Digitalisierung im Rundfunk: Das begleitende Medium
Wie sieht die Zukunft des Radios aus? In der Öffentlichkeit wird darüber kaum diskutiert. Dabei steht der Hörfunk vor einer Zäsur.
Sternstunde für Privatradio: Als im Juli die Wupper übers Ufer tritt, hält Radio Wuppertal eisern durch. Trotz Überflutung im Keller, der die Online-Server außer Gefecht setzt, und zum Schluss mit Notaggregat, nachdem die Stadt wegen der Überflutung den Strom abgestellt hat, bleibt das Team des Senders bis in die frühen Morgenstunden im Einsatz, um zu warnen und zu berichten. Als irgendwann unfreiwillig die Lichter ausgehen, zeigen sich die Hörer*innen später beeindruckt und dankbar.
Die Katastrophennacht im Bergischen Land hat einmal mehr die Stärke eines „alten“ Massenmediums gezeigt, dem seit seinem Start in Deutschland 1923 immer wieder das baldige Ende vorhergesagt wurde, beispielsweise zur Einführung des Fernsehens in den 50er Jahren: Während sich TV zunächst am Radio orientierte, sollte schließlich ein „fernsehgerechter Hörfunk“ mit weniger Wortbeiträgen und mehr Musik entstehen. „Dudelfunk mit hirnlosem Moderatorengequassel“ nannten das damals manche Kritiker*innen.
Schon bald stellte sich die Frage, wie öffentlich-rechtliche Radioprogramme, besonders im Hinblick auf das Fernsehen, gegenüber den Gebührenzahlern ihre Daseinsberechtigung behaupten konnten, zumal der Hörfunk drastisch an Publikum verlor: Zwischen 1958 und 1960 sank die tägliche Radionutzung von 2 Stunden 49 Minuten auf 2 Stunden und 12 Minuten.
Parallel dazu hatten Untersuchungen belegt, dass Radio mittlerweile ein „Begleitmedium“ geworden sei. Nach der Einführung des Fernsehens schaute kaum jemand mehr ins Programm, um bestimmte Sendungen zu hören. 1952 waren es noch über ein Drittel, die sich gezielt einschalteten, 1960 nur noch 18 Prozent der Hörer. Die großen Radiostars wie Peter Frankenfeld, Hans-Joachim Kulenkampff oder Werner Höfer wanderten ins Fernsehen ab.
Die Folge: Das Medium Radio sollte sein Publikum nun vor allem tagsüber finden, mit speziellen Programmen spezielle Bevölkerungsgruppen ansprechen – das war der Beginn der „Zielgruppenprogramme“. Der Service-Gedanke rückte in den Vordergrund. Die Sendungen mussten in ihren Nachrichten und Informationen so aktuell wie möglich sein.
Wie lange hält sich der Hörfunk noch?
Wie lange der klassische Hörfunk noch existieren kann ist fraglich. Das Radioangebot über Internet ist inzwischen fast unendlich. Wer über einen PC mit Onlineanschluss verfügt, ist technisch in der Lage, selbst zum Sender zu werden. Mit der Einführung des terrestrischen digitalen Sendestandards DAB+, dem Nachfolger des analogen UKW-Radios, können erheblich mehr Programme ausgestrahlt werden. Eine weitere Herausforderung für das Medium: Podcasts und vor allem Musikstreaming-Angebote wie Spotify oder Napster. Mit ihnen erhalten Nutzer*innen die Möglichkeit, ihr eigenes Programm zusammenzustellen.
Noch sind die Daten zur Nutzung von Radio allerdings nicht besorgniserregend: Laut einer Marktanalyse nutzten im Jahr 2020 gut 53 Millionen Personen beziehungsweise 75,5 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren mindestens ein Audioangebot unter der Woche. Der Großteil davon schaltete lineare Programme ein, während sich die tägliche Verweildauer auf 259 Minuten belief. Die Vermarktungsorganisation der privaten Anbieter RMS etwa sieht insofern keinen Grund zur Panik: Das lineare Radio sei nach wie vor ein „treuer Alltagsbegleiter“, dem die Hörer*innen vertrauten, auch die 14- bis 29-Jährigen, von denen 62 Prozent erreicht würden. Vor allem die Pandemie habe die Bedeutung des Mediums noch einmal gezeigt. In dieser Zeit hätte sich die Nutzung „spürbar“ um 24 Prozent intensiviert, um schnelle und zuverlässige Informationen zu bekommen.
