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Diskussion um Genozid an ArmeniernVernichtung oder Völkermord?

Außenminister Steinmeier zeigt Verständnis für den Begriff „Völkermord“. Bundesregierung und Bundestag streiten über die richtige Vokabel für die Vernichtung der Armenier.

In Berlin lebende Armenier demonstrieren am 18.4.2015 für die Anerkennung des Völkermords. Bild: imago/Hohlfeld

BERLIN dpa/rtr | Vor der Bundestagsdebatte zum 100. Jahrestag der Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich mehren sich die Stimmen in der Union, die Massaker als Völkermord zu brandmarken. Im Entwurf der Bundesregierung für die Gedenkstunde am Donnerstag ist zwar von „Vernichtung der Armenier“ die Rede, der Begriff „Völkermord“ wird aber - offensichtlich mit Rücksicht auf das Verhältnis zur Türkei - nicht verwendet. Nach Schätzungen kamen bei der Vertreibung der Armenier im Ersten Weltkrieg bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben.

„Der Tod Hunderttausender Armenier in der Endphase des Osmanischen Reiches war weder Unfall noch Zufall, sondern Völkermord“, sagte CDU-Vize Julia Klöckner der Welt am Sonntag. „Auch wenn es diplomatisch unklug sein mag und wir in Deutschland aufgrund unserer Geschichte anderen nicht überheblich ihre Geschichte vorhalten sollten, können wir dennoch das Kind beim Namen nennen.“

Der Armenien-Berichterstatter der Unionsfraktion, Christoph Bergner (CDU), kündigte an, er werde am Dienstag in der Fraktion dafür eintreten, „dass der Begriff Völkermord in den Antrag aufgenommen wird“. Zwar verstehe er es, wenn Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) „um angemessene Formulierungen“ ringe. Aber „die Beweise, dass es sich um einen Genozid handelt, liegen in den Archiven des Auswärtigen Amts“. Das Osmanische Reich und das Deutsche Kaiserreich waren im Ersten Weltkrieg Bündnispartner.

Auch führende Vertreter von Grünen und Linken forderten die schwarz-rote Koalition auf, die Massaker klar als „Völkermord“ zu benennen. „Die Bundesregierung ist mit ihrer Haltung unglaubwürdig und knickt vor der Türkei ein“, sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter der Deutschen Presse-Agentur.

Opposition fordert Bekenntnis von der Regierung

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der Welt am Sonntag: „Die CDU/CSU muss sich gut überlegen, auf welcher Seite sie in dieser historischen Debatte steht. Ich glaube nicht, dass die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls an die Seite von Völkermordleugnern gehört.“ Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger verlangte von der Bundesregierung, die „systematisch geplante und -organisierte Vernichtung der armenischen Bevölkerung als Völkermord nach der UN-Konvention“ anzuerkennen.

Nun geht Frank-Walter Steinmeier auf die Kritiker im Bundestag zu. Man könne das, was damals geschehen sei, „in dem Begriff des Völkermords zusammenfassen wollen“, sagte Steinmeier der Süddeutschen Zeitung. Er könne die Gründe dafür und die Gefühle dazu gut verstehen. Damit räume der Minister den Bundestagsabgeordneten mehr Freiheiten ein, die das türkische Vorgehen in einem Entschließungsantrag des Bundestags am Freitag als Völkermord bezeichnen wollen, berichtete die Zeitung.

Steinmeier sagte der SZ allerdings auch, er sei in Sorge, dass eine immer aufgeladenere politische Debatte den Beginn eines ernsthaften und aufrichtigen Dialogs zwischen Türken und Armeniern „erschweren oder gar unmöglich machen“ könnte. Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Franz Josef Jung (CDU) sagte der Saarbrücker Zeitung (Montagausgabe), die Union wolle ungeachtet türkischer Proteste das Massaker als Völkermord bezeichnen. Das Wort solle in einer vom Bundestag in der kommenden Woche verabschiedeten Resolution auftauchen.

Bundespräsident Joachim Gauck spricht am Donnerstag bei einer Gedenkveranstaltung der Kirchen im Berliner Dom. „Ich würde mir wünschen, dass der Bundespräsident sich deutlicher äußert“, sagte Grünen-Fraktionschef Hofreiter. „Ich mag ihm aber keine Vorschriften machen.“

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5 Kommentare

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  • Steinmeiers Äußerungen sind ein Beleg für eine zynischen Kontinuität deutscher Politik gegenüber dem Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten im osmanischen Reich. Reichskanzler Bethmann Hollweg war 1915 darüber informiert. Ihm war aber der Verbündete im Weltkrieg wichtiger und so verbot er die Kritik am organisierten Massenmord. Und heute? Die türkische Regierung hat keinerlei Interesse an einer Aufarbeitung des Genozids und der nationalistisch Teil der Bevölkerung stimmt dem zu. Wer heute bei uns immer noch abwiegelt, gibt damit nachträglich Hitler. Der sagte 1939 zu seinen Genrälen: "Wer spricht denn heute noch von der Vernichtung der Armenier?"

  • Man muss die Hofreiters und Riexingers der Republik schon fragen, warum es ausgerechnet die Deutschen sein müssen, die der Türkei rückhaltlos die Leviten lesen. Ja, wir haben als Rechtsnachfolger der bedeutensten Völkermörder aller Zeiten die historische Verantwortung, zur Verhinderung neuer auch auf die Aufarbeitung alter Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu drängen.

     

    Aber das gibt unserem Land noch lange nicht die moralische Autorität, über andere in dieser Frage zu richten. Und die betonte Bezeichnung eines Vorgangs als "Völkermord" ist inhaltlich ein Richterspruch, da Völkermord kein rein politischer sondern ein international fest definierter juristischer Begriff für ein mit mindestens lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohtes Verbrechen ist. Die Sprache ist reich genug an Worten, die Schwere und Verabscheuungswürdigkeit des damals Geschehenen auf moralischer Ebene ausdrücken können. Das sollte uns in unserer gebotenen (aber offenbar schwer zu lebenden) Bescheidenheit zu dem Thema eigentlich reichen.

     

    Und Herr Özdemir sollte mit seinen billigen Parolen aus dem politischen Schützengraben à la "Mit uns oder gegen uns" aufhören. Die tragen NULL zur Besserung der Verhältnisse in der Türkei bei und sind reiner Gutmenschenpopulismus.

  • Ich bin dafür dass jetzt erst einmal die Gräber der 1,5 Millionen Armenier ausfindig gemacht und die 1,5 Millionen regulär bestattet werden. Im Übrigen für eine internationale Historikerkommision wie von der Türkei bereits mehrmals vorgeschlagen um die Sache ein für alle Mal aufzuklären.

  • Dass "die Bundesregierung [...] vor der Türkei ein[knickt]", scheint nicht die ganze Wahrheit zu sein. Ich nehme an, sie geht vor der Last ihrer eigenen historischen Verantwortung in die Knie.

     

    Schulden müssen schließlich beglichen werden in einem Möchtegern-Rechtsstaat. Und wo geraubte Kunstwerke noch an die Ur-Urenkel zurückzugeben sind, da können auch eventuelle Erben von Völkermordopfern auf Schadenersatz klagen. Zum Beispiel gegen die Bundesrepublik, die schließlich Rechtsnachfolger aller deutschen Reiche ist, die jemals aus Eigennutz und Gier die Vernichtung ganzer Völker systematisch haben planen, organisieren und ausführen lassen. Noch haben die ehemaligen Großmächte, Kolonialherren und Eroberer sehr viel Geld, das andere ganz dringend zum Überleben bräuchten. Geraubtes Geld stinkt schließlich nicht. Zumindest bringt es ja die gleichen hohen Zinsen wie legal erworbenes.

    • @mowgli:

      Wie schön dass wir in der komfortablen Situation leben dass die ganze Welt außer Deutschland eine Weiße Weste hat und für keine Verbrechen aufkommen muss. Insbesondere Amerika und die Briten sind hier zu nennen. Nicht auszdenken was die Welt hätt erleben müssen stünde sie nicht unter deren permanenten Schutz.