Diplomatie im Ukraine-Konflikt: Fluchtkorridor für den Osten
Die russisch-ukrainischen Verhandlungen über Erdgas-Lieferungen sind bisher ergebnislos. Im Osten des Landes wird weiter gekämpft. Steinmeier reist nach Russland.
KIEW/BRÜSSEL dpa | Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat angesichts der blutigen Kämpfe in der Ostukraine angeordnet, einen Fluchtkorridor für die Bewohner der Region zu schaffen. So sollten friedliche Einwohner das Gebiet der „Anti-Terror-Operation“ ungehindert verlassen können, teilte die Präsidialverwaltung in Kiew am Dienstag mit.
Demnach handelt es sich um eine Rettungsaktion. Die Kämpfe gingen ungeachtet einer von Poroschenko angekündigten Waffenruhe in den Gebieten Lugansk und Donezk weiter. Die Regierung kämpft in der Region gegen prorussische Separatisten, die die proeuropäische Regierung in Kiew nicht anerkennen.
In der Nacht zum Dienstag hatten sich der ukrainische Energieminister Juri Prodan und dessen russischer Kollege Alexander Nowak bei fast achtstündigen Verhandlungen in Brüssel nicht auf den Preis künftiger Erdgaslieferungen und auf die Begleichung ukrainischer Schulden für frühere Lieferungen einigen.
EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der bei den Verhandlungen vermittelte, sagte, die Gespräche würden entweder am Dienstagabend oder am Mittwochmorgen fortgesetzt: „Wir haben noch laufende Verhandlungen.“ Er fügte hinzu: „Alle Parteien bemühen sich, eine falsche Entwicklung zu vermeiden.“ Russland hat mit einem Lieferstopp für Erdgas gedroht, falls die Ukraine nicht ihre Schulden bis zum 10. Juni bezahle. Ein solcher Stopp könnte auch die Gasversorgung der EU, die zum großen Teil über das Transitnetz der Ukraine läuft, betreffen.
Oettinger sagte, Ukrainer und Russen müssten mit ihren jeweiligen Staatspräsidenten über den Stand der Verhandlungen sprechen. Der ukrainische Energieminister Prodan sagte, die EU-Kommission habe „bestimmte Vorschläge gemacht, über die wir nachdenken werden“.
Ukraine für Paketlösung
Die Ukraine halte daran fest, dass über den neuen Gaspreis und über die Begleichung alter Gas-Schulden in einem Paket entschieden werden müsse. Der Chef des russischen Konzerns Gazprom, Alexej Miller, habe für die Preisfindung aber einen Mechanismus vorgeschlagen, der für die Ukraine nicht akzeptabel sei. Dieser Vorschlag habe darauf gezielt, den Preis aufgrund einer Verringerung der Ausfuhrsteuern zu senken. Der Steuersatz könne aber jederzeit von der russischen Regierung verändert werden.
Der russische Energieminister Nowak sprach hingegen von einem „sehr konstruktiven Vorschlag“. Russland bestehe darauf, dass die Ukraine für die Monate November und Dezember 2013 rund 1,45 Milliarden US-Dollar (1,05 Milliarden Euro) bezahlen müsse. Zudem seien noch 500 Millionen Dollar für April und Mai dieses Jahres fällig. Nowak bezeichnete die Verhandlungen als "lang und nicht feindselig".
Erstmals seit der Eskalation der Ukraine-Krise reist am Dienstag Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wieder nach Russland. Steinmeier will in St. Petersburg mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow sowie dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski über die Lage in der Ukraine beraten. Er wolle ausloten, „wie das positive Momentum der letzten Tage genutzt werden kann, um den Prozess der Deeskalation unumkehrbar zu machen“, sagte Steinmeier. Im Streit um russische Erdgaslieferungen an die Ukraine konnten Moskau und Kiew noch keine Einigung erzielen.
In Kiew hatte der neue ukrainische Präsident Petro Poroschenko überraschend eine Waffenruhe für die Ostukraine noch in dieser Woche angekündigt und die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konflikts genährt. „Wir sollten in dieser Woche das Feuer einstellen“, sagte der 48-Jährige. Es ist das erste Signal des zuvor als Staatschef vereidigten Poroschenko, der einen Friedensplan für die von blutigen Kämpfen erschütterte Ostukraine angekündigt hat. Einen genauen Zeitpunkt nannte Poroschenko bei der Sitzung einer Kontaktgruppe mit Diplomaten allerdings nicht.
Leichte Zuversicht bei Steinmeier
Steinmeier sieht darin vorsichtige Signale der Entspannung. „Im Ukraine-Konflikt ist jetzt erstmals seit Monaten ein leises Licht am Ende des Tunnels sichtbar“, sagte er am Montagabend in Berlin. „Noch sind wir nicht nah genug an einer Lösung der Ukraine-Krise.“ Aber die Konfliktparteien würden endlich direkt miteinander sprechen.
Vor allem Moskau fordert seit Tagen ein Ende des Militäreinsatzes der ukrainischen Regierung, damit ein Dialog beginnen könne. Kremlchef Wladimir Putin hatte am Samstag als Zeichen des Entgegenkommens verschärfte Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze zur Ukraine angeordnet, um das weitere Eindringen Bewaffneter in die Krisenregion zu unterbinden. Dabei geht es um Söldner vor allem aus Russland.
Die Separatisten in den umkämpften Gebieten Lugansk und Donezk reagierten zurückhaltend und mit Misstrauen auf die Ankündigung Poroschenkos. „Diesen Leuten ist nicht zu trauen“, sagte ein Sprecher der von Kiew nicht anerkannten „Volksrepublik Lugansk“ am Montag. „Die Mobilisierung ist nicht beendet. Wir haben Krieg. Wir eröffnen nicht zuerst das Feuer, sondern nur zur Verteidigung“, sagte er. Auch aus der „Volksrepublik Donezk“ gab es Zweifel an Poroschenkos Worten. Beide Regionen streben einen unabhängigen Staat Noworossija (Neurussland) an.
Die Vereinten Nationen zeigten sich enttäuscht darüber, dass es zwei Teams der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) immer noch von Separatisten festgehalten werden. „Es ist nicht akzeptabel, dass die Mitarbeiter einer internationalen Mission bedroht werden“, sagte der für politische Fragen zuständige Vize-Generalsekretär Jeffrey Feltman am Montag nach seiner Rückkehr aus Kiew. Die beiden OSZE-Teams werden seit über einer Woche von Separatisten an unbekannten Orten festgehalten.
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