Digitaler Schulunterricht in Barcelona: Lernen ohne Google

Digitaler Schulunterricht funktioniert auch ohne die Programme der großen Unternehmen. Barcelona setzt mit Erfolg auf offen zugängliche Software.

Kinderhände auf der Tastatur eines Laptops

Ein Schüler beim Online-Unterricht in Spanien während der Pandemie im Mai 2020 Foto: Miguel Pereira/getty images

MADRID taz | Sobald Mireia Gómez ihren Computer einschaltet, erscheint ein Bildschirm voller Anwendungen. Es sieht fast so aus, als wäre es das Software-Paket für Schulen von Google – ist es aber nicht. Was da zu sehen ist, heißt „Demokratische Digitalisierung“, kurz „DD“. „Alles basiert auf offener Software“, erklärt die Lehrerin an der Montseny-Schule, einer Grundschule in Barcelona. Gómez gehört zu einer Gruppe von Eltern und Lehrern, auf deren Initiative DD zurückgeht.

Alles begann vor zweieinhalb Jahren. Das Bildungsministerium der Region Katalonien führte noch vor der Coronapandemie großflächig die Lernplattform von Google an den Schulen ein. Einige Eltern und Lehrer machten sich Sorgen um die Datensicherheit und Privatsphäre der Kinder. Denn auf einer Lernplattformen werden nicht nur Übungen und Hausaufgaben verwaltet, sondern auch die Noten, Gutachten über einzelne Schüler bis hin zu Gesundheitsdaten. „Wir wollten all das einfach nicht kommerziellen Diensten überlassen. Wer kostenlos anbietet, verdient sein Geld auf andere Art“, ist sich Goméz sicher.

Die Eltern- und Lehrerinitiative wandte sich an Xnet, eine Gruppe in Barcelona, die sich seit 2008 in verschiedenen Bereichen für digitale Rechte, Onlinedemokratie und Meinungs- und Informationsfreiheit einsetzt. „Die Frage, die sich stellte, war ganz einfach: Wollen wir weiterhin ein Modell akzeptieren, das auf rein kommerziellen Interessen beruht, oder stellen wir die Rechte der Nutzer und der Bürger in den Vordergrund?“, erinnert sich Simona Levi, Vorsitzende von Xnet.

Levi suchte finanzielle Unterstützung und fand sie bei der linksalternativen Stadtverwaltung von Barcelona unter der Bürgermeisterin Ada Colau. Mit den 150.000 Euro, die das Rathaus bereitstellte, machte Xnet eine Ausschreibung für Programmierer und nahm anschließend den Pilotbetrieb auf.

Google hat sich festgesetzt

Die Vorgaben waren klar: „Die Lernplattform sollte sich auf weit verbreitete und damit erprobte freie Software mit offenem Quellcode stützen und auf kontrollierbaren Servern laufen“, sagt Levi. Das ist gelungen. Mittlerweile nehmen drei Schulen am Pilotprojekt teil. Sie prüfen DD auf Herz und Nieren, bevor die Plattform im nächsten Schuljahr in weiteren Schulen installiert werden soll.

Im Zentrum von DD steht Moodle, ein freies Kursmanagementsystem, das weltweit von über 200.000 Einrichtungen benutzt wird. „Doch DD ist wesentlich mehr. DD integriert andere Open-Source-Anwendungen“, sagt Levi.

Einige Beispiele: BigBlueButton ersetzt die in Zeiten des Homeoffice überall bekannt gewordenen Dienste für Videokonferenzen kommerzieller Anbieter. Geschrieben und kalkuliert wird mit OnlyOffice, Nextcloud hilft beim Speichern von Daten und bietet die Möglichkeit, gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten. Nur bei Videos greift auch DD mit Youtube auf Google zurück. Die meisten Filme für den Unterricht lassen sich nur dort finden.

Das größte Problem war und ist die Akzeptanz bei den Anwendern. „Google mit seiner Logik und seinem Design hat sich in den Köpfen festgesetzt“, sagt Arnau Monterde, Chef der Abteilung für Demokratische Innovation im Rathaus von Barcelona, die DD finanziert. Um das neue Produkt wirklich wettbewerbsfähig zu machen, sollte die Umstellung von den gewohnten kommerziellen Anwendungen so einfach wie möglich sein. „Flache Lernkurve“, nennt Monterde das.

Interesse über Barcelona hinaus

Die Kinder gingen nach wenigen Sitzungen mit den Anwendungen um, als hätten sie nie etwas anderes gesehen. Bei den Lehrern dauerte es etwas länger. „Die Pilotschulen liefern uns wertvolle Rückmeldung, um DD weiter zu verbessern, bevor es in anderen Schulen und an öffentlichen Einrichtungen zum Einsatz kommt“, sagt Monterde.

Im kommenden Schuljahr stellt das Rathaus weitere 200.000 Euro zur Verfügung. 15 Schulen sowie städtische Bildungseinrichtungen und mehrere Bürgerzentren sollen dann DD bekommen. „Wir rechnen damit, dass wir dann 15.000 Schüler aufnehmen können“, sagt Monterde. Das Limit stecken die Server. DD mietet diese bei kleinen Anbietern, die die ethischen Vorgaben des Projekts akzeptieren. „Letztendlich ist DD ein Projekt gegen die Privatisierung der digitalen Welt an den öffentlichen Schulen, wie sie an den Universitäten längst stattgefunden hat“, resümiert Monterde.

Bei Xnet und beim Rathaus gehen immer mehr Anfragen zu DD von außerhalb Barcelonas ein. Über 50 Schulen haben bereits ihr Interesse bekundet. Hier ist die katalanische Autonomieregierung gefragt. War diese vor der Pandemie noch sehr auf einfache Lösungen – wie Google – fokussiert, hat sich dies mittlerweile geändert.

„Wir beobachten die Erfahrungen in Barcelona sehr genau“, sagt Joan Cuevas, Generaldirektor für Innovation am Bildungsministerium der katalanischen Regierung. „Denn wir wollen auf allen Ebenen eine freie und offene Alternative anbieten“, versichert er, fügt aber hinzu: „Allerdings muss die Plattform dann so gut sein, dass sie jeder benutzen kann und will und nicht nur die, die aus politischer Überzeugung auf freie Software zurückgreifen.“

Cuevas weiß, dass das nicht immer leicht ist. Das katalanische Bildungsministerium stellt den 4.500 Schulen der Region drei Alternativen zur Wahl. Chromebook von Google, Computer mit Windows und solche mit Linkat, einer Version von Linux. Knapp drei Viertel der Schulen haben sich für Windows entschieden, etwa 23 Prozent für Google und gerade einmal gut 3 Prozent für die Open-Source-Alternative Linux.

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