Diskussion über Erbschaftsteuer: Pleite als Phantom
Die Erbschaftsteuer vernichte Firmen, so die Kritik großer Wirtschaftsverbände. Tatsächlich hat sie aber noch keinen Betrieb in den Konkurs getrieben.
„Puh, das wird schwierig“, sagt die Sprecherin des Verbandes Die Familienunternehmer. Große Hoffnungen könne er mir nicht machen, sagt der Sprecher der IHK Nordrhein-Westfalen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass wir jemand finden, ist gering“, sagt die Sprecherin der IHK Region Stuttgart. Die Sache wird wohl nicht so einfach, wie ich dachte.
Eigentlich müsste das doch möglich sein: einen einzigen gefrusteten Exunternehmer in ganz Deutschland zu finden. Einen Erben, der die Firma seiner Eltern nicht weiter betreiben konnte, weil die Steuerlast zu hoch war. Jemanden, den das Finanzamt zum Verkauf zwang. Oder, noch schlimmer, den es in die Insolvenz trieb. Über einen solchen Unternehmer wollte ich ein Porträt schreiben, nun, da die Große Koalition heftig über eine Erbschaftsteuerreform streitet.
Das war der Plan, als diese Recherche vor fünf Wochen begann. Um es gleich zu sagen, die Sache ist gescheitert. Das Porträt eines Firmenerben ist es nicht geworden, sondern das Protokoll einer missglückten Recherche – die es sich aber lohnt aufzuschreiben, weil sie überraschend endete.
Seit Monaten empören sich Wirtschaftsverbände über eine Erbschaftsteuerreform, die Finanzminister Wolfgang Schäuble plant. Anführer des Protestes ist Eric Schweitzer, der Präsident des mächtigen Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Die Reform werde die Firmen dramatisch belasten, sagt Schweitzer und prognostiziert: Dann werde es mittel- bis langfristig kaum noch Familienunternehmen in Deutschland geben.
Verkaufen statt vererben
Das ganze Familienunternehmertum stirbt aus? Wirklich? Seltsam schrill klingt die Empörung des DIHK-Chefs und anderer Wirtschaftsverbände angesichts dessen, was Schäuble wirklich vorhat: Der Finanzminister muss Firmenerben stärker besteuern, weil das Verfassungsgericht die alte Regelung für grundgesetzwidrig hält. Er will das Betriebsvermögen, das das Überleben der Firma sichert, komplett verschonen. Und er plant eine großzügige Freigrenze. Nur sehr reiche Firmenerben müssten die Steuer zahlen, aus einem Teil ihres Privatvermögens.
Vernichtet eine Erbschaftsteuer tatsächlich reihenweise Unternehmen? Anruf bei der DIHK-Pressestelle. Der Sprecher ist sofort in seinem Element. Ja, sagt er, das sei ein Riesenproblem. „Die bewährte mittelständische Unternehmensstruktur steht auf dem Spiel. Das Gesetz, so es denn kommt, fällt vielen Unternehmern auf die Füße.“ Sie würden verkaufen, statt die Firma an ihre Kinder weiterzugeben. Ich schildere ihm mein Anliegen. Genau diesen Effekt möchte ich mit einem Beispiel belegen.
Ich suche also einen Firmenerben, der durch die Erbschaftsteuer zum Verkauf gezwungen oder gar in die Pleite getrieben wurde. Das sei nicht einfach, sagt der Sprecher. In den vergangenen Jahren habe ja kaum ein Firmenerbe Erbschaftsteuer bezahlt.
Das ist richtig. Zumindest teilweise. Seit 2009 profitieren Firmenerben von großzügigen Verschonungsregeln. Selbst Menschen, die einen milliardenschweren Großkonzern erben, zahlen in Deutschland keinen Cent Erbschaftsteuer, sofern sie die Arbeitsplätze eine Zeit lang erhalten. Diese – inzwischen verfassungswidrige – Verschonung hatte Angela Merkels erste Große Koalition beschlossen.
Ein scheues Wild
Allerdings bilden die letzten sechs Jahre eine Ausnahme in der deutschen Geschichte. Vor 2009 besteuerte der Staat Firmenerben sehr wohl, auch wenn er immer hohe Abschläge und Freibeträge gewährte. Und auch nach 2009 waren Erben steuerpflichtig. Nämlich dann, wenn sie das Versprechen, die Jobs zu erhalten, nicht einhielten.
Es müsste sich also ein Unternehmer finden lassen, der unter der angeblichen Härte der Erbschaftsteuer gelitten hat. Oder? Der DIHK-Sprecher rät, sich an einzelne Kammern zu wenden, da der DIHK als Dachverband keine Kontakte zu einzelnen Firmen habe. Gesagt, getan. Ich schreibe 15 Wirtschaftsverbände und Handwerkskammern in ganz Deutschland an: den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), den Verband der Familienunternehmer. Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen, in der Region Stuttgart, in München und in Hamburg. Außerdem Handwerkskammern in wichtigen Städten und Regionen, in Berlin, Potsdam, Hamburg, München und Baden-Württemberg.
Allen stelle ich dieselbe Frage. Gibt es einen Unternehmer, der wegen der Steuer pleite ging oder verkaufen musste? Die spontanen Antworten ähneln sich, drei stehen am Anfang dieses Textes. Unternehmer seien eben ein scheues Wild, sagen mehrere Sprecher. Über Geld zu reden, sei immer problematisch. Alle Verbände versprechen, ihr Bestes bei der Suche zu geben.
Der Experte muss lachen
Ein Experte aus dem Bundesfinanzministerium, der sich mit der Materie auskennt, muss lachen, als er von der Rechercheidee erfährt. Er wünscht viel Glück. Die Sprecherin der Familienunternehmer schickt erst mal ein Positionspapier, das viel weichere Regeln bei der Erbschaftsteuer fordert und aufgebrachte Familienunternehmer zitiert. Der Chef eines 500-Mitarbeiter-Betriebs fragt sich, ob er seine Kinder dem Risiko aussetzen darf, ihre Existenz zu verlieren.
Da ist er wieder, dieser aufgeregte Ton. Ist das Horrorszenario des Existenzverlustes angemessen? Sogar Normalverdiener, die privat mehrere Immobilien erben und sehr wohl Erbschaftsteuer zahlen müssen, gehen ja nicht pleite, sondern werden durch das Erbe wohlhabender. Warum sollte das bei Erben eines Millionenkonzerns anders sein? Die Wirtschaftsverbände sind mächtige Lobbys, sie verfügen über Millionenbudgets, über schlagkräftige Thinktanks und zahlreiche Kanäle in die Politik. Allein die IHK Region Stuttgart weist für 2014 Betriebserträge von 47 Millionen Euro aus.
Neben den großen Dachverbänden, dem DIHK, dem BDI, dem BDA und dem ZDH, gibt es über hundert Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern. Jede Region, jede Großstadt hat eigene. Ihre Steuerberater sind darauf spezialisiert, Unternehmern bei der Übergabe in der Familie Geld zu sparen. Wenn jemand sich auskennt, dann sind sie es.
Der Verband Die Jungen Unternehmer schickt die Handynummer von David Zülow. Zülow, 39, leitet ein Daten- und Elektrotechnikunternehmen mit über 300 Mitarbeitern in Neuss, Nordrhein-Westfalen. Er klingt nett und energisch, als er seine Geschichte erzählt. Sein Vater, der die Firma gemeinsam mit der Mutter aufgebaut hatte, verunglückte 2010, die Mutter erbte seine Anteile. Damals galt bereits die komplette Steuerfreistellung für Betriebsvermögen.
Privates und Betriebliches
Als man mit der Betriebsprüferin des Finanzamts zusammengesessen habe, sei es zugegangen wie auf dem Basar, erzählt Zülow. Alles habe die Frau in einen Topf geworfen, zu besteuerndes Privatvermögen und freigestelltes Betriebsvermögen. Am Ende habe sie eine verrückt hohe Summe verlangt. Dann kann ich den Laden zumachen, sagte die Mutter. Die Betriebsprüferin antwortete: „Frau Zülow, Sie wären nicht die Erste, die ich mit der Erbschaftsteuer in die Insolvenz schicke.“
Ein solcher Satz muss furchtbar sein für eine Familie, die gerade den Vater verloren hat. Allerdings weist Zülows Geschichte eher auf die Schwierigkeit hin, privates von betrieblichem Vermögen zu trennen. Eine existenzgefährdende Wirkung der Steuer belegt sie nicht. Die Sache sei an die Substanz gegangen, sagt Zülow. Aber man einigte sich. Seine Mutter musste keine Anteile verkaufen. Das Unternehmen stehe heute wieder sehr gut da, sagt er.
Die Antworten der Verbände treffen ein. Alles Absagen, professionell, freundlich und bedauernd. Manche Sprecher sagen, die Zeit der Besteuerung sei zu lange her. Andere geben Tipps, wo man noch fragen könne. Kurz gesagt: 15 Wirtschafts- und Handwerksverbände können keinen einzigen Erben auftreiben, der seine Firma wegen der Erbschaftsteuer aufgeben musste.
Dieses Ergebnis ist bemerkenswert. Die Verbände werden ja nicht erst seit der taz-Anfrage versuchen, jemanden zu finden. Ihr Interesse an einem solchen Fall ist groß, er wäre der ultimative Beleg für die vermeintlich drohende Gefahr. Womit eine einfache Schlussfolgerung im Raum steht: Es gibt ihn in Deutschland wohl nicht, den durch die Erbschaftsteuer vernichteten Unternehmer.
Zwischen Realität und Horrorszenario
Bei der Recherche gibt es erhellende Momente, die diese Vermutung nahelegen. Der Sprecher einer Handwerkskammer sagt: „Vielleicht ist das Geschrei der Großverbände übertrieben.“ Eine Sprecherin sagt nach Rücksprache mit der Rechtsabteilung: „Die Erbschaftsteuerlast spielte bei Insolvenzberatungsfällen nie eine Rolle.“
Eine erfahrene IHK-Fachfrau sagt, bei der Steuer habe es immer hohe Abschläge durch den Staat gegeben. „Die Erben, die Sie suchen, gibt es nicht.“
Liegen da nicht Welten zwischen der Realität und den Horrorszenarien, mit denen wichtige Wirtschaftsverbände drohen? Ich bitte den DIHK, das Ergebnis zu bewerten. Wie kommt DIHK-Präsident Schweitzer zu dem Schluss, dass durch eine Erbschaftsteuer die Familienunternehmen verschwinden? Sind seine Prognosen überzogen?
Schäubles Pläne träfen große Familienfirmen, aber auch den breiten Mittelstand, beteuert der Sprecher erneut. Erben müssten mit einer Steuerlast rechnen, die sechsmal so hoch liege wie ihr Jahresgewinn. Dann bliebe ihnen nur der Verkauf – oder die Insolvenz. Er deutet an, dass es Fälle pleitegegangener Unternehmer gibt: „Unternehmen sterben in der Regel leise.“
Den harten Beleg für diese These bleibt der DIHK allerdings weiterhin schuldig.
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