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Diskussion um Interview mit Neonazi„Ich traue meinen Hörer*innen“

Der Sender NPR hat ein Interview mit einem Neonazi gesendet und dafür viel Kritik geerntet. NPR-Journalistin Gladstone verteidigt die Entscheidung.

Gladstone redet auch mal mit Rechten, wenn es sein muss Foto: Janice Ji/CC
Peter Weissenburger
Interview von Peter Weissenburger

taz: Frau Gladstone, das öffentlich-rechtliche Radio NPR steht in der Kritik, weil ein Neonazi on air seine Rassentheorien ausbreiten durfte. Es geht um die Sendung Ihrer Kollegin Noel King mit „Unite the Right“-Initiator Jason Kessler vergangene Woche. „NPR zeigt, wie man Neonazis pflegt und füttert“, kommentierte etwa die Washington Post“. Sie berichten seit vielen Jahren über Journalismus. Teilen Sie diese Kritik?

Brooke Gladstone: Ich halte nichts von der Vorstellung, dass diese Leute nicht gehört werden sollten. Denn es gibt sie ja, und was sie tun, hat Auswirkungen. Ich habe allerdings sehr wohl eine Meinung dazu, auf welche Weise man mit ihnen auf Sendung verfahren sollte. Neulich erst hat ein Kollege mit dem Anwalt des Verschwörungstheoretikers Alex Jones gesprochen, der auch den Herausgeber des Neonazi-Mediums Daily Stormer vertritt. Unsere Aufgabe ist, uns zu Stellvertreter*innen unseres Publikums zu machen. Und wer ist dieses Publikum? Sicherlich keine Neonazis, aber Menschen, die wegen dieses Problems besorgt sind.

Schön und gut, aber geht es nicht zu weit, wenn jemand im öffentlich-rechtlichen Radio sagen darf, dass diese oder jene „Rassen“ intelligenter seien als andere, so wie im Interview vom Freitag?

Wenn man sich sein Publikum als ein Haufen treudoofer Schafe vorstellt, dann mögen Sie recht haben. Ich traue meinen Hörer*innen ein bisschen mehr zu. Und sie haben ein Recht zu erfahren, was Neonazis denken. Wie gesagt, sie brauchen jemand als Stellvertreterin, die an ihrer statt dagegenhält, so gut sie es eben kann. Wir haben natürlich nicht regelmäßig Neonazis in der Sendung – ich kann die Fälle an einer Hand abzählen. Aber wenn wir sie einladen, achten wir darauf, dass es nicht einfach ein Forum für sie ist, sondern eine Chance für uns, ihnen zu widersprechen. Wir haben übrigens im Frühjahr genau das in meiner Sendung thematisiert: Wie sollen Journalist*innen mit den „White Supremacists“ umgehen?

Im Interview: 

Gladstone ist eine der bekanntesten Radiostimmen der USA. Sie ist Medienjournalistin und Buchautorin. Seit 2000 moderiert sie die Sendung „On the media“ bei WNYC, dem New Yorker Ableger von National Public Radio.

Und was ist Ihre Antwort?

Die Neonazis sehen natürlich jedes Interview als Möglichkeit zur Rekrutierung, das sollte jeder Journalist*in klar sein. Sie sind meisterhaft darin, Medien zu manipulieren. Sie verlassen sich darauf, dass Journalist*innen sie nicht verstehen und sie nicht verstehen wollen – dass sie einfach nur über sie richten, ohne sie zu kennen. Solche Journalist*innen sind leichte Beute. Es birgt also ein Risiko – aber ein größeres Risiko wäre, so zu tun, als gäbe es sie nicht.

Was, wenn es nicht darum geht, ob es sie gibt oder nicht gibt – sondern um die Frage, ob man sie größer macht als sie sind? Neonazi-Rallyes wie „Unite the Right“ am Sonntag sind Riesenthemen. Es kamen aber keine 400, sondern 24. Gehen wir denen in die Falle?

Das ist eine berechtigte Frage. Als ich Ende der 80er zu NPR kam, wurde gerade heftig diskutiert, wie man über den Ku Klux Klan berichten sollte. Bei jedem einzelnen Aufmarsch waren die Klansleute verglichen mit den Gegen­demonstrant*innen massiv in der Unterzahl. Es war ein Zirkus, und es war Werbung. Viele sagten damals, dass so etwas keine Berichterstattung verdient – und ich stimme dem zu. Mit den Bewegungen nach Charlottesville hingegen verhält es sich anders. Die Bewegung, mit der wir es jetzt zu tun haben, hat politischen Einfluss. Ihre Mitglieder kandidieren zum Teil für den Kongress. Dazu kommt: Die Annahmen darüber, was US-Amerikaner*innen denken und wie sie sich äußern wollen, haben sich verändert.

US-Medien und Neonazis

Den neuen rechten Bewegungen in den USA dienen die etablierten Nachrichtenmedien gleichermaßen als Feindbild und als Bühne. Entsprechend kontrovers ist die Entscheidung des öffentlich-rechtlichen Radios NPR, den Neonazi und Rassentheoretiker Jason Kessler zum Interview einzuladen. Kessler hatte für Sonntag zu einer Kundgebung in der Hauptstadt Washington aufgerufen – genau ein Jahr nach dem Aufmarsch „Unite the Right“ in Charlottesville, Virginia.Damals fuhr ein Autofahrer in die Gegendemo und tötete eine Demonstrantin. Entsprechend groß war die mediale Aufmerksamkeit für „Unite the Right 2“. Die Kundgebung war letztlich ein Flop: Anstatt der angekündigten 400 erschienen am Sonntag nur zwei Dutzend.

Wie meinen Sie das?

Ich spreche von der trumpisierten Welt. Der Präsident legt Wert darauf, die Rechte zu normalisieren. Denken Sie beispielsweise an seine Aussage über die Gewalt „auf vielen Seiten“ nach dem tödlichen Ausgang von Charlottesville. Wenn der Präsident so etwas sagt, verändert das die grundsätzlichen Annahmen darüber, was erlaubt ist – und wer wir sind.

Sie sind der Ansicht, dass man die Hörer*innen darüber informieren muss, was Neonazis denken. Ist das nicht klar? Muss man sie dafür in ein Mikro sprechen lassen?

Es geht nicht so sehr darum, was sie denken, sondern wie – ich mache da einen Unterschied. Sie reden gerne davon, dass „die Natur“ irgendetwas „vorgesehen“ hätte – man muss einfach verstehen, dass das ihre Art ist, ihre Botschaft gefälliger zu machen. Dafür braucht es dann einen Journalisten, der vorbereitet ist und dagegenhalten kann, der unterbricht: „Halt, das ist doch Blödsinn, und ich sage Ihnen auch warum“. Ich halte das für eine wunderbare Gelegenheit, mit ihren typischen Argumentationen aufzuräumen. Ich muss noch mal betonen, das wir diese Leute äußerst selten einladen. Ein paarmal erst, seitdem Trump gewählt wurde – das ist zugegeben mehr als in den letzten zehn Jahren zusammen. Ich stimme Ihnen absolut zu, dass diese Leute viel zu viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber ich bin absolut dagegen, eine Grundregel einzuführen, dass man sie nicht anhören darf. Überhaupt bin ich gegen Grundregeln. Nach 35 Jahren im Geschäft habe ich nun wirklich jeden denkbaren Fehler gemacht, ich vertraue da inzwischen einfach meinem eigenen Urteilsvermögen.

Macht es Sie traurig, dass eine Normalisierung von Neonazis ­voranschreitet und Journa­lis­t*in­nen sich dem nicht entziehen können?

Diese Bewegung war schon immer da. Vielleicht ist der positive Aspekt der jüngeren Entwicklung sogar, dass sie an die Oberfläche kommt und wir sie auf diese Weise betrachten können. Dennoch: Werden die Grundlagen der Demokratie gerade missbraucht, um gegen die Demokratie selbst zu arbeiten? Absolut. Es ist ein Kampf, den wir niemals ganz gewinnen werden – aber ihn zu verlieren, können wir uns nicht leisten.

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7 Kommentare

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  • Naja, die mediale Präsenz der AfD ist doch insgesamt gering. Was aber bei Interviews usw. auffällt, ist, daß die AfD-Leute immer einseitig behandelt werden. Die ganze sog. TV-Elite meint immer, besonders betonen zu müssen, wie nazi, oder zumindest naziähnlich oder wie mindestens rechtspopulistsich die doch seien usw. Denken die etwa, wir merken das nicht, oder was ? Oder halten die uns für zu blöd, daß ich das nicht auch ohne mediales Framing erkenne ? Und dieses von oben herab ist genau das, was der AfD nolens volens zugutekommt. So will sich keiner gern behandeln lassen und das erzeugt natürlich Trotz. Diese ganze Besserwisserei kommt so fürchterlich arrogant rüber, daß man fast unwillkürlich - würde da mein Partner gedisst werden z. Bsp. - eine Schutzhaltung für den anderen einnimmt. Liebe Journos, ernstnehmen heißt Argumente austauschen und nicht den anderen von vornherein zum Blödmann erklären. Selbst, wenn er das sein sollte.

