Diskriminierung bei der BVG: Bei Einstieg droht Rassismus
Die BVG will rassistische Äußerungen eines U-Bahn-Fahrers prüfen. Dabei geht es auch um die Debatte über Kriminalität und Migration.
Aber Sicherheit für wen? Einen Tag zuvor ist erneut ein rassistischer Vorfall bei dem Unternehmen bekannt geworden. Der Menschenrechtsaktivist Mouatasem Alrifai schilderte auf X einen Vorfall, den er zusammen mit Freund*innen am Montagabend in der U9 am Bahnhof Zoo erlebt hatte: Der Fahrer der Bahn, mit der Alrifai unterwegs war, forderte per Durchsage, „die kriminellen Migranten dahinten“ auf, den Türbereich zu verlassen, um die Fahrt fortsetzen zu können.
Eine Station später seien er und seine Freund*innen ausgestiegen und hätten den Fahrer mit seiner Aussage konfrontiert, berichtet Alrifai, der 2016 aus Syrien geflohen ist, in Nürnberg lebt und sich dort im Rat für Integration und Zuwanderung engagiert, der taz. Zwei andere Zeug*innen fuhren weiter bis zur Endhaltestelle Osloer Straße, sprachen den Fahrer dort ebenfalls an und filmten das Gespräch, das Alrifai später auf X postete.
Er habe doch nur „eine normale Meinungsäußerung“ getätigt, rechtfertigt sich der Fahrer, das sei ja wohl „nicht strafbar“. Außerdem sei von einer „Gruppe Migranten randaliert worden“. Auf die Frage hin, weshalb er eine rassistische und beleidigende Aussage mache, anstatt das offenbar vorliegende Problem mit einer blockierten Tür anders zu lösen, behauptet er: „Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen.“
Für Alrifai hatte das Erlebnis eine ironische Komponente, wie er sagt: „Ich war gerade für mehrere Tage in Berlin und hatte einigen Freund*innen gesagt, dass ich nach Berlin ziehen will, weil ich die Offenheit dieser Stadt sehr schätze.“ Für ihn bedeute der Vorfall nun zwar nicht, „dass alle Berliner*innen so sind“, betont er. „Aber nach diesem Ereignis bin ich immer noch schockiert und verwirrt.“
„Wir gehen dem nach“
Als die taz die Senatorinnen Schreiner und Giffey am Mittwoch bei ihrem Pressetermin auf den Vorfall anspricht, bleiben diese stumm. Stattdessen springt der BVG-Vorstandsvorsitzende Henrik Falk für sie in die Bresche: „Wir gucken uns das an und gehen dem nach“, sagt er. „Wenn sich das erhärtet, werden wir Maßnahmen ergreifen.“ Welche das sein könnten, will er indes nicht sagen. „Das werden wir dann sehen“, erwidert er knapp.
Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art bei der BVG. Laut Senatssozialverwaltung gingen 2023 bei der Ombudsstelle für das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) 51 Beschwerden über diskriminierendes Verhalten durch BVG-Mitarbeitende ein. In diesem Jahr waren es bislang sieben. Rund ein Viertel davon betraf rassistische Diskriminierungen. Auch zu dem Vorfall von Montag liege bereits eine Beschwerde vor, teilt Sprecher Stefan Strauß auf taz-Anfrage mit.
Mit dieser Bilanz belegten die Verkehrsbetriebe im vergangenen Jahr Platz 3 bei Beschwerden zu staatlicher Diskriminierung – vor der Polizei. Mehr Beschwerden gibt es nur in den Bezirksämtern und in Bildungseinrichtungen.
Im Juli vergangenen Jahres wurde die BVG zum ersten Mal wegen der rassistischen Diskriminierung eines Schwarzen Fahrgastes durch Kontrolleure auf Schadensersatz verurteilt. Kurz zuvor hatte ein anderer Kontrolleur eine Haftstrafe auf Bewährung erhalten, weil er 2020 einen ebenfalls Schwarzen US-Amerikaner bei einer Kontrolle so brutal geschlagen hatte, dass dieser mit mehreren Knochenbrüchen ins Krankenhaus kam.
Damals riefen Aktivist*innen die Initiative #bvgweilwirunsfürchten ins Leben, um solche Fälle von Diskriminierung und Gewalt öffentlich zu machen. Oft, aber nicht immer, geht es dabei um schlecht bezahlte Mitarbeiter*innen von Subunternehmen, wie sie vor allem bei den Ticketkontrollen eingesetzt werden.
Spiegel der Gesellschaft
Ob angesichts der Vorfälle Maßnahmen wie Fortbildungen für Mitarbeiter*innen ergriffen werden, sagt BVG-Vorstandschef Falk am Mittwoch nicht. Er verweist darauf, dass die BVG sehr divers sei, aber eben auch nur ein Spiegel der Gesellschaft. Um dann hinzuzufügen, dass die BVG ein weltoffenes und vielfältiges Unternehmen sei, das keinerlei Form von Diskriminierung oder Rassismus toleriere.
Ähnlich äußert sich auch die Senatorin für Antidiskriminierung, Cansel Kiziltepe (SPD): „Wir dulden keinen Rassismus und keine Form der Diskriminierung in unserer Stadt!“, ließ sie am Mittwoch mitteilen. „Wir stehen mit der BVG immer im Austausch.“
Ferat Koçak, Sprecher der Linken-Fraktion für antifaschistische Politik, kennt ausreichend rassistische Vorfälle, um von dem Verhalten des BVG-Fahrers nicht grundlegend überrascht zu sein. Davon, „dass das so über den Lautsprecher rausgehauen wird“, allerdings schon. „Die Menschen müssen verstehen, dass sie solche Aussagen nicht einfach tätigen dürfen“, sagt Koçak der taz. Er fordert im konkreten Fall „mindestens eine Abmahnung“ sowie eine Schulung des Mitarbeiters. Dabei dürfe es aber nicht bleiben: Die BVG müsse auf jeden Fall „in Sachen Antidiskriminierungsarbeit noch mal nachlegen“.
Wie das landeseigene Unternehmen dies zu tun gedenkt, dazu will der Linken-Abgeordnete in Kürze eine parlamentarische Anfrage stellen. Mouatasem Alrifai, den er persönlich kennt, hat er geraten, Anzeige zu erstatten. Der will das auch tun, nach Möglichkeit mit externer Unterstützung.
Wie auch Ferat Koçak zieht Alrifai eine direkte Verbindung zwischen dem Fall und der aktuellen Debatte über die Kriminalstatistik: Dabei wird ein – nicht belegbarer – Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalität konstruiert. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das mit der Ankündigung von schnelleren Abschiebungen noch befeuert. „Politiker*innen wie die Bundesinnenministerin schüren durch ihre Aussagen Rassismus“, sagt Koçak. Sie gefährdeten damit „die Sicherheit von Migrant*innen, Geflüchteten und Deutschen mit Migrations- und Fluchtbezug, anstatt sich um deren Schutz zu kümmern“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken