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Diskussion um ReformDie Schuldenbremse wackelt deutlich

Mittlerweile spricht sich selbst eine Ratingagentur für eine Reform der Schuldenregeln aus. Auch Kanzlerkandidat Merz schließt das nicht mehr aus.

Wenn der Staat Schulden spart, spart er auch an notwendiger Infrastruktur wie die A45-Brücke bei Lüdenscheid Foto: Ralf Rottmann/imago

Berlin taz | Eine Reform der Schuldenbremse wird immer wahrscheinlicher. Mit der Scope-Groupe spricht sich nun auch eine Ratingagentur dafür aus. Eine Änderung der Regeln, „die mehr wachstumsfördernde öffentliche Investitionen ermöglichen würde“, wäre „sicherlich positiv“, sagte Scope-Direktor Eiko Sievert am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Auch in Gesellschaft und Politik mehren sich die Stimmen, die dies für sinnvoll halten.

Die Scope-Groupe wurde 2002 in Berlin gegründet und begann 2012, Staaten und Unternehmen auf Kreditwürdigkeit zu prüfen. Sie sollte eine europäische Antwort auf die drei großen US-Anbieter Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch sein. Dass sich mit Scope nun eine Ratingagentur für eine Lockerung der Schuldenregeln ausspricht, ist beachtlich. Schließlich achten die Agenturen bei ihren Bonitätsprüfungen normalerweise darauf, dass die Schuldenlast möglichst gering ist.

Doch mit einer Staatsverschuldung von 63 Prozent der Wirtschaftsleistung ist diese in Deutschland schon relativ niedrig. So weist zum Beispiel Spanien eine Schuldenquote von 103 Prozent auf. Gleichzeitig verzeichnete das südeuropäische Land aber nach IWF-Schätzungen 2024 mit 2,9 Prozent das zweithöchste Wirtschaftswachstum der Eurozone, während die deutsche Wirtschaft das zweite Jahr in Folge schrumpfte.

„Wenn Deutschland den allmählichen Rückgang seiner Wettbewerbsfähigkeit aufhalten will, dann sollte sich die nächste deutsche Regierung auf eine deutliche Steigerung der Investitionen konzentrieren“, sagte deshalb Scope-Direktor Sievert. Er bläst damit ins selbe Horn wie zuletzt etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) oder die Bundesbank.

600 Milliarden Euro Investitionsstau

„Die Schuldenbremse ist eine Zukunftsbremse. In den letzten Jahrzehnten wurde in Deutschland viel zu wenig investiert“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am Dienstag und bekräftigte, dass derzeit ein zusätzlicher öffentlicher Investitionsbedarf von mindestens 600 Milliarden Euro bestehe.

Auch Bundesbank-Chef Joachim Nagel spricht sich für eine Reform der Schuldenbremse aus: „Ich denke, wir sollten nicht nur leichte Änderungen vornehmen“, sagte Deutschlands oberster Währungshüter am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. „Ich denke, wir müssen das ganze Konzept ändern.“ Angesichts von „tektonischen Veränderungen“ in der Welt seien konventionelle Maßnahmen nicht mehr genug.

Auch in der Politik gibt es Bewegung. Während Linke, Grüne und SPD für eine Reform werben, sind nur noch FDP und AfD strikt dagegen. Selbst in der Union, die in ihrem Wahlprogramm schrieb, dass sie „an der Schuldenbremse des Grundgesetzes“ festhalte, mehren sich die Zeichen, dass sie grundsätzlich für eine Reform bereit ist: So sagte Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz der Heilbronner Stimme-Mediengruppe: „Wir können über die Schuldenbremse diskutieren. Das will ich gar nicht ausschließen.“

Damit würde sich Merz dem Willen der Mehrheit anpassen. Laut einer aktuellen Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sprechen sich 55 Prozent für eine Reform oder gar Abschaffung der Schuldenbremse aus, damit mehr Investitionen finanziert werden können. Besonders wichtig sind den Menschen Investitionen in Bildung, Verkehr und Gesundheit. (mit Agenturen)

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14 Kommentare

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  • "...selbst eine Ratingagentur... Auch Kanzlerkandidat Merz..."