  • "sondern um die Frage, ob man sie größer macht als sie sind? "....

    Die Frage stellt sich aber doch auch bei mancher Gegendemo der vergangenen Jahre. Wenn da 24 Hanseln, von denen mehr als die Hälfte schon weit über 70 ist und die jüngeren vom Alkohol gezeichnet, durch die Straßen marschiert wären, hätte das niemand wirklich ernst genommen. Durch die Gegendemos und die teilweise damit verbundene Gewalt wurden die eher gestärkt.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Es birgt also ein Risiko – aber ein größeres Risiko wäre, so zu tun, als gäbe es sie nicht."

    Das ist doch Käse, ich kann doch auch über den Mond berichten, ohne ihn zu interviewen. Zugegebenermaßen verstehe ich den Thrill. Es gibt ja auch Clevere unter den Nazis.

    Die Interviews mit dem Ex-Nazi Bela Ewald Althans auf Youtube sind beeindruckend.



    Aber wie Frau Goldstone selbst sagt, die Nazis spielen mit den Journalisten, verachten sie für ihr liberales Gewäsch. Wer wissen will, wie Nazis denken klickt ein- zweimal und er weiß es.

    Je mehr man sie behandelt wie ganz normale Politiker, desto mehr gewinnen sie Land.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Der Mond ist aber ein Ding. Ein Nazi ist ein Mensch.

      Ihre überhebliche Einstellung, dass man andere Menschen als un(glaub-)würdig genug ansieht, dass man sie nicht selbst zu Wort kommen lassen muss, sondern lediglich über sie berichten, hat uns die ganzen AfD Wahlerfolge doch erst eingebracht.

      Man kann über die genaue Ausgestaltung: eingeräumte Sendezeit, Kontextualisierung der Aussagen, Begleitprogramm; reden, aber "No-Platform" ist entwürdigend und wird nicht funktionieren.

      Je mehr man sie behandelt wie Aussätzige, desto extremer und unsachlicher werden sowohl Unterstützer als auch Ablehner. Denn die Art der Behandlung steht in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zum Problem, welches sie angeblich darstellen.

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @nanymouso:

        Schauen Sie auch mal fernsehen?

        Die Typen von der AfD wurden doch von einer zur anderen Talkshow weitergereicht und hatten eine mediale Präsenz wie keine andere Partei.

        Pack ist Pack, da hilft kein Reden. Und jetzt hat das Pack eben seine parlamentarische Vertretung.

        Mal ganz davon abgesehen, dass diese Leute nun ja nicht gerade dialoginteressiert sind.

        Ich glaube der WDR hat vor einer Weile ein Video online gestellt, das eine 40-minütige ungeschnittene Sequenz einer Montagsdemo zeigte.

        Und was sah man? Hass, Schaum vor dem Mund, unbeschreibliche Dummheit und Tätlichkeiten.

        Wohlgemerkt das alles auf die Frage: Dürfen wir mit Ihnen reden?

        • @88181 (Profil gelöscht):

          Eine Talkshow ist ein Format, mit einem inoffiziellen Deal, in der mehrere Politiker mal ihre Position geschliffen unters Volk bringen dürfen.



          Das kann man nicht mit einem gut gemachten 1:1-Interview vergleichen.

          Und gerade weil man das nicht macht haben Neonazis auch kaum Gelegenheit, sich so richtig zu blamieren.

  • Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was z.B. die Neonazis bei uns denn wirklich umtreibt.

    Und dann fällt mir sofort auf, das ich zwar jede Menge Medienpropaganda der Rechten mitbekomme, aber vom eigentlichen Kern quasi nichts.



    Das erscheint mir ziemlich schlecht, weil ich letztlich gar nicht weiß, was diese Leute eigentlich "falsch" denken.

    Kann die taz nicht auch mal einen Neonazi o.ä. interviewen, damit wir diese Lücke füllen können?