Diskriminierender Wahlkampf in Polen: Gegenwind für Homophobie
Vor der Präsidentschaftswahl in Polen schießt sich die Regierungspartei auf sexuelle Minderheiten ein. Das trifft zunehmend auf Widerstand.
Eigentlich haben die Menschen in Polen ganz andere Sorgen: Viele verloren durch die Maßnahmen gegen Corona ihre Arbeit, andere gingen in die Insolvenz. Die Preise steigen, und das Geld reicht hinten und vorne nicht. Doch worüber im Land jetzt diskutiert wird, sind Fragen wie: „Sind Schwule Menschen? Und Lesben auch? Was ist mit Bisexuellen und Transgenderpersonen?“ Es ist Wahlkampf. Am kommenden Sonntag können die WählerInnen endlich ihre Stimme für den neue Präsidenten Polens abgeben. Elf Männer und keine einzige Frau bewerben sich um das Amt.
Aus Mangel an Ideen für einen zugkräftigen Wahlkampf des bisherigen Präsidenten Andrzej Duda erfanden seine Wahlkampfmanager einen neuen Feind. Und zwar bedrohe eine „LGBT-Ideologie“ die polnischen Familien, deren Traditionen und Werte. Aber ein Retter sei in Sicht: Andrzej Duda, der erneut als Kandidat der regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) antritt, wetterte denn auch prompt auf einer Wahlkampfveranstaltung gegen LGBT: „Man versucht, uns einzureden, dass dies Menschen seien, aber das ist ganz einfach eine Ideologie!“
Tags zuvor war ein Nationalpopulist aus einer Talkshow des Privatsenders TVN geflogen. Seine Hetztirade „LGBT sind keine Menschen, sondern eine Ideologie“ war der Moderatorin zu viel: „Es gibt Grenzen!“ Doch nicht nur Polens Staatsoberhaupt verteidigte den Satz, mit dem über eine Million Staatsbürger und Staatsbürgerinnen Polens zu „Nichtmenschen“ erklärt wurden. Auch der PiS-Abgeordnete Przemysław Czarnek hieb in diese Kerbe. Im Staatssender TVP, im früheren öffentlich-rechtlichen Rundfunk, hielt er das Bild einer Pride-Parade in Los Angeles in die Kamera und empörte sich: „Hören wir auf, uns diese Idiotismen von irgendwelchen Menschenrechten oder irgendeiner Gleichheit anzuhören. Diese Leute sind nicht wie normale Menschen.“
Als Duda nur einen Tag später in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau aller Opfer der deutschen KZs und Vernichtungslager im besetzten Polen von 1939 bis 1945 gedenkt, erinnert ihn die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza an die KZ-Opfer, die zur Markierung ihrer sexuellen Identität den rosa Winkel tragen mussten. Dabei zitiert sie den Tweet eines aufgebrachten polnischen Bürgers, der ein Häftlingsfoto von einem Schwulen postete und dazu schrieb: „Das ist ein Auschwitz-Opfer. Er trägt einen rosa Winkel auf der Häftlingsjacke. Wie könnt ihr gleichzeitig an die Nazi-Opfer erinnern und sagen, dass Homosexuelle nicht wie normale Menschen sind? WIE?“ Doch weder Duda noch ein Politiker der PiS nahm die Worte „LGBT – das sind keine Menschen“ zurück.
Stattdessen meldete sich – ebenfalls auf Twitter – der TVP-Deutschlandkorrespondent Cezary Gmyz zu Wort. „Viele Homosexuelle in den Konzentrationslagern waren außergewöhnliche Degenerierte und Vergewaltiger. Zudem verweise ich auf ein Buch von Roman Frister, der in ‚Autoporträt mit einer Narbe‘ beschreibt, wie er selbst Opfer einer analen Vergewaltigung wurde.“ Fassungslos über diesen Tweet, erstattete Ulle Schauws, die Sprecherin für Queerpolitik der Grünen-Fraktion im deutschen Bundestag, Anzeige bei der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Gmyz wegen homofeindlicher Hetze.
Im Kiosk in Warschau-Mokotów begutachtet eine ältere Dame mit Stock und Strohhut den homphoben Aufkleber und sagt: „Na, da hat unser Präsident ja wohl ein bisschen übertrieben. Zu behaupten, dass das keine Menschen sind! Mir gefallen diese Gleichheitsparaden ja auch nicht. Aber als Nächstes, Pani Basia, sind wir vielleicht keine Menschen mehr?“ Die Kioskbesitzerin nickt: „Genau, alt und schon bald arbeitsunfähig.“
Auch Juden in Polen können kaum glauben, welche Hasswelle sich da plötzlich im Wahlkampf, ausgehend vom Staatspräsidenten Polens, über die LGBT-Minderheit ergießt. „Wir Juden, Überlebende des Holocaust und deren Nachkommen, wollen und können nicht gleichgültig bleiben angesichts der dehumanisierenden Worte über die LGBT-Personen“, schrieb der Vorstand der Warschauer Jüdischen Gemeinde in einem offenen Brief, „Wir widersetzen uns der Hasssprache der Vorurteile und der Aggressivität.“ Polens Juden wüssten nur zu gut, dass es zu Tragödien und Pogromen führe, wenn einer gesellschaftlichen Gruppe ihre Würde und Menschlichkeit abgesprochen und dem Rest der Gesellschaft eine völlig unbegründeten Angst vor dieser Gruppe eingejagt werde. „Wir haben das Recht, NEIN zu sagen zu jeder Diskriminierung sexueller Minderheiten“, heißt es in der Erklärung vom 15. Juni. „Wir unterstützen alle LGBT-Personen in ihrem Bestreben, die Gleichberechtigung aller Staatsbürger und Staatsbürgerinnen Polens zu erreichen.“
Mochte dieser Protest schon unangenehm für Polens Nationalpopulisten und ihren Präsidentschaftskandidaten sein, so versetzte ihnen zusätzlich eine Demonstration der Mütter homosexueller Kinder vor dem Präsidentenpalast in Warschau einen schmerzhaften Schlag. Denn bei der Konzentration auf die „Verteidigung der polnischen Familie, ihrer Traditionen und Werte“ war ihnen entgangen, dass natürlich auch Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenderpersonen in eine Familie hineingeboren werden, dass sie Väter, Mütter und oft auch Geschwister haben.
„Herr Präsident, was Sie über unsere Kinder sagen, ist schmerzhaft und enorm schädlich“, sagt Helena Biedron, die Mutter des linken Präsidentschaftskandidaten Robert Biedron. „Wir haben Angst um unsere Kinder. Wir wollen sie nicht verlieren, nur weil jemand, der verletzende Worte hört, beschließt, unsere Kinder zu schlagen, zu bespucken, zu ermorden oder in den Selbstmord zu treiben.“
Mateusz Morawiecki, Polens PiS-Regierungschef, hätte ein Machtwort sprechen und die homophobe PiS-Kampagne von Andrzej Duda absagen können. Franciszek Broda, Morawieckis 17-jähriger Neffe, hatte bereits sein Coming-out, interessiert sich lebhaft für Politik und fragt sich jetzt, ob sein Onkel ihn bereits völlig abgeschrieben hat. „Ich bin ein Mensch und schäme mich dessen nicht“, antwortete er dem PiS-Abgeordneten Zalek auf Facebook. „Aber Sie sollten sich schämen. Scham! Und solche Leute sollen uns regieren?“ Als ihm der PiS-EU-Parlamentarier Ryszard Czarnecki in dem Boulevardblatt Superexpress antwortete, dass es so etwas wie eine Familiensolidarität gebe und Broda mit der Kritik an seinem Onkel und an der PiS bis nach den Wahlen hätte warten können, antwortete der Teenager sofort. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie und Ihre (Partei-)Kollegen eine Situation herbeiführen, in der jemand Selbstmord begeht oder in eine tiefe Depression fällt.“
Wahlprognosen ändern sich
Die homophobe Kampagne der PiS war von langer Hand vorbereitet worden und kam zunächst als eine harmlos wirkende „Familien-Charta“ daher. Gerade in Ostpolen kam diese Charta, in der auch viel über den Schutz der Kinder vor „Unsittlichkeit“ stand, gut an. Doch, und das war das Entscheidende, es gab auch eine längere Passage über die angebliche Gefahr, die von einer dubiosen „LGBT-Ideologie“ für die Kinder ausgehe und die man als Dorf-, Stadt-, Kreis-oder Wojewodschaftsverwaltung aufs Schärfste bekämpfen werde. Inzwischen hat ein gutes Drittel Polens die LGBT-diskriminierende Familiencharta angenommen.
Die PiS ging davon aus, dass diese Kampagne sowie die permanent negative LGBT-Berichterstattung in den PiS-nahen Medien ihr die Wähler und Wählerinnen nur so zutreiben würde. Doch dieses Kalkül muss nicht aufgehen. Noch führt zwar Andrzej Duda mit rund 40 Prozent Zustimmung, doch sein Verfolger von der liberalen Bürgerkoalition ist ihm mit 34 Prozent dicht auf den Fersen. Verlieren werden mit der Kampagne wohl alle – zuallererst Lesben, Schwulen, Bisexuelle und Trans*, aber auch jene, die sich von der Homophobie anstecken ließen, und die, die sich nun angewidert von der Regierung abwenden.
Ein junger Mann, um den Hals einen Sommerschal in Regenbogenfarben, möchte am Kiosk eine kleine Cola kaufen, sieht den Aufkleber und schaut betroffen. Doch Pani Basia lacht ihn an: „Na, sind Sie nun ein Mensch? Oder wem soll ich jetzt die Cola verkaufen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag