Diskriminierung von Frauen in Elternzeit: Hamburgerin zieht vors Verfassungsgericht
Weil ihr die Elternzeit bei der Höhergruppierung nicht angerechnet wurde, klagt eine Angestellte des öffentlichen Diensts vor dem Verfassungsgericht.

„Wir sehen hier eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung“, sagt ihre Anwältin Friederike Boll. Betroffen seien von solchen Fällen vor allem Frauen, die immer noch in weitaus höherem Maß Elternzeit in Anspruch nehmen als Männer. Dazu kommt, dass der Tarifvertrag der Länder für den öffentlichen Dienst nicht jede Auszeit gleich bewertet.
Die Idee der turnusmäßigen Höherstufung ist, dass Leute mit der Dauer, über die sie einen Job machen, an Wissen und Erfahrung gewinnen. Nehmen sie eine Auszeit, stoppt sozusagen die Uhr. Allerdings sieht der Tarifvertrag Ausnahmen vor: Wer krank ist, darf bis zu 39 Wochen fehlen, ohne dass sich die Höherstufung verzögert, wer Wehr- oder Bundesfreiwilligendienst leistet, bekommt bis zu 23 Monate angerechnet.
Die Elternzeit nicht auf die Laufzeit der Gehaltsstufen anzurechnen, werte Fürsorgearbeit ab und diskriminiere die Geschlechter, kritisiert Boll. Dabei gebe es Gesetze, „die genau vor einer Diskriminierung im Entgeltbereich schützen sollen“. Den Arbeitsgerichten wirft sie vor, diese nicht angewandt zu haben, obwohl sie durch die Antidiskriminierungsvorschrift in Artikel 3 des Grundgesetzes genau dazu verpflichtet seien.
Hamburgerin klagt sich bis zum Bundesverfassungsgericht
Bolls Mandantin J. klagt sich seit Anfang vergangenen Jahres durch die Instanzen. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen ihre Klage ab. Das Bundesarbeitsgericht hat ihre Beschwerde dagegen abgelehnt, dass das Landesarbeitsgericht auch keine Revision, also eine Überprüfung seines Urteils zulassen wollte. Gegen alle drei Entscheidungen wendet sich die Verfassungsbeschwerde.
Die Gerichte hatten verneint, dass mit der Nichtanrechnung der Elternzeit Frauen diskriminiert würden – schließlich könnten sich ja auch Männer Elternzeit nehmen. Wer krank werde, habe das im Gegensatz zu einer Entscheidung für die Elternzeit nicht selbst in der Hand.
Lange Krankheitszeiten seien überdies eher die Ausnahme; durch die Elternzeit ruhe das Arbeitsverhältnis und damit die Zeit, in der Berufserfahrung erworben werden könne, typischerweise erheblich länger.
Auch J.s Argument, in der Elternzeit machten Mütter und Väter für das Berufsleben wertvolle Erfahrungen, mochten die Richter nicht folgen. Auch aus dem Hamburger Gleichstellungsgesetz ergebe sich nicht die Pflicht, Fähigkeiten und Erfahrungen aus der Elternzeit zu berücksichtigen – zumindes nicht unabhängig vom Anforderungsprofil der Stelle.
Elternzeit ist kein Privatvergnügen
Für die Klägerin J. sind die Argumente der Richter schwer erträglich. Elternzeit zu nehmen, sei eben kein Privatvergnügen. „Andere profitieren von dem Rentenvorteil, den wir erarbeiten“, sagt sie mit Blick darauf, dass die Kinder von heute die Beitragszahler von morgen sind.
Auch dass Fürsorgearbeit im Tarifvertrag und von den Richtern nicht gewürdigt werde, ärgert sie: „Ich kriege die Krise, wenn ich Leute vom Gender-Pay-Gap reden höre oder davon, dass Care-Arbeit endlich anerkannt werden müsse.“
J. sagt, ihr und ihren Unterstützerinnen gehe es nicht ums Geld, nicht darum, dass sie ein Jahr verspätet eine höhere Gehaltsstufe erklommen hat, sondern um Gerechtigkeit. „Für mich persönlich war immer klar: Wenn das juristisch scheitert, werde ich das politisch durchsetzen“, sagt sie.
Ihre Anwältin Boll begründet die Verfassungsklage damit, dass mit dem Fall „Grundsatzfragen zur Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere von Frauen im Berufsleben aufgeworfen“ würden. Dazu gehöre die Frage, inwieweit Tarifparteien frei darin sind, bestimmte Gruppen zu begünstigen, wenn das zu unterschiedlichen Entgelten für Männer und Frauen führen könne.
Auf dem Spiel stehe der Grundrechtsschutz von Leuten, die Elternzeit nehmen, sagt Boll. Die Anwältin will deshalb die Arbeitsgerichte dazu verpflichten, Gleichstellungsgesetze im Lichte des Artikel 3 anzuwenden und den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen, sprich: ihrer Mandantin rechtliches Gehör zu verschaffen.
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