass die demente alte Dame Elfriede noch schwer traumatisiert ist von den Tagen der erzwungenen Isolation innerhalb des Heims.
Hygieneregeln verhinderten Händehalten beim Sterben
Beim assistierten Zähneputzen schaut Elfriede verängstigt und verwirrt, fängt sogar an zu wimmern, weil sie den ihr so vertrauten Pfleger Osmanovic wegen des Mundschutzes erst einmal nicht erkennt. Erst als er den Mundschutz kurz abnimmt, beruhigt sie sich wieder.
Die Dokumentation zeigt einige Momente dieser unverwüstlichen Menschlichkeit, ohne dass sie den Horror der Coronazeit verschweigt. Die Seuche ist noch lange nicht vorbei, sie kann auch in diesem Heim wiederkommen.
„Ein Krieg ist irgendwann vorbei – Corona hört nicht auf“, sagt die Pflegerin Hmeljina, die als Kind vor dem Krieg in ihrer Heimat Kroatien nach Deutschland geflüchtet ist. Natürlich fragen die Angehörigen der Verstorbenen in der Dokumentation: Hat man genug getan für unsere Liebsten, von denen einige alleine sterben mussten, weil die Hygieneregeln ein letztes Händehalten beim Sterben verhinderten – auch wenn man heute, nach einem halben Jahr der Erfahrung mit der Pandemie, oft besser weiß, was trotz aller Schutzmaßnahmen dennoch möglich gewesen wäre.
Zweifel bleiben auch beim einzigen Allgemeinmediziner, der sich in der Hochphase der Pandemie im Frühjahr 2020 in das Heim traute: Waren seine nur angedeuteten Entscheidungen richtig, offenbar bei manchen Patientinnen und Patienten auf intensivmedizinische Hilfe zu verzichten, wenn er glaubte, sie lägen sowieso im Sterben?
Die Doku will das nicht zu einem Skandal aufbauschen, was wahrscheinlich auch ungerechtfertigt wäre. Es geht vor allem darum, die große Leistung derer zu zeigen, die Dementen und Kranken so viel Wärme und Würde geben wie möglich. Sie sind die wahren Heldinnen und Helden der Coronaseuche.
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