„Das sind erfreuliche Zahlen, wir erreichen mit unserem Programm immer noch rund die Hälfte der Menschen in unserem Sendegebiet, auch die jungen Menschen“, freut sich auch Anke Mai, Programmdirektorin Kultur, Wissen, Junge Formate beim SWR. Das klassische lineare Radio werde vom jungen Publikum ebenfalls angenommen, das Durchschnittsalter von SWR 3 etwa liege bei 44,9 Jahren. „Der Live- Charakter mit persönlicher Ansprache im linearen Radio ist ganz wichtig und für alle Altersgruppen attraktiv“, sagt sie, „diese emotionale Nähe herzustellen, das gelingt mit digitalen nonlinearen Angeboten noch nicht.“
Sie ist sich sicher, dass lineares Radio auf absehbare Zeit weiterhin eine starke Rolle spielen wird, auch für das junge Publikum. Digitalisierung und Plattformen haben bisher noch nicht zu solch drastischen Umbrüchen geführt wie im TV-Bereich, doch die Steuerung der Angebote von Algorithmen anstatt von Moderator*innen hat auch hier begonnen. Und bei der jungen Zielgruppe zeigt sich ganz klar, dass sie Audio immer mehr über digitale Verbreitungswege konsumiert.
Neue Programme und Möglichkeiten
Beim SWR ist daher ein „Audio Lab“ im Einsatz, um unter anderem in Zusammenarbeit mit Automobilherstellern neue Konzepte zu entwickeln. „Da findet sich im Cockpit kein einziger Radioknopf, Radiosender kann man dort nur noch versteckt in Sub-Menüs finden“, betont Lab-Referent Christian Hufnagel. Während die ARD-Hörfunksender der Zukunft eher beruhigt entgegensehen können – sie erhalten schätzungsweise 3 Milliarden Euro Rundfunkgebühren jährlich, sieht es bei den privaten Veranstaltern ganz anders aus: Sie erwirtschaften hauptsächlich über Werbung im Vergleich „nur“ etwa 600 Millionen Euro pro Jahr.
„Das von den Deutschen meistgenutzte Medium hatte bislang in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik eine relativ geringe Wertigkeit, die Werbegattung Radio nimmt hierzulande nur drei Prozent bei den Werbeausgaben insgesamt ein, das ist im europäischen Vergleich der niedrigste Wert.“ Das sagt Erwin Linnenbach mit Blick auf die private Radiolandschaft, die seit 1984 entstand.
Seit über 30 Jahren ist Linnenbach in diesem Bereich tätig, hat unter anderem im Frühjahr das über DAB+ bundesweit zu empfangende „Sportradio Deutschland“ gestartet. „Ein Großteil der deutschen Wirtschaft konnte das Medium Radio bisher nicht wirklich nutzen, weil es keine Vielfalt an ökonomisch sinnvollen Werbeflächen gab.
Eine wirksame Strategie
Erst durch die Digitalisierung und die bundesweite Verbreitung kommen jetzt ganz neue, gezieltere Möglichkeiten der Monetarisierung zustande“, sagt der Unternehmer. Zuvor waren durch die föderale Mediengesetzgebung nur regionale Stationen entstanden, nun agieren auch nationale Sender. Damit gibt es neue Programm- sowie Vermarktungsansätze.
Linnenbach geht davon aus, dass Apple, Spotify und Napster als „aggressive Markteilnehmer“ erheblich an der Audio-Ökonomie teilhaben werden, zumal sie über hervorragende Verbindungen zur Werbewirtschaft verfügten und zugleich als Plattformen auch die Rechte an zahlreichen Musikinhalten besitzen würden: „Das klassische regional-lokal organisierte UKW-Radiosystem hat dem so gut wie nichts entgegenzusetzen. Sie haben vielleicht noch ein paar Jahre, aber ohne bundesweite Präsenz können sie keine wirksame Strategie entwickeln, zumal ihnen erhebliche regulatorische Fesseln angelegt sind, wodurch sie sich am Markt nicht frei bewegen können.“
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