    Manchmal kommt es mir so vor, als werde die Aufweichung der Schuldenbremse als ein "Wert an sich" behandelt.



    Kommt es nicht eher zuerst mal darauf an, ob, wie viel und wofür Geld ausgegeben werden soll?

  • "Auch Kanzlerkandidat Merz schließt das nicht mehr aus. "

    Spätestens seit November des vergangenen Jahres hat Herr Merz die Bereitwilligkeit zurÄnderung der Schuldenbremse signalisiert. Das ist also nix Neues mehr.

    Spannender sind eher die Reformkriterien und die damit zu finanzierdenden Ausgaben. Nicht jede Investition setzt automatisch auch wirtschaftliche Impulse.

    Am Ende wird sich die Debatte wohl nicht über das "Ob" sondern über das "Wofür" geführt werden.

    • @DiMa:

      Das, was davor schlicht im GG stand: Investition zählen nicht als Schulden, wäre schon mal ein guter Anfang.



      Und dass man z.B. keine teuren Wahlgeschenke an Hotels, Fossil/Auto und Unternehmer mehr macht ohne zumindest Gegenfinanzierung.



      Bildung in der Breite und für alle wäre für mich übrigens Investition par excellence, um in die Diskussion einzusteigen.

      • @Janix:

        Bildung ist sicherlich ein guter Punkt, bei dem es jedoch zu differenzieren gilt.

        Die Kosten für die Herstellung oder Vollsanierung von Schulgebäuden ist sicherlich eine Investition.

        Renovierungen und der Lehrbetrieb sind es dagegen sicherlich nicht. Letztgenannte sind aus den laufenden Haushalt zu finanzieren.

        Der Aufbau einer IT-Landschaft für den Schulbetrieb könnte eine Investition darstellen, der Unterhalt dagegen sicherlich nicht.

  • Das Geld ist ja da. Es wird nur in anderen Bereichen verbrannt. Die Bundesschuld kostet uns jetzt schon jährlich 33 Mrd €, die Finanzverwaltung 46 Mrd €, zusammen 16% vom Bundeshaushalt. Gerade bei Bürokratie und Verwaltung lässt sich ein Haufen Geld sparen.

  • "In den letzten Jahrzehnten wurde in Deutschland viel zu wenig investiert“



    /



    Es wurde aber auch teilweise ineffizient oder sogar unzweifelhaft auch fehlinvestiert.



    Und dieses hat Folgen durch den Schuldienst.



    Bei t-online de zum Schwarzbuch 2024/25, 52. Ausgabe:



    "Hier werden Millionen an Steuergeldern "im Klo versenkt"



    (...)



    Weiter dort



    "Rund 916 Milliarden Euro hat der deutsche Staat im vergangenen Jahr an Steuern eingenommen. Längst nicht jeder Euro aber wird effektiv ausgegeben: Schon seit 1973 wirft der Bund der Steuerzahler Jahr für Jahr der öffentlichen Hand vor, Milliarden an Steuergeldern in Fehlinvestitionen zu versenken."



    Diese Seite der Ausgabensteuerung/-politik hat auch Sparpotenziale in nicht unerheblicher Höhe.

  • Es ist schon perfide. Die existierende Regierung zu blockieren mit Klagen, nicht bei einer korrekten Auflösung mitwirken, obwohl eingebunden.



    Dann aber sich es leicht machen wollen, wenn man sicher selbst an die Regierung kommt. Schwarz hat dabei ja gerne mal den Reichen Geld zugeschoben und so die Staatsverschuldung hochgetrieben.

    Fürs Land ist ein Denken in Kosten-Nutzen, in Investition-Ergebnis das Beste. Dann ist eine scheinbare "schwarze Null" schließlich nur eine Infrastruktur-minus-Zehn.

  • Es ist keine gute Nachricht, dass Merz auf einmal "über die Schuldenbremse diskutieren" will.



    Er hat Verschuldung bisher verteufelt und suggeriert, mit Ihm würde die Wirtschaft besser laufen.



    Dafür spricht Nichts, abgesehen davon dass er so zusagen "Bierdeckelexperte" ist.



    Die CDU hat die Investitionen der Ampelregierung in Karlsruhe gestoppt.



    Das war weder gut für die Wirtschaft, noch gut für die Infrastruktur und schon gar nicht gut für die Bürgerin.



    Eine andere Idee hat Merz überhaupt nicht abgesehen von Steuererleichterungen in Höhe von 100Mrd.



    Auch diese Cheques sind nicht gedeckt und evtl. hat nun Jemand errechnet, dass ein Haushalt, in dem 12Mrd. fehlen, nicht mit zusätzlich fehlenden 100Mrd. ausgeglichen ist.



    Der Eindruck, dass Merz nun praktisch zur Lockerung der Schuldenbremse erweicht wird, ist nur im Sinne der CDU.



    Sie hat kein tragfähiges Finanzierungsmodell, ebenso wenig, wie ein zukunftsweisendes Wirtschaftskonzept.



    Das trat gerade mit Macht zu Tage, als Merz den Focus auf die Migration lenkte.



    Auch hier: kein Konzept, keine manpower für derartige Grenzideen, keine rechtliche Grundlage und schon gar kein Geld für die Umsetzung. Statt dessen weniger Fachleute.

  • "Auch Kanzlerkandidat Merz schließt das nicht mehr aus. " kann er auch gar nicht, sonst kann er nämlich rein gar nichts tun, außer das Land noch weiter in der Misere zu verwalten, es bleibt zu hoffen, dass er die Schuldenbremse reformiert und irgendwie damit die Wirtschaft anstößt, so bitter es ist, Merz muß es schaffen die Wirtschaft anzustoßen, tut er es nicht droht die afd bei der nächsten Wahl noch stärker zu werden.



    Mit der Verwirklichung der Sparrethorik von vor der Wahl, ist dieses Szenario für die nächste Wahl schon gesetzt.

  • Ich schlage vor wir nehmen Herrn Merz bei seinem Wort und belassen die Schuldenbremse für ein Jahr so wie sie ist.



    Dann sehen wie viel besser er Politik machen kann, und die Wirtschaft in Schwung bringen, soziale Spaltung reduzieren, Infrastruktur erneuern, das Land wirksam militärisch verteidigen, Deutschland eine Perspektive geben.

    All das NICHT zu können ohne neue Schulden aufzunehmen hat er der Ampel vorgeworfen. Denn die "Sozen können ja nicht mit Geld umgehen"..

    Aber so taktisch denkt niemand in der spd. Sie werden brav dem lieben Friedrich sein Spielgeld aushändigen wie gewünscht. Darauf ist Verlass.

    Die CDU hat keine ethischen Grundwerte und lügt wie gedruckt nur um wieder an die Macht zu erlangen.



    Niederträchtig.

  • Die Regierenden zeigen leider, wie leichtfertig sie mit Millionen von



    Steuergeldern umgeht und erfolglos verbrennt ( Scheuer/Maut,



    Habeck/Northvolt).

    • @behr Behr:

      Habeck/Northvolt und Scheuer/Maut in einem Atemzug zu nennen, das deutet auf ideologische Verengung hin. Das ist nicht vergleichbar.

      • @Perkele:

        Das Geld wurde in beiden Fällen leichtsinnig und ohne



        Vernünftige Risikoabwägung verbrannt, . Nur wer die ideologische Brille



        aufhat, erkennt das gleiche Versagen der Entscheidungsträger nicht. Daran ändert doch der Zweck des Handelns nichts.